Vom Umgang mit Risiken – Beck zur Externalisierung von Risiken in der Industrie

Lillian Boyer,stunt flying acrobat
Vom richtigen Umgang mit Risiken

Nach der prinzipiellen Schwierigkeit, Risiken von Technik zugÀnglich zu machen, kommen wir in erhebliche Probleme. Die ExternalitÀten der nicht ganz wirklichen, aber auch nicht nur ganz möglichen Risiken der Modernisierung können nur schwerlich beherrscht werden. Durch die Vorstellung von Grenzwerten zum Beispiel versuchen wir diese zwar, bestmöglich zu beherrschen und zu reduzieren, dabei aber ergeben sich, wie in meinem letzten Beitrag zu Grenzwerten dargelegt, einige Probleme. Auch die Grenzwertreduzierung ist ein technisch nicht einwandfrei beherrschbares Problem. In diesem Beitrag will ich mal den Umgang mit Risiken anschauen.

Das Insektizit DDT als Beispiel fĂŒr Externalisierung
Mit Grenzwerten wird deutlich, dass Risiken in den Industriestaaten schnell als Vermeidungsgut enttarnt werden. Zwar sind Risiken nur projizierte und konstruierte Variablen, dennoch sind sie handlungsleitend. Aufgrund der Sensibilisierung der Bevölkerung fĂŒr Risiken wurden die Risikoindustrien recht schnell in LĂ€nder externalisiert, wo die mangelnde Abdeckung der GrundbedĂŒrfnisse noch Risikoblindheit verursachte. So berichtet Beck noch davon, wie in DrittweltlĂ€ndern die Arbeiter puderweiß von DDT sind. DDT ist ohnehin ein Paradebeispiel fĂŒr Grenzwertbestimmungsprobleme und fĂŒr die Externalisierung von Risiken in DrittweltlĂ€nder.

DDT ist ein Insektizid, das lange Zeit als Kontakt– und Fraßgift benutzt wurde. Es hat nur sehr geringe ToxizitĂ€t fĂŒr SĂ€ugetiere und wegen einfacher Herstellungsverfahren war es jahrzehntelang das weltweit meistverwendete Insektizid. Aufgrund der chemischen StabilitĂ€t aber und der guten Fettlöslichkeit im Gewebe von Menschen und Tieren reicherte es sich bald in der Nahrungskette an. DDT verdĂ€chtigte man bald, beim Menschen Krebs auslösen zu können. Weltweit ist die Herstellung und Verwendung von DDT daher verboten (Stockholmer Konvention 2004). Es darf nur noch zur Vorbeugung gegen krankheitsĂŒbertragenden Insekten, von Malaria eingesetzt werden  (vergleich auch http://de.wikipedia.org/wiki/Dichlordiphenyltrichlorethan). Am DDT lĂ€sst sich sehr gut beobacht, wie Grenzwerte zunĂ€chst als zulĂ€ssig bestimmt worden sind, dann aber in Langzeitanwendung Bedenken dazu fĂŒhrten, dieses Risiko zu externalisieren. In DrittweltlĂ€ndern wurde es dann stark genutzt. Auch aufgrund der RĂŒckfĂŒhrung von DDT-Chemikalien durch belastete Importe wurde im Jahr 2004 DDT-Anwendung weltweit verboten.

Vergleichweise weiß niemand, wieviele ZwischenfĂ€lle es bei Kernkraftwerken geben muss, damit sich auch dort die Einsicht in ein weltweites Verbot durchsetzt. Am DDT wird der Fakt deutlich, dass die Risikoforschung immer der RealitĂ€t hinterhinkt. Da die Folgewirkungen von DDT aber gut untersucht werden können und es sich nicht auf EinzelfĂ€lle wie bei Kernkraftwerken handelt, fĂŒhrt das Risiko eher zu einem Verbot der Anwendung. Bei AKW’s fĂŒhren hingegen einzelne Kernschmelzen nicht zu einem notwendigen Umdenken.

Warum kann die Wissenschaft nicht vor Risiken warnen?
Die Wissenschaft funktioniert im Moment im Wesentlichen so, dass PlausibiltĂ€tsthesen aufgestellt werden, diese aber erst in ihrer GĂŒltigkeit nachgewiesen werden, wenn sie denn auch empirisch bestĂ€tigt sind. Obwohl dieses Verfahren sehr gut ist, um sich Wahrheiten anzunĂ€hern, was Ziel der Wissenschaften ist, ist dieses Verfahren fĂŒr den praktischen Umgang mit Risiken ungeeignet. Wenn Risken durch Grenzwertbestimmungen auf scheinbare Marginalien reduziert werden, können wir nĂ€mlich wissenschaftlich nicht mehr von KausalzusammenhĂ€ngen sprechen. Diese Beobachtungsebene der Wissenschaft (auf die wir alle beschrĂ€nkt sind) schließt aber nicht aus, dass unter verĂ€nderten Betrachtungsbedingungen doch KausalzusammenhĂ€nge bestehen. Der Abstand zwischen wahrgenommenen Risiken und tatsĂ€chlichen Risiken ist einfach nicht ĂŒberbrĂŒckbar.

Was bedeutet die wissenschaftliche BeschrĂ€nktheit fĂŒr Restrisiken?

Extreme Risikodeutungen können im Falle der AKW’s durch StörfĂ€lle wissenschaftlich nicht mehr widerlegt werden. DafĂŒr sind die Fallzahlen viel zu gering. Aus diesem Grunde erschĂŒttert Fukushima auch nicht notwendig das Vertrauen in die Wissenschaft oder in die Technik der Kernkraftwerke. Die Risikobetrachtung ist sogar wissenschaftlich korrekt. Dieses bedeutet auch, dass eine Diskussion ĂŒber das Restrisiko an sich keine argumentative Basis hat; vielmehr muss ĂŒber die prinzipielle Unausschließbarkeit von Gefahren gesprochen werden, die zwar nicht kausal, dennoch aber möglich sind. Wenn sich nun zeigt, dass das AKW in Fukushima bereits vom Erdbeben und nicht erst vom Tsunami erheblich beschĂ€digt worden ist, so mĂŒssen wir doch im Mindesten die vorherige Risikoberechnung hinterfragen und darauf verweisen, dass auch die Risikoberechnungen in Deutschland problematisch sind.

Fehler in der Technik geschehen durch Menschen?
Mein Freund Dairi Matsumoto, der seinen Doktor hier in Deutschland gemacht hat und nun wieder in Japan ist, vertritt die Meinung, dass die Technik fehlerlos sei, allerdings durch Menschen entscheidende Fehler entstehen wĂŒrden. Dabei ĂŒbersieht er aber meines Erachtens folgendes Problem: Es gibt keine Technik, die unabhĂ€ngig vom Menschen existiert. Atomkraftwerke werden eben nach Risikodeutungen der Menschen gebaut und sind damit unweigerlich schon als unbeherrschbares Konstrukt errichtet. Wir produzieren Risiken.

Mit möglichen StörfĂ€llen in AKW’s sind Grenzen der Risikoproduktion erreicht, da die Folgekosten einer möglichen Katastrophe einfach nicht mehr verrechenbar sind. AKW’s mĂŒssten, so lauten einige SchĂ€tzungen, auf bis zu 10 Billionen Dollar versichert werden. Das ĂŒbersteigt bei weitem das Bruttosozialprodukt fast aller LĂ€nder. Es wĂŒrde immer hin 1/5 des weltweiten Bruttosozialproduktes bedeuten. Das dĂŒrfte aber hinreichend bekannt sein.

Doch noch etwas, was wir von Dörners Darlegung der Kul-Welt-Probleme wissen: Jeder technische Eingriff in die Natur kann mit Fern- und Nebenwirkungen verbunden sein. Nun also die Fehler bei der Tepco-Mangelwirtschaft zu suchen, mag zwar den Grund fĂŒr das Versagen in Japan erlĂ€utern, widerlegt aber nicht prinzipielle Vorbehalte, die gegen Atomkraft und Technik angebracht werden können, nĂ€mlich eine mögliche Langzeitfolgewirkung.

Reflexivwerden der Moderne
Wo aber sammeln sich Risiken? WĂ€hrend sich ReichtĂŒmer oben sammeln, werden Risiken nach unten externalisiert. Doch auch diese Externalisierung hat ihre Grenzen. Belastete Textilien kommen so beispielsweise aus den BilliglohnlĂ€ndern zurĂŒck. Beck bringt es auf die polemische Formel: „Not ist hierarchisch, aber Smog demokratisch.“  Summierte Minimalrisiken schlagen irgendwann in die deutliche Gefahr um. So ist Strahlung nicht mehr auf LĂ€ndergrenzen begrenzt und Klimawandel erst recht nicht.


Insofern also die Industrie lange Zeit noch die Kosten fĂŒr ihre Modernisierung externalisieren konnte, zum Beispiel technische Nebenfolgen in die nicht industrialisierten LĂ€nder verlagerten, so wird dies mit steigenden Risikopotentialen wie zum Beispiel bei AKW’s einfach nicht mehr möglich sein. Aber auch mit der zunehmenden Aggregation der Schadstoffe in der Luft mĂŒssen Gesellschaften erkennen, dass die Externalisierung ihre Grenzen in einer begrenzten Erde hat. Damit werden die Nebenfolgen der Industrialisierung fĂŒr die Gesellschaft rĂŒckwirkend ein Problem. Die Moderne wird, um mit Beck zu sprechen, reflexiv. Da wir aber die Risiken nicht erschöpfend kennen können, haben wir tatsĂ€chlich ein Problem des Unwissens und dieses ist ernĂŒchternd. Dennoch gibt unser Möglichkeitssinn ein GefĂŒhl fĂŒr die Frage, wie wir uns verhalten sollten. Auf Risikotechnologien daher eher zu verzichten, muss ein normatives Ideal fĂŒr unsere Handlungen sein. Dieses Ideal wird allerdings dort nicht befolgt, wo Risiken industriell ausgeschöpft werden. Wir können zwar nicht prinzipiell Risiken beseitigen, doch dort wo unser Umweltbewusstsein mitschwingt, können wir wenigstens versuchen, die großindustrielle Ausschöpfung von Risiken zu kritisieren. Denn (das wĂ€re noch ein eigentstĂ€ndiger Punkt, den ich hier aber nicht erörtern möchte) hohe Risiken versprechen hohe Gewinne, da Produzenten als Verursacher aufgrund geringer KausalitĂ€t nicht mehr belangt werden können oder aber mit hohen Restrisiken eine Art russisches Weltroulette spielt (als Konsequenz ergibt sich damit auch, dass ich fĂŒr Menschen, die durch das Eingehen hoher Risiken Reichtum erzeugen, UnverstĂ€ndnis habe, auch wenn sie viel dafĂŒr geleistet haben. In unserer Gesellschaft sollte eher Leistung als russisches Roulette belohnt werden.)

Soviel zu Beck. Lieber Leser, dieser lange Anlauf war nötig, denn mit all diesem theoretischen RĂŒstzeug will ich meine Beitrage ĂŒber Fukushima ĂŒberdenken und neue Überlegungen darĂŒber anschließen. Das Thema ist ja fast aus der Öffentlichkeit verschwunden, dennoch ist das Restrisiko dort am besten zu beobachten und es bestehen auch noch Risiken. Dieses möchte ich demnĂ€chst nochmal andenken.

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