Wie der Mensch am Menschen leidet – Zum Verständnis der Freiheit in uns

Portrait of old man

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Ans seine Geliebte schreibt der Philosoph Laslo Puljanov 1903 folgende Zeilen über Freiheit:

„Ach Sie! Und schon reden Sie mit mir so wirres Zeug. Sie sagen: Ich könnte Sie von der Liebe nicht überzeugen, da Sie nur in ihrer Freiheit ihre Liebe und Leidenschaften finden. Was aber wenn all ihre Leidenschaften nur Momente einer unheilvollen Wirkungskette sind? Was wenn sie Folge ihres Gehirns sind? Keine Poesie, daher schauen Sie auf mich. Seitdem sie mich verlassen haben, steht in mir nun diese Flammenwand aus Gefühlen, die einer nicht durchschreiten kann – nicht zu mir selbst und nicht zu Anderen. Ich kann mich mit keinem Gedanken länger als eine Minute von mir oder Ihnen ablenken… der ewig gleiche Gedanke brennt immer wieder, wieder und wieder. Nichts kann es in mir vertauschen, die Karten in mir neu mischen, nochmal auf den Moment zurück drehen, in dem alles anders sein würde. Sie sehen ich kann mir und meinen Gedanken nicht entkommen, auch wenn ich es so sehr wollte. So sehr ich es wünschte, die Leidenschaften in mir sind eine fremde Wirkung von mir… ein Wille, den ich selbst nicht wollen kann, der in mir brennt.

Ach, und diese ganzen Worte, die wie flüssiger Kitsch aus mir heraustropfen, so viele Zeilen… Wie viel Selbsterforschung können wir uns noch leisten, wenn wir vielleicht nicht mehr sind als ein Etwas, das mit höchster Präzision letztlich das ist, was es gewesen sein wird? Ein willenloser Wille. Freiheit, wie könnte einer daran glauben, wenn alles in seinem Leben sich so geschlossen aneinander fügt, dass sein Leben auch jemand anders hätte gelebt haben können? Ach aber ich kann ihnen aus merkwürdig moralischen Gründen dieses vermeintliche Ding der Freiheit nur lassen. Ein Hoch daher auf die tiefste Verdrängung in mir. Aber lassen sich mich fragen: Ist diese Verdrängung meine Freiheit? Nein, ich bin Sklave von selbst erwählter Moral und daher Vollendung des Menschen. Der letzte Mensch ist sein Leiden am Guten. Das Gute lebt krank und gebrechlich.“

Wie hier so tat sich der doppelte Boden der Freiheit vielen Philosophen als Abgrund auf: Freiheit verstanden als die Wahl, nicht der eigenen Stärke zu entsprechen, anders zu wählen, gegen die eigenen Wünsche. Diese Wahlfreiheit war so gnadenlos an das Gute gekoppelt. Daher war Freiheit immer ein Zwang gegen sich selbst.

Das heißt auch, dass die Freiheit des Einen der Zwang des Anderen sein muss. Wie anders sollte der Eine seine Freiheit erhalten, wenn er den anderen zu seiner egoistischen Freiheit nicht zwingen würde? Umgekehrt muss die Freiheit des Anderen der Zwang des Einen sein? Dieses macht den Begriff Freiheit kompliziert. Wir sind der Zwang als die Freiheit des anderen und als Freiheit sind wir der Zwang des Anderen.

Hier keimt verständlicherweise ein Einwand: Doch wenn dann zwei sich liebten, wäre es Freiheit, wenn beide nur das täten, was sie wollten? Vielleicht ist auch dies keine Erlösung, denn sind sie beide nicht verstanden in Bezug auf die Gesellschaft? Die zwei sind frei in Bezug auf die Vielen. Somit entspinnt sich eine Dialektik zwischen dem Zwang der Gesellschaft und den Liebenden? Der egoistische Familienbetrieb, der Liebeskitsch war daher in der französischen Revolution nicht gern gesehen und viele Philosophen gestatten sich die Gedanken, den Eltern ihre Kinder zu nehmen, um diese für den Staat zu erziehen.

Letztlich laufen alle Fäden auf den absolut Anderen zu und vielleicht ist unsere Freiheit nur eine Marionette eingesponnen in diesen Fäden des Anderen, der wir nicht sind. Kierkegaard nannte diesen absolut Anderen „Gott“, andere „Verzweiflung“.

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Auch Nietzsche erkannte die Sklaven der Freiheit, jene, welche mit ihren Werten den Untergang der unreflektiert Starken erzwangen. Sie zwangen ihre Werte den Raubvögeln auf. Diese Sklaven der Freiheit verachteten den Raubvogel wie Schafe. Seine Stärke stand in der Kritik und der Stärkere gab nach. Nach Nietzsche war diese Entdeckung von Freiheit Ursprung unserer Gesellschaft. Und so verachtete Europa bald die blonde Bestie, den Herrscher aus Instinkt. Dieses Raubtier war wie der Blitz untrennbar vom Licht und herrschte nur im Angesicht seiner Instinkte und seiner Stärke. Zwischen Instinkt und Welt war keine Seele wie ein dünnes Jungfernhäutchen gespannt und so auch die Moral noch nicht geboren (vgl. Nietzsche: Genealogie der Moral, Essay I, 13). Das Raubtier, der Raubvogel, die blonde Bestie handelte nur gemäß seiner Stärke. Die Reflexion der Sklaven, dass er, der Starke, doch der Böse sei, bedeutete dem Starken nichts. Im Sein der Macht war kein Zwang und keine Freiheit, höchstens Adel und Reinheit.

Nur wo die Menschen den Blitz denkend vom Licht schieden, wo sich ein Subjekt und Prädikat auftaten, dort konnte ein Subjekt auch anders handeln. Mit der Sprache und ihrer teilenden Kraft, dort spaltete die Gesellschaft den Instinkt der blonden Bestie von der blonden Bestie. Der Starke als Subjekt musste nicht mehr als Starker handeln, nicht mehr kriegen, er wurde zahm. Die domestizierte Bestie war  gezügelt in einer Gesellschaft, die an Freiheit glaubte. Die Bestie kehrte sich nach innen und entdeckte den letzten Rest seiner Instinkte: Eine bissige Seele, sich selbstzerfleischend war der Mensch geboren.  Seele, dieses alte, deutsche Wasserwort, verweist auf diesen unreinen Seelengrund. Dort am Seelengrund aber konnte nur ein menschliches, bissiges Gewissen liegen. Die Seele wurde so das Leiden der Menschheit.

Wie kann der Philosoph also den Moment seiner Freiheit durchdringen, wenn er ihm stets nur in Gewissensbissen vermittelt sein kann? Der Gewissensbiss sagt: Wir sollen anders handeln als unsere Stärke. Die Schwäche verlangt von den Starken sich zu zügeln, doch die Schwachen müssen keine Kräfte zügeln und verlangen Moral, die sie nicht leben. Der Starke ist auch in noch in seiner Moral stärker als der Schwache.

Sind wir aber nicht nur gezügelte und domestizierte Liebhaber, Träger von Leidenschaften, die nun das Schlechte in uns sind? Es ist eine Pein Seelengründe im Selbst zu entdecken, die nur das Schlechte für den Anderen sein können. Wir sind konstant dieses Schlechte und verlangen Heilung. Dieser Seelengrund ist im Trüben, im tiefsten Abgrund verborgen und vielleicht undurchschaubar. Eine Schöpfung ohne Schöpfung, ein Leiden am Sein, eine Wunde für den Arzt, eine Wunde für die Demokratie, die sie einst riss, um sie schließlich zu behandeln. Dieser Seelengrund ist das Mitleid mit den Menschen, eine unheilbare Wunde. Dies ist der Seelengrund, der uns zum Handeln nach Gründen suchen lässt, die auch die Schwachen verstehen, nach Gründen um endlich uns zu entkommen.

File:Nietzsche Olde 07.JPG

Leiden Am Menschen (Public Domain)

Hieran leitet sich die Frage: Woher nehmen wir die Gründe? Hat die Welt Gründe oder ist sie nicht eher was sie ist, wobei der Grund sich aus den Tiefen des „Seelengewässers“ hervorzaubert? Hier ist sie verborgen die Doppel-Natur des Menschen zwischen freiem Zwang und zwanghafter Freiheit, zwischen Grund geben und Grund finden. Es ist sein Leiden an der Liebe zum Schwachen. Der Starke begründet nicht, eigentlich. Doch der Starke ist der, der am stärksten an der Moral leidet.

 

Ich hoffe der Artikel hat ein paar Perspektiven auf die Frage der Freiheit eröffnet. Wenn euch für mehr solcher Texte interessiert dann added mich doch bitte bei Google+, abonniert mich per E-mail oder tretet der Facebookgruppe oben rechts bei. Ein RSS-Feed  ist natürlich auch vorhanden sowie eine “gewaltig interessante” Pinterestwall zum Thema „Philosophie“. Ansonsten könnt ihr mich gerne anschreiben, wenn ihr mal gemeinsame Projekte im Sinn habt.

Norman Schultz

 

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