Verjährung und sexualisierte Gewalt an Kindern

In einem Gastauftrag von Liza Stein habe ich mich der Frage nach Verjährung in besonders schweren Fällen der sexualisierten Gewalt gegen Kinder gewidmet. Der Beitrag kann auf „Netzwerk Betroffener sexualisierter Gewalt“ nachgelesen werden.

Die Frage nach der Verjährung in Fällen sexualisierter Gewalt gegen Kinder war im Rahmen der Gerechtigkeitsbegriffe, die unser Miteinander prägen, relativ schwierig zu bearbeiten. Und es ist eine vertrackte Argumentation geworden. Mein Argument lautet, dass der Staat mit der Gewährung der Verjährung und der Verwährung der Klagemöglichkeit des Opfers zwar versucht Ausgleichsgerechtigkeit herzustellen, zugleich aber damit die grundlegende Gerechtigkeit, sich als freie Person entwickeln zu dürfen, dem Opfer verwehrt. Die Schwierigkeit als Opfer Klage zu erheben, hängt mit der Schwere der Tat zusammen, die es dem Opfer über Jahre verunmöglicht sich überhaupt an die Taten zu erinnern. Der Täter nimmt dem Opfer also  die Möglichkeit sich frei zur eigenen Vergangenheit zu verhalten. Die Gewährung auf Verjährung als Ausgleichsgerechtigkeit ist daher nicht im Sinne unseres Rechtsstaat, da die verwährte Freiheit für das Opfer für unseren Staat erst die Grundlage von Ausgleichsgerechtigkeit darstellt. Es geht ganz prinzipiell darum eine freie Person sein zu dürfen und zwar im höchsten existentiellen Sinne. Gerade hier widerspricht sich der Staat, wenn er das Prinzip der Ausgleichsgerechtigkeit gegenüber dem Täter, nicht mehr auf ewig verfolgt zu werden, gewährt, während er aber das fundamentalere Prinzip, die prinzipielle Freiheit jedes Mitbürger zu ermöglichen, mit der Ablehnung der Klagemöglichkeit verwehrt.

 Die Darstellung ist nun sehr theoretisch, spiegelt aber das Niveau der Problemlage wieder. Christine Bergmann, die ja als Bundesbeauftragte für die Fälle sexualiserter Gewalt eingesetzt worden ist, und bei Markus Lanz noch bekannt gab, alle Briefe der Betroffenen gelesen zu haben, mag hier um gewissen Ausgleichsgerechtigkeit bemüht sein, damit ist aber der Grundsatz der Gerechtigkeit noch garnicht berührt. Ich hoffe daher mit meinem Gastbeitrag einen anderen Weg der Thematisierung eingeschlagen zu haben und das Augenmerk stärker auf die prinzipielle Verletzung der Freiheit des Betroffenen zu lenken. Näheres zu der Problematik mit Christine Bergmann zeigt der folgende Bericht:




Zu den Grenzen der Menschheit:
Wir müssen uns doch fragen, welche Form der Gerechtigkeit wir wollen. Dabei sind zunächst die Forderungen recht einfach. Die Durchsetzung verfängt sich aber in einem System, das immer stärker zu den einzelnen Fällen durchdifferenziert. Das Prinzip der Gerechtigkeit ist kein einfaches und findet im Rahmen der Entwicklung unserer Geschichte nur Würdigung, wenn wir bereit sind, dieses immer weiter zu differenzieren, wie unsere übrigen Systeme sich auch stärker und stärker differenzieren. Dieses habe ich in dem Gastbeitrag versucht, indem ich die letzte Grenze unserer Gesellschaft thematisiert habe: Die menschliche Freiheit sich in diesem Staat frei verhalten zu dürfen.

(Selbst Durkheim erkennt ja bereits den Zusammenhang zwischen der Differenzierung unserer Gesellschaft und der Differenzierung unseres Rechtssystems. Als er sich fragt, wie die Differenzierung von Staaten gemessen werden kann, postuliert er diesen Zusammenhang und untersucht die Rechtssysteme verschiedener Staaten empirisch.)

Philosophischer Nachtrag:
Das Thema war bereits Frage meiner Magisterarbeit gewesen, wo ich in ähnlicher Weise untersuchte, ob sich aus den prozeduralen Bedingungen unseres Rechtssystems substantielle Ableitungen gewinnen lassen. Die Schwierigkeit meiner vorgeschlagenen Argumentation ist mir also bewusst, ich gehe allerdings davon aus, dass die prozeduralen Bedingungen unseres Miteinanders substantiell verpfllichtend sind.

Gegen Missbrauch: Hand
Von füthart
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