Inception – Das Neue in uns (Genies Teil 4)

Der Oscar für das beste Drehbuch 2011 geht an… „Inception“… Davon bin ich zu 100% überzeugt [Update: Damit habe ich dann meinen 100% Hollywoodsachverstand bewiesen :D). Sicher ist der Film ein effektsicheres, megalobombastisches Hollywoodspektakel (wer jedoch ernsthaft Philosophie betreiben will, sollte Brandom lesen). Der Film aber explodiert mit seiner Kraft an den Gedanken, legt eine parasitäre Idee ins Bewusstsein, die sich nicht mehr ohne weiteres ablegen lässt und aus der sich mehr und mehr Reflexionen und mehr als nur Reflexionen entfalten. Doch dazu gleich mehr, hier erstmal der Trailer, denn schon dieser hätte einen Oscar verdient:

Hier nochmal ein Trailer auf Deutsch

Mir reicht es schon die Musik zu hören. Hierfür wird auch Hans Zimmer seinen zweiten Oscar erhalten. In allen neueren Filmen vernehmen wir bereits den Inception charakterisierenden breiten, dunklen Bass als neues Stilmittel. Ich wette, wir werden dieses Stilmittel in Zukunft immer häufiger hören. Wer von der Musik aus dem Trailer noch nicht überzeugt ist, soll sich nur Folgendes ansehen:

Gut, ich möchte nun nicht den zähen Inception-Interpretationen anschließen, die immer nur das Ende des Filmes weiterspinnen. Einige Websites spezialisieren sich ja darauf (http://www.negativ-film.de/2010/07/inception-interpretationen-und.html). Ich muss hier also keinen Spoiler-Alarm durchführen, da es mir nicht um eine von vielen möglichen Interpretationen des Filmes geht. Ehrlich gesagt finde ich ziemlich unerheblich, was der Film letztlich für eine konsistente Geschichte abliefert. Ich interessiere mich ohnehin recht selten für Plots. Vielmehr geht es mir, um den Gedanken, der sich hinter einer Inception und damit auch in diesem Film verbirgt. Ich sehe nämlich in einer Inception mehr als nur eine Idee, die einfach und klar uns veranlasst unser Leben nach dieser Idee auch zu realisieren. Eine Inception ist nicht einfach nur ein unreflektierter Anfang. Die Frage nach der Inception birgt die Frage in sich, warum wir überhaupt etwas beginnen.

Also leiten wir zunächst mal den Begriff „In-ception“ her, indem wir uns den Begriff „Per-ception“ anschauen. Was im Deutschen zumeist als Wahrnehmung bezeichnet wird, findet im Englischen zwei Ãœbersetzungen: „Sensation“ und „Perception“. Die „Sensations“ bezeichnen die Gesamtheit der einströmenden Sinneseindrücke und von denen haben wir angeblich 30.000 die Sekunde (ich weiß nicht, ob das stimmt, wenn ich aber an den Geschmack auf meiner Zunge, an die Hose an meinen Beinen, an die Coutch, auf der ich sitze, an meine Haare, an die Wärme des Raumes denke, so merke ich, dass hier einiges vorbewusst an Sinneseindrücken in mir lagert und einem Bewusstsein wie ein unbemerkter Wind vorbeiweht). „Perception“ bezeichnet demgegenüber die „Wahr-Nehmung“. Wörtlich verstanden also, dass wir etwas „für wahr nehmen“ und damit etwas aus seiner Verborgenheit in die Gegenwart des Denkens bringen. Dieses Etwas sind die Sensations. Der Gegenstand, ein Tisch zum Beispiel, setzt sich ja aus vielen Sensations zusammen, seine Position im Raum, seine Dichte, seine Oberflächenbeschaffenheit, seine Tiefe, seine Fühlbarkeit auf der Haut, seine Farbe, seine Wärme oder Kälte, seine Bewegung oder Ruhe. Wir müssen uns klar machen, dass unser Gehirn diese vielfältigen Sinneseindrücke zusammensetzt und die eine Wahrnehmung vom Tisch unter einen reproduzierbaren Begriff bringt (wir könntes es meinetwegen auch „Konzept“ nennen).  Das Wort „Tisch“ trifft natürlich nicht wirklich „den Tisch“, aber im Alltag reicht uns eine perzeptionelle Annäherung, der Begriff oder das Konzept aus und so gibt es eben viele Tische in der Welt, aber nur einmal „diesen Tisch“ hier.

Ach, was soll das also? Nun, wie wäre es denn, wenn wir in einen Traum ohne Ausweg aus uns selbst versunken wären? Jetzt wird es kompliziert, denn wir müssten uns fragen, woher hätten wir unsere Vorstellungen? Ich behaupte nämlich unsere Vorstellungen wären gänzlich leer ohne sinnliches Dawieder und durchgängig weltlich Bestimmtes, nämlich ohne Sensations. Gleichwohl wir nämlich im Traum durchaus mit den Konzepten unserer Perceptions umgehen, so haben wir doch keine neuen Sensations. Unser Wach-Bewusstsein lehnt sich schließlich zurück und lässt das reine Denken der Erfahrungen hantieren. Wir wäre es wenn wir ewig im Traum eingeschlossen wären? Wir würden uns irgendwann in der Langweile des Kombinierbaren verlieren, würden aber niemals mehr von einer neuen Qualität der Welt berührt werden. Denn nur was das Bewusstsein in der Welt als sinnliche Sensation erfährt, kann es auch wahrnehmen und somit im Traum auch denken. Nehmen wir die Farbe „rot“ als Beispiel. Sie hat eine eigene Qualität, die wir zwar nach ihrem Sein und Nicht-Sein beurteilen können (sie ist nämlich die Farbe „rot“, im Gegensatz zu allen Farben, die sie nicht ist, wie grün, blau, schwarz usw. somit ist diese Farbe systematisch in uns denkbar), doch wir können nicht das sinnliche Faktum der Farbe selbst in unseren Begriffen beschreiben. In der Wirklichkeit ist sie einfach da und wirk auf uns, ja sie wirk. Wir könnten zum Beispiel im Gegenzug annehmen, dass wir uns eine Farbe denken, die es unter bestimmten Bedingungen geben muss, das hieße aber nicht, dass es sie gäbe. Nehmen wir an, wir würden Grün nicht kennen, sondern nur Blau und Gelb, könnten wir daraus eine sinnliche Erfahrung wie Grün ableiten? Preisfrage, welche Farbe kommt raus, wenn ich grün, blau, gelb und rosa mische? Na? Na? :D

Wir würden nochnichtmal viel Nutzen aus einem kombinierbaren Gedanken ziehen, denn es verbliebe nur eine Phantasie. Wir können das Sinnliche nicht erschließen.

Dieses winzige Moment an Realität also, das mit Begriffen nur umgrenzbar ist, nicht aber erreichbar, nennt sich die letzte einfache Qualität. Und jetzt kommt die alles entscheidende Frage: Ist diese „Qualität“ Produkt unseres Geistes oder ist sie vorher schon in der Natur. *lach* Der Naturalist sagt, klar sie ist Natur und deswegen in uns. Der unreflektierte Idealist hingegen behauptet, wofür müssen wir sie dann versuchen zu erkennen? Sie muss also in unserem Geist sein. Die Welt ist auf einmal entweder Geist oder Natur.

Inception CC

Die Philosophie des Anfangs von der richtigen Welt (CC_Foto:Von h.koppdelaney)

Ist alles um uns herum Traum des federbettenden Geistes, der uns auf eine Reise mitgenommen hat oder der harte Beton des realen Nichts auf den wir knallen? Sind wir selbst nur ein Phänomen der größten Kettenreaktion aller Zeiten? Sind wir hier in einer Realität ohne Freiheit gefangen oder haben wir uns in der Endlosigkeit eines freien Geistes verirrt. *lach* Ungeachtet dessen müssen wir doch aber fragen: Woher empfangen wir das Neue, gleich ob im Geist oder in der Natur?

Kompliziert, aber genau diese Fragen stellt Inception. Nicht explizit, nein, aber der Moment ist enthalten. Wir haben also „Sensations“ und „Per-ceptions“ interpretiert, nun aber ist die Frage: Was ist eine „In-ception“?

Wir haben gesehen, dass die Perceptions immer nur das Wahr-nehmen einer Sensation darstellen. Es verbleibt unklar, ob wir dabei uns selbst oder die Realität wahrnehmen. Wir wissen nicht genau, was Sensations sind, wir wissen aber, dass selbst wenn diese geistig sind, wir diese nicht vollständig kontrollieren können. Sensations treffen uns, ob wir wollen oder nicht.  Auch ein Idealismus geht von einem unverfügbaren Gegebenen aus, von einer Qualität an sich. Nun erscheint es aber so, dass wir diese Qualität mit unseren begrifflichen Fixationen immer nur neu wahr-nehmen, aber nie neu erschaffen. Und seien wir mal ehrlich, wie oft überlegen wir, was wir kochen sollen und es erscheint uns als gäbe es in dieser Welt keine Qualität an Essen mehr, die uns erfreuen würde, weil jeder Seinsmoment des Speisens schon verkostet wurde? Wir sind satt von der Welt, gelangweilt. Wie oft behauptet der Gymnasialkunstlehrer, es gäbe nichts Neues mehr, weil alles nur noch Rekombination wäre? Selbst die Philosophie sei ja aus diesem Grund nur eine gewaltige Fußnote zu Platon. Aber hier kommt der entscheidende Moment: Gibt es eine Inception? Das heißt können wir eine Idee erschaffen, die nicht aus dem Unverfügbaren, sondern aus uns und nur aus uns selbst stammt? Vermögen wir einen Anfang zu leisten für eine Welt, die unsere ist? Können wir das Neue unter der Sonne hervorbringen? Wenn dem so wäre, dann wäre es gleich, ob wir in der Realität oder im Traum lebten, denn wir würden wieder erschaffen und könnten Grenzen vermittels des Neuen verwinden. Die Grenzen der Menschheit sind durch das Neue, jetzt noch unbekannte erweiterbar. Und das möchte ich als Genie bezeichnen, der es vermag dieses neue zu erkunden.

Was sind also neue Ideen? Und genau hier hat der Film Recht. Eine Idee ist mehr als nur Kausalität, wir lassen Städte, Romane, Traumwelten, virtuelle Realitäten, Scheinwirklichkeiten, Zahlen, Wissenschaften entstehen. Wir wirken mit diesen Ideen auf die Realität ein. Der Gedanke der Emergenz spielt hier eine Rolle, das heißt, dass wir etwas bewirken, was in seinem Ausgang offen war und durch kein Kausalgesetz hätte vorhergesagt werden können. Und selbst wenn uns die Neurowissenschaft lehrt, dass selbst unsere alltägliche Entscheidungsfreiheit Kausalgesetzen unterliegt, so hoffen wir doch zumindest auf diesen neuen Beginn auch in unserem Leben. Diesen Moment der Kreativität, wo uns etwas Neues gegeben wird oder etwas Neues in uns entsteht. Der Ausbruch aus den Spiralen des Alltags. Das ist, was wir erfahren wollen und das ist es doch wonach so viele suchen. Es heißt eine Farbe zu sehen, die wir noch nie gesehen haben. Etwas Neues probieren, zu schmecken, eine neue Musik zu vernehmen, die wir noch nie gehört, uns von einem neuen Menschen überraschen lassen, etwas Neues von der Welt erwarten, das wir noch nicht kennen. Stehen wir nicht deswegen auch auf? Doch dieses Neue ist so einfach und klar, so leicht einsehbar wie eine Melodie. Es ist ein neuer Ton, ein neuer Raum, eine neue Welt, etwas das sich so in uns legt, so dass wir aus der Rekombination dessen neue Welten aufsteigen sehen.

Wo beginnen wir also, wenn wir nicht bei der Erfahrung beginnen?

Genau das und damit möchte ich schließen, bietet der Film „Inception“, deswegen hat dieser Film auch den Oscar als bester Film verdient.

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Eine Antwort auf Inception – Das Neue in uns (Genies Teil 4)

  1. Wahrheit sagt:

    Der Artikel entspricht meinem Verständnis! Und ich dachte schon ich wäre allein mit meiner Interpretation.

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