Die im Detail zerfallende Realität zur Komplexität von PhOtOnQuAnTiQuE |
Nach der bisherigen Darlegung der Irreduzibilität von Komplexität und damit der Unabschätzbarkeit von bestimmten Risiken stellt sich nun die Frage, wie wir mit einer für uns abstrakten Welt umgehen sollen. Die technische Urbarmachung des Atoms, der Schlag durch das Gestrüpp des Unsichtbaren ist zwar partiell gelungen, aber das kleine Teilstück konstruierter Realität lässt doch nur im Modell erahnen, wie wir entfesselte, reale Energien an die menschliche Beherrschbarkeit binden wollen. Das heißt: Auf dem Papier lässt sich ein Kraftwerk entwerfen, Notabschaltungen und Redundanz lassen sich planen, doch anhand welcher Vorhersagen sind diese Planungen für die Realität auch wirklich? Die Verwaltung des Unerfassbaren lässt Ingenieure träumen, wie wir aus folgendem Filmtrailer erfahren:
Gemächliche Verwaltung von Risiken?
So gemächlich wie in den deutschen Atomplanbüros geht es in Fukushima wohl nicht mehr zu. Können wir in Deutschland das ungeheure Restrisiko, welches sureal ist, noch in einem Verwaltungsakt auf die Rechengröße einer Glaubensgemeinschaft reduzieren, ist dort nicht einmal klar, wo das Problem liegt. Tepco steuert die Reaktoren ja teilweise nur noch im Blindflug. Radioaktivität lässt sich ganz beschaulich und ruhig in die Welt hinab und die Ingenieure haben nicht mal die nötigen Messgeräte. Das Reaktorinnere ist bei gegenwärtigem Kenntnisstand beinah eine Black Box. Daher wird nicht mehr geplant, sondern vorrangig reagiert; teilweise wird sogar experimentiert, was überhaupt funktioniert (ein weiterer Hinweis auf die Unplanbarkeit solcher Ereignisse).
Es scheint als wäre eine weitere Zerstörung des Reaktor abgewandt, da die Temperaturen der Außenhüllen des Reaktors bei ungefähr bei 100° Celsius liegen. Es scheint als ließe sich die Radioaktivität mit Kunstharz am Boden halten. Weitere Ereignisse wie Stromausfälle oder Taifune jedoch verringern nicht gerade das Restrisiko, denn dieses ist höher als jemals zuvor.
Lassen sich Schlüsse auf Fukushima auf andere Länder übertragen?
Nun lässt sich schnell schlussfolgern, dass die Schlüsse aus Fukushima für andere Regionen der Welt nicht gelten, da in Fukushima eine außerordentliche Kombination von Unwägbarkeiten zusammengetroffen sei. Aber gerade das ist ja das Problem. Dieses habe ich unter dem Beitrag Das Risiko vom Restriko darzulegen. Risiken lassen sich nicht planen. Wer mit Risiken rechnet, geht immer schon von einer möglichen Verrechnbarkeit des Ernstfalles aus. Bei AKW’s kommt nun hinzu, dass das Restrisiko ungemein groß ist. Ich sage nichts Neues, wenn ich behaupte: Unverrechenbare und in Teilen bekannte Restrisiken müssen beseitigt werden.
Die Fantasie der Beherrschbarkeit der Realität
Zugegeben, ich war lange Zeit auch ein Befürworter der Atomkraft; wohl auch deswegen weil ich einen technikafinen Grundgestus in mir trage. Für mich war die technische Beherrschbarkeit der Natur immer ein zu bewunderndes Gut. Kernkraftwerke erfüllten diese Vision von einer Natur als Untertanen. Kernkraftwerke sehen innen aus wie die Zukunftsvisionen einer Science-Fiction-Fantasy der 80er, einer besseren Welt. Kontrollgerätschaften, schimmerndes, blaues Wasser in den Abklingbecken, moderne Castor-Behälter; das Design spiegelt den Glauben an die Beherrschbarkeit der Natur in einer steril geordneten Technikhülle. Keine Natur, nur menschentworfenes und geplantes Milieu. Die Atomkraft versprach lange Zeit kostengünstige, saubere Energie für alle und damit das Herausbrechen der menschlichen Natur aus unverschuldetem Leid. Das Restrisiko nahm ich dabei selbst als irreales war. Es ist ja auch so herrlich unter Beton verpackt und wir ummanteln die Gefahr in silbrig-glänzenden Gegenständen (und wenn es ein Sarkophag ist). So als würde einer das Übel an der Wurzel packen und in eine hübsche Blechdose pressen, dann wie eine Kaffebox in den Schrank oder die Medizin in den Giftschrank. Unabhängig davon dachte ich lange Zeit, wir könnten doch den Müll zum Mond schießen, so wie Superman, der nach einer Rede an die Vereinten Nationen, es schaffte, alle Atomwaffen in der Sonne zu entsorgen:
Technikfantasien sind kleine Jungsfantasien, unausgereift und schon tausendmal gedacht. So wie jede URL, die man als Namen für seinen Blog reservieren möchte, schon belegt ist, so hat auch schon jede simple Jungsidee den Weg vom Reißbrett in den Papierkorb gefunden. Es gibt keine simplen Lösungen, wenn es überhaupt Lösungen gibt. Noch vor 6 Monaten hätte ich anhand von Statistiken und dem Nicht-Bestehen von kausalen Zusammenhängen ein Risiko ausgeschlossen; vor allem, da ich statistisches Denken gewohnt bin. Das heißt nicht, dass ich nun die Statistik verleugne. Es gibt sehr wohl noch gute Anwendungsbereiche. Ich hatte aber bei der Atomkraft die fehlerhafte Anwendung bei Minimalwahrscheinlichkeiten mit maximalen Folgekosten nie richtig in Betracht gezogen. Nun gut, was ein Kratzer in meinem wissenschaftlichen Bewusstsein ist, ist woanders die Obdachlosigkeit vieler Menschen. Aber wer ist nun der Verantwortliche? Der generalisierte Andere, das System, hatte ja dieses wissenschaftliche Fehldenken nicht ganz ohne Grund verfolgt. Die Frage ist nur, welche System eigentlich zusammenwirken? Kann mit Risiken in einem Finanzsystem nicht wunderbar Geld verdient werden?
Fehler beim Umgang mit der Katastrophe in Fukushima
Über das Restrisiko hinaus ist nun die Frage wie mit dem eingetretenen Störfall umgegangen wird, der auch Risiken birgt. Ein Verzicht auf Atomkraft ist nun zu spät. Doch auch diese Situation ist deutlich komplex. Kritik am Krisenmanagement der Japaner ist daher unvermeidlich, da angesichts der komplexen Problemlage ohnehin keine treffsicheren Entscheidungen getroffen werden können. Jede Entscheidung kann falsch sein. So zeichneten Presseberichte zur Anfangsphase der Nuklearkrise ein Bild von Mitarbeitern, Verantwortlichen und Experten als überfordert. Sechs „Super-GAUs“ gleichzeitig waren zuviel für wenige 100 Arbeiter am Ort, eine mögliche Liste ist daeher lang (im Wesentlichen vom Wikipediaartikel zu Fukushima entlehnt):
- Es heißt der Diplom-Physiker und Premierminister Kan überschätze seine Kompetenzen in Nukleartechnik. Zudem seien die Tepco-Vertreter vom Premierminister stark unter Druck gesetzt. Nach Tetsunari Iida wolle er bei zu vielen technischen Details mitreden. Zudem verhindere aber auch die für Japan typische Konsensorientierung schnelle Entscheidungen.
- Kommunikationsprobleme sind wohl selbstverständlich (siehe Dokumentation der Abläufe und Veröffentlichungen im Artikel Chronik der Nuklearkatastrophe von Fukushima).
- Die entsprechende Druckentlastung der Reaktoren und das Einleiten von Meerwasser hätte, früher durchgeführt, die Ausmaße der Katastrophe verringern können.
- Die Abwesenheit von Tepco-Präsident Tsunehisa Katsumata und dem Vorsitzenden Masataka Shimizu hätte solcherlei Entscheidungen entsprechend verzögert.
- Es gab technische Probleme des firmeninternen Kommunikationssystems
- Zeitung berichtete auch von einer hitzigen Diskussion zu der Frage der Salzwassereinleitung, in der sich Tepcos Kernenergie-Chef Sakae Muto und Fukushima-I-Kraftwerksleiter Masao Yoshida gegenseitig angeschrien hätten.
- Druckentlastungen mussten von Hand und im Dunkeln durchgeführt werden.
- Es gibt widersprüchliche Informationen zur Druckentlastung: Nach Wall Street Journal habe Tepco mit der Meerwassereinleitung gezögert, weil die wertvollen Reaktoren nicht durch Salzwasser beschädigt werden sollten (was eine Zerstörung der Reaktoren hätte bedeuten können). Nach eigenen Angaben und Aufzeichnungen stellte Tepco jeweils auf Meerwasser mit Verzögerung von 4 Stunden um.
- Zu späte Kühlung der Abklingbecken: Sowohl Tepco als auch die Regierung hätten sich in den ersten zwei Tagen nur auf die Reaktoren konzentriert und die Abklingbecken außer Acht gelassen.
- Keine Beteiligung des Militärs: Das Militär konnte lange Zeit nicht aktiv werden, da es nicht angefordert worden sei.
- Nach Wikipedia kritisierten vor allem US-amerikanische Experten eine zu späte Kühlung des Abklingbeckens von Block 4.
- Auch andere Organisationen vertreten die Ansicht, dass Tepco ihre Unterstützung zu spät erwogen habe.
- Die japanische Regierung habe verschiedene Gesuche und Angebote der USA, ihre Experten am Krisenmanagement zu beteiligen, abgelehnt.
- Über vierzig Experten für Nuklearunfälle aus der Nuklearsicherheitskommission der japanischen Regierung sind nicht herangezogen worden.
Die Liste ließe sich mit Sicherheit bei genauerer Kenntnis der Umstände erweitern. Nun mag der eine oder andere analysieren, dass Menschen eben Fehler machen und dieses ist auch unbestreitbar. Ich sehe allerdings mehr noch als dieses Problem des fehlerhaften Menschen. Ich sehe Menschen, befangen in komplizierten Abwägungsprozessen bei eingeschränktem Wissen und das ist kein spezifisch menschliches Problem. Ich wüsste so zum Beispiel nicht, welches Reglungssystem hier unbedingt besser funktionieren sollte. Warum sollten Computer besser agieren? Bis 2024 soll ja das erste menschliche Gehirn mit Computern nachgebaut sein (ähnliche Projekte gab es ja schon in den 80ern). Alle, die nun aber auf eine Ablösung der Menschen von der Weltwache hoffen, möchte ich ernüchtern. Ich gehe nämlich davon aus, dass auch Computer an dem Syndrom der perzeptiven Intelligenz leiden. Das heißt: Wir können nur das bedenken, was wir auch angemessen perzepieren. Können wir aber eine angemessene Perzeption der Realität erreichen? Bei minimal-invasiven Eingriffen in die Natur vielleicht. Bei großtechnischen Vorhaben wohl eher Nein. Auch Super-Computer werden an der Realität leiden, diese nicht kennen, sondern nur erschließen können. Auch wenn sie schneller und weiter rechnen und uns vielleicht überlegen sind, ist die Umwelt immer noch überkomplex und irreduzibel.
Zur Denkbarkeit der komplexen Realität
Zwar denken wir auf diesem Blog bereits Gedankenmodelle zur Größe des Universum, was ja als unvorstellbar gilt, aber womöglich haben wir nicht nur keine Ahnung von der Größe des Alls, sondern vielleicht auch keine Ahnung von der Komplexität der uns umgebenden Realität. Wir wissen nicht, inwieweit wir mit unserer Forschung bisher Komplexität reduziert haben. Wir wissen nicht, ob unser Wissen das Sandkorn und unser Unwissen das weite Meer ist. Vielleicht sind wir nah dran, vielleicht aber auch Lichtjahre von der Realität entfernt. Angesichts der Katastrophenentwicklung in Fukushima und auch angesichts unserer Unfähigkeit eigens initiierte Wirtschaftsprozesse zu steuern, tippe ich aber darauf, dass wir eher entfernt von wahrhaftem Verständnis sind. Im Übrigen wäre allerdings auch das Verstädnis, als jede Abbildung der Realität immer noch einen Tick zu spät, denn die Realität denkt einfach schneller als jedes Gehirn und rechnet tiefer als jeder Computer. Es geht also beim Erfassen der Realität noch mal um das größere Problem, nicht nur eine Kopie von der Welt zu erstellen (hinterher ist man schließlich immer schlauer), sondern den Chaosmos als Kosmos in die Zukunft zu entwerfen.
Natürlich kann der beinharte Realist nicht nachvollziehen, warum das Problem der Realität seit gut 3000 Jahren die Philosophie nicht aus dem Schwitzkasten lässt; doch die Alltagswelten, an denen sich unser Verstand geschult hat, waren nie als Schule für die Realität gedacht. Unser Alltagsverstand ist konstruiert für ein Kontinuum der Zeit in einer begrenzt erfahrbaren und begrenzt gefährlichen Wirklichkeit. Und selbst wenn wir vom Standpunkt des im Alltag eingebetteten Verstandes zur prosyllogistischen Vernunft aufsteigen, die ja als prosyllogistische immer noch tiefer in die Ursachen unseres Denkens einzudringen versucht, selbst dann ist nach Kant der höchste Begriff, den wir erreichen können, der zweideutige Begriff vom Begriff, untauglich für die Beherrschung der Realität. Auf den Begriff gebracht ist nämlich das Sein die Realisierung aller möglichen, anwendbaren Prädikate. Erläutern wir das mal kurz: Wenn ich einen Stein angemessen charakterisieren möchte, das heißt, dass ich mit meiner Beschreibung nur diesen Stein und keinen anderen in seinem eigentümlichen Wesen erfasse, dann muss ich dazu Begriffe verwenden. Ich verwende dazu aber nicht nur eine eingeschränkt Anzahl an Begriffen, sondern alle Begriffe (um genauer zu sein alle Prädikate), denn entweder kommt der Begriff dem Stein zu oder er kommt dem Stein nicht zu. Wenn mich also einer fragt: „Ist der Stein ein Tier.“, dann weiß ich: „Nein“. Fragt mich einer ist „Ist der Stein aus dem und dem Material“, so sage ich „ja“. In dieser Weise beziehe ich alle Begriffe auf den Stein und erfasse sein Wesen. Analog gilt dies, wenn wir das Sein, also die gesamte Realität, beschreiben wollen. Das Sein oder die Realität ist die Realisierung aller möglichen und anwendbaren Prädikate. Hierbei würden wir aber nach Kant auch wieder einen Fehlschluss haben, und zwar dann, wenn wir diesen Begriff für das Sein als real nehmen würden, da dieser Begriff ja nur die Möglichkeit des Sein nach dem Begriffe bedeute, was zwar gut, aber bei weitem noch beschränkt ist. Wir haben damit nur den Begriff unserer Realität, die (aber das kann ich hier nicht erläutern) auf Realität durch die Denkbarkeit der Realität bezogen ist. Realität denken reicht aber nicht und diese Erfahrung muss jeder machen, bei dem ein gut geplantes Projekt wegen kleiner Widerlichkeiten grundlegend in die Hose geht. Jeder Realismus kann daher nur ein fallibler Konstruktivismus sein.
Konsequenzen für die Praxis?
Was heißt das nun aber für unsere praktischen Gebote; was heißt dies für Fukushima? Abwarten Tee trinken und dann die Hände über den Kopf schlagen sowie panisch durch die Gegend laufen? Ich halte tatsächlich angesichts solcher Nuklearkatastrophen wie in Fukushima Aktionismus für angebracht. Ich glaube das Fukushima noch ein geringeres, beherrschbareres Problem ist, vor allem in Anbetracht der Probleme, die uns noch bevorstehen. Daher müsste größtmöglicher Einsatz aller zur Verfügung stehenden Mittel auch Erfolge bringen. Zwar ist das Problem komplex und wir können es keineswegs perfekt auflösen, aber es bedeutet auch noch nicht den Weltuntergang. Zwar erwog Tepco zwischenzeitlich schon alle Arbeitere abzuziehen und das Kraftwerk aufzugeben, aber so weit sind wir nicht, da eine Kühlung offensichtlich erfolgreich ist. Ich bin überzeugt, dass Ingeniere daher bessere Lösungen parat haben als ich. Dies heißt aber allgemeiner gesprochen nicht, dass sie diese notwendig haben müssen und es heißt nicht, dass Ingeniere eine der Gesamtrealität angemessene Risikokalkulation überhaupt durchführen können, sondern nur, dass sich Fukushima noch als menschkonstruierte Wirklichkeit auf entsprechende Handhabbarkeit reduzieren lässt. Beim Klima oder anderen Problemen, die auf uns zu kommen, mag das anders sein. Mehr als Komplexität zu reduzieren, können wir daher nicht versuchen.