Umweltwissenschaft zwischen Realismus und Konstruktivismus – So objektiv wie ein Objektiv?

Ein wesentlicher Fehlschluss ist wohl die Aussage von Ökofans, dass die Erde den Menschen nicht verdient habe, gefolgt von dem Witz, wie zwei Planeten sich treffen, wobei der eine gerade die Krankheit „Mensch“ hat und der andere ihm erklärt, dass das vorbei ginge. Dennoch eine Natur-an-sich als Selbstwert zu setzen, würde einen unzulässigen naturalistischen Fehlschluss bedeuten, da aus dem Sein einer Welt ein Sollen abgeleitet werden würde. Nur weil es aber in der Welt zum Beispiel Evolution gibt, heißt das nicht, dass damit ein Sozialdarwinismus gerechtfertigt wäre. Dass bloße Sein der Welt, spricht nämlich auch nicht für die Rechtmäßigkeit ihres Daseins. Umwelt ist keineswegs aus sich selbst heraus normativ, andernfalls müssten wir mehr noch als die die Mönche des Jainismus, die ständig mit Handfeger herumlaufen und alle Natur aus ihrem Weg kehren, uns selbst aus der Welt kehren. Diese Möglichkeit der Verneinung im Menschen wird nie konsequent genutzt, denn konsequent wäre diese Argumentation mit der Negation seiner selbst im Selbstmord. Stattdessen werden potentielle Verwandte instrumentalisiert: „Ich will keine Kinder, da die Welt den Menschen nicht verdient hat.“ Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob solche Kinder Eltern verdient hätten, die so etwas sagen. Eltern die wegen der potentiellen Schlechtigkeit der Kinder sich gegen sie entscheiden, sind doch wohl wirklich merkwürdig oder?

Verhandlungsbasis „Mensch“

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Naturwissenschaft: So objektiv wie ein Objektiv? Fot von Kriechstrom

Aber ist der Mensch nicht selbst ein Stück Natur und müsste dieses Stück Natur dann nicht auch normativ sein? Auch die radikale Ökologie kann daher nicht ohne Verhandlungsbasis „Mensch“ eine Kritik begründen. Alternativ zur Normativität der Natur-an- sich von Ökofans gesellt sich die Objektivität der Erforscher der Natur-an-sich, den Naturwissenschaften. Diese Sperrspitze des Realismus soll uns sagen, was Sache ist. Diese Naturwissenschaften allerdings, die sogleich die Natur als abgetrennt von der Menschheit sehen, gehen von einer prinzipiell beherrschbaren Welt aus, die man sich mit den richtigen Formeln, Geräten und Schwellwerten Untertan machen kann. Aber ist Naturwissenschaft so objektiv? Die französischen Kernforscher schätzen die Risiken der Kernkraft zum Beispiel ganz anders ein als die deutschen Kernforscher. Sollten die Forscher hier nicht zu einem einheitlichen Votum kommen, wenn die Wissenschaft selbst objektiv ist? Kann die Naturwissenschaft mithin tatsächlich Weltdeutung leisten? Kann sie die Natur-an-sich kennen? Beinharte Realisten würden diese These bis aufs Messer verteidigen.

Kulturelle Deutungen in der Naturwissenschaft
Irgendwo aber mischen sich auch bei den so nüchternen Naturwissenschaftlern kulturelle Deutungen mit ein. Kulturelle Deutungen sind immens wichtig für die jeweilige Ausprägung des Umwelthandelns. Während in Deutschland zum Beispiel die Abschaltung der AKW’s gerade beschlossen wird, denken die Japaner darüber nach, wie man Atomkraftwerke nun ein für alle male sicher machen kann (wobei die Fragen der Endlagerung noch nicht einbezogen sind). Beck folgert daher ganz kantisch und richtig: Naturwissenschaften ohne soziale Rationalität seien leer.

Dieser Aussage setzt er aber auch entgegen, reine soziale Rationalität ohne Naturwissenschaften sei blind. Denn ohne die partielle Aufklärung der Naturwissenschaften (egal wie weit sie nun konstruktivistisch oder realistisch sind) würde es auch kein Ökologiebewusstsein geben. Erst die Naturwissenschaft hat das Ozonloch größeren Öffentlichkeiten zugänglich gemacht, die sich dann entschied, dagegen zu agieren. Die Umwelt, in der wir handeln, ist gefährlich. Aber diese Gefahren müssen erst erkannt und so konstruiert werden. Die Frage ist nur: Welche Teile der Realität bearbeiten wir gerade? Können wir Kul-Welten durch Mathematik so reduzieren, dass wir alle Gefahren erkennen? Es könnte zum Beispiel sein, dass gewisse Ausstöße unserer Industrie noch gar nicht als Risikopotenzial eingeschätzt werden, aber erst in einigen Jahrzehnten ihre Entdeckung finden werden.

Wir sind uns also soweit einig, dass es reale Gefahren der Modernisierung gibt. Wie wir uns dieser aber bewusst werden, haben wir noch nicht einmal angefangen zu bedenken. Und hier sind wir eben bei einer konstruktivistischen Position, die nicht besagt, dass es nur das gibt, was wir uns vorstellen, sondern dass wir nur das kennen können, was wir selbst konstruieren (ganz kantisch also). Wir müssten nun überlegen, ob es bessere Möglichkeiten gibt, mit den potentiellen Gefährdungen, also den Risiken, umzugehen als die bisherigen. Zugegeben dabei bin ich auch etwas ratlos, daher ist es vielleicht sinnvoll, zunächst die Risikoproduktion genauer zu durchdenken.

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