Die Gewalt der Demokratie (Grenzen der politischen Philosophie)

Iwo Jima Chronicles

Grenzen zwischen Gewalt und Demokratie (CC_Foto: Stefano Corso)

Welches Volk setzt die Philosophie der Demokratie um? Ich hatte ja schon festgestellt, dass selbst wenn eine Millionen Gegner eines Regimes auf den Straßen sind, es noch nicht die Mehrheit der Bevölkerung ist. Mit welcher Menge an Protestestierenden ist also ein kritischer Grenzwert erreicht, so dass wir von einer friedlichen Verlagerung zu demokratischen Strukturen sprechen können? Mit einer Masse über 50% haben wir zwar ein demokratisches Mehrheitsvotum, aber ist Demokratie die Entscheidung der Mehrheit? Kann die Demokratie die Diktatur der Mehrheit sein? Nein, daher ist zum Beispiel die Diskurstheorie des Philosophen Habermas auch nicht am Kompromiss, sondern am Konsens orientiert. Dies bedeutet, dass der Diskurs so lange geführt werden muss bis alle potentiellen Argumente ausgetauscht worden sind und der zwanglose Zwang des besseren Arguments siegt. Diese Philosophie ist natürlich ideal und es braucht eines Prinzips dieses philosophische Ideal auch in der Realität anzuwenden.

Demokratie und nichts anderes! Wäre es denn demokratisch gegen die Demokratie zu stimmen? Wo hat der Philosoph hier seine Wahl? Können wir ohne weiteres voraussetzen, dass Demokratie immer richtig ist? Und mehr noch, kann es demokratisch entscheidbar sein, ob Menschen gefoltert oder misshandelt werden? Wenn ja, ist die Demokratie dann eine Diktatur philosophischer Ideale?

Wir wissen aus der Geschichte, dass sich ein Volk gegen Demokratie entscheiden kann, aber wie entscheidet es sich dafür? Demokratie geht zurück auf Gewalt. Können wir in diesem Falle von Gerechtigkeitsgewalt sprechen? Wenn wir nun hoffen, dass sich ein Volk in Arabien in Sekundenbruchteilen vom alten Regime befreit, so möchte ich an die vielen blutigen Kriege und Bürgerkriege in Europa erinnern, die mit dem Gestaltwandel der europäischen Staaten einhergingen. Um es kurz zu machen, ich glaube nicht, dass das Regime ohne Gewalt abgelöst werden können.

Mubarak versuchte sich ähnlich wie Gaddafi zu wehren, so hieß es:
„Das ägyptische Regime spielt seine Karten aus. Vor einer Woche gingen die Gefängnisse auf. Verbrecher schwärmten aus und machten die Wohngebiete unsicher. Am Mittwoch prügelte ein entfesselter Mob mit Pro-Mubarak-Bannern auf die friedlichen Demonstranten in Kairo ein. Als ich heute Morgen auf den Tahrir-Platz gehen wollte, machte ich vor einer Bande mit Knüppeln und Eisenstangen mit Stahlpickeln kehrt. Die neuen „Ordnungskräfte“ des Regimes […] Am Donnerstagmittag errichteten selbstermächtigte Schlägertrupps Checkpoints, kontrollierten die Bürger und pickten sich gezielt Ausländer und ausländische Journalisten heraus. Einige wurden festgehalten, andere gejagt, manche geschlagen, mit Messern bedroht.“ (http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-02/aegypten-journalisten-auslaender-2?page=1)

Mubarak sei ein General gewesen und ein General gehe nur im Krieg, hieß es. Nun war die Welt erleichtert, als sich das Militär gegen Mubarak wandte, aber welche Erleichterung sollte dies sein? Nur weil ein Regime abgeschafft wird, heißt das noch nicht, dass nun eine demokratische Philosophie beginnt. Mit dem Vertrauen in das „Demokratie Jetzt!“ hat das Volk den philosophischen Charakter der Demokratie missverstanden. Demokratische Strukturen bestehen nun mal nicht daraus, dass Menschen einmal alle vier Jahre ein kleines Kreuzchen machen, sondern aus einer demokratischen Sozialstruktur. Diese demokratische Sozialstruktur verlangt aber vielerlei Bildung und Philosophie, nicht nur eine technische Grundausbildung. Es verlangt, dass Menschen mit den philosophischen Idealen einer höheren Menschlichkeit vertraut gemacht werden, überhaupt erst lernen, welche Vorteile ihnen aus der Toleranz gegenüber anders Denkenden erwachsen und damit die Frage nach der Gerechtigkeit über die Frage des eigenen guten Lebens stellen.

Sozialstrukturanalyse sagt uns nicht, was Demokratie ist, aber Demokratie besteht nicht nur aus einem gewaltsamen Umsturz. Es braucht Struktur. Ohne diese Struktur wird wie in Tunesien und in Ägypten auch in Libyen ein altes Regime die Fäden in der Hand halten. Dieses neue alte Regime braucht doch nur alte Strukturen übernehmen. Es wäre ja irrig zu glauben, dass ein Einzelner wie Gaddafi die Schicksale von vielen Millionen Menschen hätte unterdrücken können, ohne dabei auf ein weit verzweigtes soziales Netz zurückzugreifen. Wer sind hierbei die Akteure? Militär, Polizei, Politiker, Richter? Wieviele profitieren von einer „ungerechten“ Gesellschaft und was soll Gerechtigkeit in Ägypten bedeuten? Wer hätte ein Interesse daran, die alten Herrschaften abzuservieren und in Gefängnisse zu stecken, nur um dann im Spiel „Wer wird Milliadär?“ selbst zu gewinnen? Wenn Gaddafi nun besiegt ist, wird er vielleicht ersetzt, aber wird auch das soziale Netz seiner Herrschaft ersetzt?

Ich möchte nur sagen, wenn eine Revolution in den arabischen Staaten begonnen hat, dann wird es eine lange Revolution sein, die noch viel Blutvergießen bedeuten mag, darüber hinaus muss es gleichwohl auch eine Revolution sein, die auch einen philosophischen Strukturwandel bedingt. Angesichts der verschiedensten Interessengruppen, denn es gibt ja immer Menschen, die von einem Regime profitieren, bleibt dazu die Lage unübersichtlich. Welche Sozialstruktur muss sich ändern? Selbst wenn es den Anschein haben mag, dass nun ein Verlangen nach Demokratie eine Rolle spielt, heißt es nicht, dass ein Umsturz auch tatsächlich zu Demokratie führen wird.

Ich möchte nicht zu stark dramatisieren, aber der Wille nach einer neuen Ordnung ist noch nicht demokratisch, sondern gewaltsam. Für welches System wird sich Libyen also entscheiden? Ich möchte nur daran erinnern wie Robespierre mit einem Streich alle seine Gegner in der Französischen Revolution ermorden ließ und wie kurze Zeit später Napoleon die Gewalt beendete, um neue Gewalt zu beginnen.

Gemäß Jean-Jacques Rousseau wollte Robespierre den wahren Gemeinwillen, die volonté générale, vertreten. Dieser immer gültige Allgemeinwille gelte auch, wenn der Einzelne ihn ablehne. Nach Robespierre war somit jeder, der den Gemeinwillen ablehnte, ein Feind der aufgeklärten Gemeinschaft. Dies lief dann darauf hinaus, dass Feinde der Republik beinah wahllos getötet wurden. Bei Wikipedia heißt es:

„DieTerrorherrschaft war demzufolge ein notwendiges Übel, um das Volk für den von Rousseau empfohlenenGesellschaftsvertrag bereit zu machen. Ohne Tugend, meinte Robespierre, sei Terror verhängnisvoll, ohne Terror die Tugend machtlos.“ (Wikipediaartikel zu Robespierre)

Es mag sich jeder selbst ein Bild machen, ob das ganze ironisch ist. Es gibt jedenfalls Franzosen, die diesen Mörder hochleben lassen.

Norman Schultz

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