Becks Ãœberlegungen zur Risikoproduktion in der Wissenschaft – Wie Gesellschaften sich selbst verschaukeln

Compania Engranaje
Verschaukeln wir uns selbst? Foto von sulamith.sallman

Im letzten Beitrag haben wir uns mit Restrisiken hinter der Grenze des menschlichen Verstehens auseinandergesetzt. Im Schatten unserer sozialen Wissensbildung (denn antropogenen Klimawandel und Ozonlöcher kennen wir durch gemeinschaftliche Anstrengungen) lagert das unzerstörbare Nichtwissen. Dieses Nichtwissen war lange Zeit ein abgetrennter Teil des Menschen in der Natur. Nichtwissen wurde zumeist für uns erst dann relevant, wenn es uns potentiell gefährlich sein konnte. Die Idee mit den institutionellen Techniken der Wissenschaft dieses Nichtwissen, gelagert in der Natur, zu beherrschen, produzierte aber dann den Schatten der Technik, in dem die von uns selbst produzierten Risiken lagerten. Eine Konsequenz die Dörner mit seinen Ãœberlegungen zur Beherrschbarkeit von Kul-Welten womöglich nicht gesehen hat, ist, dass es sich vielleicht um mehr als ein Problem unseres intuitiven Verständnisses von Welt handelt, nämlich vielleicht um ein institutionelles Problem unserer Technik und damit vielleicht auch um ein nicht lösbares Problem. In diesem Artikel will ich mich zunächst mit Becks Ãœberlegungen zum institutionellen Problem beschäftigen. 

Was sind die sozialen Ursachen von Risiken?
Beck nimmt hier in seiner Diskussion vor allem eine Institutionenkrise ins Visier. Demnach verhandeln vor allem Politik und Forschung Risiken. Beck schreibt:

 „Die Verwandlung der ungesehenen Nebenfolgen industrieller Produktion in globale ökologische Krisenherde ist gerade kein Problem, der uns umgebenden Welt – kein sogenanntes ‚Umweltproblem‘ -, sondern eine tiefgreifende Institutionenkrise der ersten, nationalstaatlichen Industriemoderne selbst.“(Beck 1996: 131)

Beck meint zunächst, dass das Katastrophenpotenzial verursacht wird durch unsere Modernisierung. Das ist ja keineswegs strittig. Warum wir die Risiken dieser Modernisierung aber nicht in den Begriff bekommen, liegt an der Struktur unserer Institutionen. Dieses wollen wir zunächst klären.

Risiken basieren auf kausalen Interpretationen und sind damit offen für soziale Definitionsprozesse (wie bereits im letzten Beitrag zu den Restrisiken hinter der Grenze des menschlichen Verstehens gezeigt). In diesem Sinne bestimmt das Bewusstsein tatsächlich das Sein der sozialen Handlungsmöglichkeiten; wir haben es mit einem Konstruktivismus zu tun. Hier aber liegen Schwierigkeiten. Angesichts komplexer Welten, können wir die Ursache-Wirkungs-Relation nicht mehr genau beobachten; Kausalität kann daher nur zu gewissen Graden angenommen werden, bleibt aber dennoch unsicher und nur vermittelt. An dieser Stelle der Vermittlung setzen die Mechanismen von Wissenschaft, Politik und Medien ein. Dabei analysiert Beck zunächst die Wissenschaft, worauf ich auch mein Hauptaugenmerk richten möchte:

Wie produzieren Wissenschaften Risiken?
Fehler in der Wissenschaft bedeuten vielleicht einen Kratzer am Lack der Reputation auf, der anderen Seite aber treten bei den Betroffenen durch Fehler irreversible Schäden auf. Die individuelle Karriere steht daher oftmals dem menschlichen Wohl im Weg. In der Gentechnik kann die Wissenschaft ganz froh darüber sein, dass sie nicht mehr auf ihre praktischen Konsequenzen bezogen ist, denn angesichts der produzierten Risiken müssten Forscher eher zurückschrecken, genmanipulierten Mais raus auf das Feld zu bringen. Daher ist es auch ganz nützlich, dass der Begriff „Risiko“ vor allem einen ungesicherten Kausalzusammenhang beschreibt. Fragen wir uns doch noch mal, was ein Risiko eigentlich ist? Beschreiben wir es mal auf einer semantischen Ebene: Ein Risiko ist ja keine Wirklichkeit, sondern beschreibt eine Möglichkeit, die niemand als wirklich annimmt. Ein Geschäftsunternehmer beispielsweise geht ein Risiko ein, weil er glaubt, es schaffen zu können. Würde er davon ausgehen, dass die Gefahr eintreten würde, so würde er das Risiko nicht in Kauf nehmen. Ein Risiko ist daher gerade das, was ungesichert gilt. In der Wissenschaft nun ist ein Bestehen auf ungesicherte Kausalzusammenhänge ein Qualitätsplus. Ein Wissenschaftler warnt daher nicht vor Risiken, da es für die Realität derselben ja keine Beweise, keine Kausalität gibt, sondern nur die Möglichkeit in Betracht gezogen wird. Es ist nur eine angenommene Möglichkeit, mit diesen aber argumentiert die Wissenschaft nicht. Dieses führt nun nur zu einer Minimierung der wahrgenommenen Risiken und nicht zu einer Minimierung der tatsächlichen Risiken durch Wissenschaft. Das ist recht problematisch, weil wir uns nun vergegenwärtigen müssen, dass insofern uns die Wissenschaften Kausalitäten nachweist, wir dies ernst nehmen müssen, umgekehrt aber gilt nicht, dass die wir die Wissenschaft ernst nehmen können, wenn sie keine Korrelationen oder Kausalitäten entdeckt.

Je höher die Gütekriterien der Wissenschaft also, desto geringer sind prognostizierte Risiken.
Mit der Wissenschaft bekommen wir also Informationen aus zweiter Hand. Gleichzeitig flutet uns die Wissenschaft nach Beck mit selbstungewissen, zusammenhanglosen Detailergebnissen und machen auch noch ihre Interpretation schwierig. Hinzu kommt, da die Wissenschaftler nicht mehr bezogen sind auf die praktische Anwendung ihrer Technik, Lernerfolge hinsichtlich von Restrisiken verunmöglicht werden. Risiken fallen schließlich durch das Sieb einer Überspezialisierung von isolierten Laborweltenwissenschaftlern in ihren Mondlandschaften.
Die Defintitionsvielfalt der Wissenschaften wird hier zu einem Pluralisierungsrisiko. Ursachen verkrümeln sich so im Diskurs und Gegendiskurs dieser Wissenschaften. Beck schlussfolgert je nötiger wir die Wissenschaft haben, desto unmöglicher wird es ihr, Kausalzusammenhänge darzulegen.

Becks Buch ist aufgrund solcher Analysen trotz seiner zeitweiligen Unübersichtlichkeit durchaus zu empfehlen:

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