Bahnphilosophie und das Transportgut „Mensch“

Die Bahn ruft zur Moral aus Marketingründen

Ich suche auch den Mitarbeiter mit Herz bei der Bahn, allerdings nicht aus Marketinggründen, wie es vielleicht die Bahn auf dem Poster oben verfolgt.

Ãœber den Sinn der Bahn lässt sich vielfach spekulieren und philosophieren. Genau benommen ist die  Bahn ja nur ein leblos stählerner Transportschlauch, der Menschen flexibilisiert bei ihrem Wunsch in der großen, weiten Welt zu arbeiten. Da nun aber ganze Menschenströme durch diese Röhren fließen, so möchte die Bahn doch auch immer mehr sein als nur das Vehikel, das Menschen nützt. Neben einer Institution also, die für das Wohl der Bevölkerung bestimmt ist, etabliert sich der Gedanke, dass mit der Bahn Gewinne eingefahren werden können. Ganz klar heißt dies: Die Bahn nimmt mehr ein, als sie kostet. Im Zuge des Neoliberalismus der letzten Jahrzehnte haben sich wohl Menschen, die gerne in Amerika studierten, genau dieses gedacht und so wurde die verschlafene Behörde mit Rekordverlusten zu einer Unternehmensstruktur umgepolt, die dieses Jahr einen Rekordgewinn von 2,6 Milliarden Euro ansteuert. Je weiter also die Wirtschaftsinstitution sich erhebt, desto irrelevanter werden Fahrpreiserhöhung und müssen nicht gerechtfertigt sein. Gleich gegenüber den Gewinnen ist die Bahn daher daher auch dieses Jahr teurer geworden. Das Wirtschaftsunternehmen „Bahn“ mit der Philosophie des Erfolgs stört das wenig. Bisher teilten die Bahnmitarbeiter mir immer selbstbewusst mit, sie seien schließlich ein Wirtschaftsunternehmen, womit dann der Transport der Menschen nur Mittel zum Zweck wäre.

Ohnehin hatte ich mich gewundert, dass im Jargon der Bahn überhaupt noch zwischen Güterverkehr und Personenverkehr unterschieden wird. Vor allem sind Menschen doch nach Maßgabe der Wirtschaft verrechenbare Güter, die dementsprechend auch abgerechnet werden. Der Sinn der Trennung mag nur in den unterschiedlichen Anforderung beim Transport der Fracht liegen. Klar, eine Kiste mit Schrott muss anders geladen werden als ein paar Menschen.

Der Bahn als Wirtschaftsgigant geht es also weniger um die Belange ihrer Fracht oder den Auftrag, den Verkehr zu reduzieren und damit eine umweltfreundlichere Welt zu ermöglichen, sondern vor allem darum, Gewinne zu machen und sei es auf Kosten ihres Transportguts. Ist eine konsistente Philosophie der Bahn aber tatsächlich durch Gewinnmaximierung begründbar oder kann ihr Endzweck nicht doch nur der Mensch sein?

Zur philosophischen Bestimmung unserer Gründe

Philosophisch-moralisch ist die Sache klar: Der Endzweck aller Betätigungen der Menschen kann letztlich nur der Mensch sein. Selbst die Wirtschaft gehorcht damit nicht den ihr innewohnenden, nüchternen Gesetzen, sondern ist der Bestimmungskraft einer Menschheit unterworfen. Diese Menschheit widerspricht sich dann in ihrem Wesen, wenn sie den formalisierten Traum vom Reichtumg zum Ideal einer Gesellschaft macht und damit letztlich ihre unheilvolle Philosophie bestimmt. Der Traum reicher als die Anderen zu sein, kann naturgemäß nur wenigen zukommen. Unter dieser falsch ausgeprägten Philosophie aber ist es dann tatsächlich so, dass ein Mensch immer von einem anderen Menschen als Gut genommen werden kann. Gewinnsteigerung auf Kosten der anderen also darf dies eine Gemeinschaft zulassen? Im Grunde ist der Kompromiss unserer sozialen Marktwirtschaft schon so bestimmt, dass Gewinne des Einen auch immer ein Gewinn für die anderen sein sollen. Dies sei die Theorie des komparativen Vorteils.

Die Bahn hatte ihre Gründe, wenn sie die Ausstellungen zur Bahn im Dritten Reich nicht zulassen wollte. Gerade durch und durch formalisierte Betriebe neigen nämlich dazu, die substantiellen Bedingungen ihres Arbeitens nicht mehr zu durchdringen. Bei einer Bahn mit allein wirtschaftlichen Beweggründen zumindest, wird der Mensch als Anderer eher zur verrechenbaren Größe.

Zur Arbeitsphilosophie bei der Bahn

Bei der Bahn geben sich die Mitarbeiter gewohnt zugekniffen und zynisch, so heißt es: Wenn ihre Arbeit nicht von ihnen gemacht werde, würde sie jemand anders machen. Die Rädchen im Getriebe, als welche sie sich sehen, sind wohl die ausstauschbaren Momente, die unangreifbar sind. Große Betriebe wie Staatengebilde laufen daher immer Gefahr, dass sich eine Dynamik der Amoral einschleicht. Angesichts der Unternehmensphilosophie, die Hartmut Mehdorn noch prägte, dürfte sich dies vermuten lassen. So ließ dieser Privatdaten abgleichen und gar Videoaufnahmen von Tankstellen überprüfen, um Kritiker aus dem Unternehmen zu kündigen. Auch der philosophisch-amoralische Versuch der Bahn sich Positiv-Beiträge in den Medien zu erkaufen, hinterließen ein negatives Schlaglicht. Diese Unternehmensphilosophie kommt letztlich auch beim Kunden an, weil Mitarbeiter in einer philosophisch-amoralischen Bahn dementsprechend geprägt werden.

Moralisch unfähige Mitarbeiter

Im Mai diesen Jahres stieg ich in die Bahn ein, um kurz vor der Fahrerkabine einen vermutlich angetrunkenen Mann bewusstlos am Boden liegen zu sehen, der eine Platzwunde am Kopf hatte. Ein zugestiegener Zugführer (denn in Hagen ist wohl immer Zugführerwechsel) stieg ratlos an diesem vorbei, der andere Zugführer schaute sich mit der Schaffnerin das folgende Schauspiel an, unternahmen allerdings nichts:

Ich brachte also den Mann mit meinen mangelnden Kenntnissen in die stabile Seitenlage und überprüfte seinen Mund nach Fremdkörpern. Ein anderer Mann kam mir zur Hilfe, um seinen Puls zu nehmen. Auf Ansprache reagierte der Mann zunächst nicht. Die zwei gaffenden Zugführer sowie die Schaffnerin musste ich dann anweisen, einen Krankenwagen zu rufen als auch die Polizei zu informieren, da sich zwei Personen zuvor aus dem Staub gemacht hatten, die offensichtlich darin involviert waren. Die Herrschaften von der Bahn reagierten nur mit Widerwillen, da dies eine Fahrplanverzögerung bedeutete und der Mann für diese offensichtlich betrunken war. Einem Betrunkenen zu helfen, stellte wohl für diese ein zu hohes Risiko dar oder wäre ohnehin vergeblich. Glücklicherweise kam der Mann sodann zu sich, bedurfte allerdings weiterer medizinischer Versorgung. Nun die Geschichte brauche ich nicht weiter ausbauen. Ich hatte an diesem Tag meine mündliche Abschlussprüfung im Fach Philosophie und war leicht verärgert, dass die Bahn offensichtlich ihre Mitarbeiter für solche Situationen nicht geschult hatte. Philosophisch-moralisch gaben diese ein klägliches Bild ab, weil Sie sich einzig dazu fähig zeigten, nach Widerwillen einen Arzt zu informieren und mir irgendwann Aidshandschuhe gaben, weil mein Arm doch schon etwas blutverschmiert war.

Ein anderes Beispiel, was wohl die Unfähigkeit der Bahn betrifft, organisatorisch mit ihrer Moralfähigkeit ins Gericht zu gehen, ist natürlich meine geplante Heimfahrt an Weihnachten. Nun ist es mir ja nicht vergönnt, während der Weihnachtszeit in die Heimat zu fahren. Der Grund ist, dass ich mir ein Bahnticket momentan nicht leisten kann. Dabei hatte ich bereits ein Sparticket gekauft, allerdings war dieses aufgrund eines dummen Fehlers meinerseits nicht gültig. Der Fehler bestand allein darin, dass ich das Ticket mit der Kreditkarte meiner Mutter gelöst hatte, was mir bald auch auffiel. Auf dem Ticket steht demnach mein Name und auch die Kreditkartennummer meiner Mutter, die sie mir zum Gebrauch übergeben hat. Sie gab mir gar eine Vollmacht. In der Folge sah sich die Bahn außer Stande, dieses einzusehen und vermutete in mir einen Betrüger der Extraklasse. Es war unter keinen Umständen möglich, die Bahn zu eine Gewährung der Gültigkeit des Tickets zu bewegen, so dass ich es nun gestern kurz vor Weihnachten stornieren musste. Eine Kleinigkeit, die durch ein Schreiben, welches ich dem Schaffner vorgezeigt hätte, schnell beseitigt gewesen wäre. Warum folgte aber die Bahn an dieser Stelle ihrem formalen System? Ist es hier unmöglich eine Ausnahmeregelung zu treffen. Genau hierin verbirgt sich ein grundsätzliches philosophisch-moralisches Problem, was durch das Streben der Bahn nach blinder Wirtschaftlichkeit entsteht:

Das philosophisch-moralische Problem mit formalen Systemen

Formale Systeme werden nach den Maßstäben philosophischer Gerechtigkeit geschaffen, um das gemeinschaftliche Miteinander zu regeln, so beispielsweise unser Gesetz. Im Falle der Bahn werden formale Systeme auch (was ebenso legitim ist) geschaffen, um die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. Es ist sinnvoll, dass Menschen ihre Tickets mit geringstem Aufwand im Internet lösen. Das Problem aber an formalen Systemen ist, dass diese nur eine beschränkte Anwendbarkeit haben, da die Vielfalt der menschlichen Interaktionen nicht auf dieses System zu reduzieren ist. Das heißt: Menschen machen Fehler, die nicht beabsichtigt sind. Hier muss nun an dieser Stelle, dies weiß jeder gute Schüler vom Philosophen Kant zu berichten, die reflektierende Urteilskraft ihr Geschäft übernehmen. An den Grenzen der formalen Systeme wägen wir mit einer gesonderten und so genannten Urteilskraft ab, ob es sich um ein gravierendes Problem handelt, ob das System hier gerechtfertigt umgangen werden muss. Ist dies der Fall, so müssen wir Ausnahmen gewähren lassen, andernfalls werden wir Ungerechtigkeiten erzeugen. Diese Ausnahme wäre in diesem Fall nicht willkürlich, sondern durch die Unzulässigkeit des formalen Systems in bestimmten Fällen begründet. Im Beispiel ganz klar: „Achso, Sie haben dies versehentlich falsch eingetragen. Es gibt keine größeren Konsequenzen, wenn dies geändert wird. Warten Sie, ich korrigiere die Eintragung kurz oder sende Ihnen ein Schreiben für den Schaffner.“ Es widerspricht auch nicht, dass nun natürlich andere mögliche, abwägbare Fälle da hineinspielen, denn auch hier muss die Urteilskraft wiederum walten.

Die Urteilskraft ist im übrigen auch in der Philosophie von Kant, jene Kraft, die die Implementierbarkeit der formalen Ethik und Gerechtigkeit im Alltag ermöglicht. Etwas wozu die Bahnmitarbeiter allerdings nicht fähig sind, da ihnen entweder niemand sagt, dass sie in Einzelfällen (wie jeder Mensch in seiner Freiheit in ungerechten Situationen) genau diese Urteilskraft einsetzen müssen.

Seien wir gerecht, der Gebrauch der Urteilskraft, ist nicht nur ein Frage der Fähigkeit, sondern auch eine Frage der philosophischen Moral: Wenn dann der Kunde, wie ich einer bin, nicht als Mensch, sondern als transportierbares Gut angesehen wird, so greift in der Regel die Urteilskraft nicht, da es sich nicht um moralisch relevante Sachverhalte handelt. Gerade, wenn also ein Unternehmen nur wirtschaftlich denkt, zeigt sich dieses System als unmenschlich. Demnach ist es auch vollkommen verständlich, dass meine Mutter von einer Mitarbeiterin der Bahn verlacht worden ist, als sie ihre Betroffenheit zum Ausdruck brachte, dass ich Weihnachten mit meiner Familie nicht da sein werde. Diese Mitarbeiterin erklärte ihr daraufhin natürlich mit Nachdruck, dass es sich bei der Bahn um ein Wirtschaftsunternehmen handele, wobei sie dann nach gravierenden Argumenten gegen sie bald nicht mehr bereit für ein klärendes Gespräch war und schlicht auflegte.

Mit Sicherheit bin ich jemand, der hohe philosophisch-moralische Standards setzt, so musste auch eine Mitarbeiterin der Bahn meine Thesen am Telefon ertragen, die mir immer wieder versicherte, dass sie für Moral nicht zuständig sei und nur das System warte. Das aber gerade jene Systemleidenschaft der Deutschen immer wieder zu Problemen führt, wenn denn die Urteilskraft nicht ihre Rolle übernimmt, dies sehen Menschen ohne philosophische Bildung leider selten.

(Seitenbeispiel):

So versuchen wir ja auch gerade beim Netzwerk Betroffener sexualisierter Gewalt eine der Aufhebung der Verjährungsfristen bei sexuellem Kindesmissbrauch zu erwirken. Hier aber versteht sich die Gesellschaft noch nicht so ganz auf ihr philosophisch-moralisches Kerngeschäft, wo es letztlich um den Menschen als Endzweck geht, weswegen auch dort die Verjährungsfristen aufgrund ihrer Formalität noch gerne von Juristen verteidigt werden (ein Positionsschreiben dazu, an dem ich mit unserem Anwalt mitwirke, lässt sich hier sehen: Positionspapier zum Rückwirkungsgebot bei den Verjährungsfristen)

Zusammenfassung zur Philosophie der formalen Systeme

Ich fasse also zusammen: Zwar ist es richtig, dass formale Systeme die Arbeit effizienter und insgesamt gerechter gestalten, allerdings bleiben dabei Ausnahmen verborgen, die in einem Gespräch zwischen zwei Menschen eigentlich schnell gelöst werden könnten. Ist derjenige aber, der sein System anwendet, so überzeugt von dessen formaler Überkorrektheit, so treten hier schnell gravierende Ungerechtigkeiten in Einzelfällen auf. Die Bahn ist in dieser Hinsicht nicht in der Lage, eine Sonderregelung zu treffen (ein simples Schreiben für den Bahnschaffer, dass mein Ticket Gültigkeit besitzt, würde schließlich schon reichen), stattdessen blieb für mich nichts weiter übrig als das Ticket zurückzugeben und Weihnachten allein in Köln zu verbringen.

Eigene Blödheit heißt es da wohl, aber es ist eher einem versteinerten Bahnsystem geschuldet, das keine Ausnahmen duldet. Vielleicht hat die Bahn im Zuge ihrer Ökonomisierung und der Vorbereitung eines möglichen Börsenganges übersehen, dass sie nicht einfach nur Ware von A und B bringen, sondern dass hierbei mitunter auch Menschen dabei sind, die im Übrigen auch als Betrunkene am Boden verrecken können. Bedenken wir die Vorfälle der letzten Jahre, wo Menschen im ICE fast den Hitzetod starben, so wird uns klar, dass die Bahn womöglich bei allen wirtschaftlichen Interessen tatsächlichen den letzten Grund ihres Bestehens vergisst, nämlich den Menschen. Damals lagen Rentner in überhitzten Gängen der Bahnen am Boden und ich erinnere mich noch an die Berichte, wie eine Schwangere versuchte, letztlich die Scheiben einzuschlagen. Brütend heiße Transportschläuche der Bahn transportieren also ihre Fracht. Für die Bahn wären dabei nach ökonomischen Gesichtspunkten womöglich alle formalen Kriterien erfüllt gewesen, die Ware wäre pünktlich geliefert worden, auch wenn sie tot gewesen wäre.

 

 

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Eine Antwort auf Bahnphilosophie und das Transportgut „Mensch“

  1. Anka sagt:

    Sehr gute Analyse, bitterböse zum Schluss, aber leider wahr gemäß eigener Erfahrung. Diesen offenen Brief sollten alle Bahnmitarbeiter lesen und in Ihre Gedanken und Herzen fließen lassen , nicht nur zur schönen Weihnachtszeit. Vielleicht besinnt sich dann doch der eine oder andere oder aber insbesondere auch die Führungsetage, damit auch hier beständige Mitmenschlichkeit einziehen kann. Darauf fröhliche Weihnachten 2011 und allzeit gute Reise und gute Ankunft AHO Anka

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