Wie Schachgroßmeister unser Superego herausfordern (Gewinnt außerdem die Schachnovelle))

Carl Maria Seyppel (1847 - 1913) Schachspieler (Quelle: Wikimedia gemeinfrei) Zum Gewinnspiel auf das Bild klicken

Carl Maria Seyppel (1847 - 1913) Schachspieler (Quelle: Wikimedia gemeinfrei) Zum Gewinnspiel auf das Bild klicken

In der Zeit findet sich in den letzten Tagen eine hervorragende Dokumentation der Schachweltmeisterschaft. Ohne viel Schachwissen abzuverlangen dokumentiert der Autor dort die Besonderheiten des Kampfes zwischen Gelfand und Anand. Eine schwierige Aufgabe denn mit Gelfand und Anand sind angeblich zwei remisverdächtige Langweiler ans Schachbrett getreten. So ähnlich polterte zumindest Kasparow, der vor allem Anand unterstellte keine Lust mehr am Schach zu haben.

Ganz gleich aber der Langeweile, Schach war noch nie ein Spiel, das in der Öffentlichkeit durch die konkreten Züge bestach, sondern vielmehr vom Prestige lebte, den besten Denkern der Welt zuzuschauen. Gerade beim Schach war es schon als Kind immer eine Kränkung, wenn einem Erwachsene die Grenzen des Geistes im Spiel präsentierten. Schach offenbarte deutlich Schwächen in der Konzentration und Vorstellungskraft wie auch in der Intelligenz. Beim Schach geht es nämlich irgendwie um die Schöpferkraft des menschlichen Geistes, deswegen war es auch lange Zeit so wichtig, dass die Menschen mit ihrer Kreativität Computer besiegten und bewiesen, dass die unerschöpflichen Weiten unseres wachen Verstandes noch jeden Schaltkreis zu überfliegen vermochten. Schach war ein Spiel der menschlichen Meister, die das magische Gehirn besaßen. Gerade der menschliche Verstand sollte im Schach seine Größe beweisen.

Pluralistische und durchdemokratisierte Gesellschaften haben natürlich den Respekt vor den Genieleistungen verloren. Wir akzeptieren keine Götter mehr neben unserem Ego. Dabei ist beim Schach die Sache klar: Ein durchschnittlicher Spieler wie wir hat gegen einen Supergroßmeister keine Chance. Wenn wir die Züge mit allem Verstand ausführen würden, hätten wir im Lotto eine astronomisch höhere Chance zu gewinnen als auch nur eine Schachpartie (selbst im Simultankampf, das heißt, wenn der Supergroßmeister gegen Tausende zugleich von uns antreten würde) Remis auszugleichen. Am Schach zeigt sich eine Vergleichsdimension, die wir ohne Weiteres akzeptieren müssen. Das heißt: Ein Meister ist ein Meister, ist ein Meister, ist ein Meister. Das Problem ist unser Ego.

In anderen Disziplinen verhält es sich schon lange ähnlich. So verlieren wir in vielen Disziplinen die gefeierten Genies. Die Musik durfte beispielsweise längst ihre Demokratisierung in der Popularmusik erleben. Das gefeierte Wunderkind von einst spielt heute in der Riege der Topverdiener eine untergeordnete Rolle. Zwar gibt es auch Gutverdiener unter den ausgebildeten und sehr guten Musikern, in der Regel werden sie allerdings vom Durchschnittshörer als Ãœber-über (kommt von „Ãœben“) und nicht als Ãœber-Mensch kategorisiert. Jemand, der sein Instrument beherrscht, hat zumeist einfach nur viel geübt. Durchdemokratisiert lebt Kult heute vorrangig vom Pöbel. Von der umfassenden und strahlenden Kraft des Egos hat doch der Ãœber-Ãœber nur etwas für sich verstanden.Unserem Ego aber hat sein Ego noch kein Ohr geschenkt.

Arau, der Grandsegnieur des Klaviers, habe, so heißt es, schon als kleines Kind 16 Stunden am Tag Klavier gespielt. Hätten ihn seine Eltern dabei nicht gefüttert, so wäre er verhungert. Was denken wir dazu? Natürlich wären wir ähnlich gut wie Arau, wenn wir nur in unserer Kindheit ebenso geübt hätten. Doch ich glaube, dass der Wille zur Übung und zwar zur konzentrierten Übung und nicht zum stupiden Repetieren eben eine übermenschliche Leistung ist. In der Regel fehlt uns die Konzentration und der Wille. Doch auch hier hat das Superego schnell eine Antwort: Der Wille zum Willen gilt irgendwie als böse und Ehrgeiz sollten wir niemals öffentlich bekennen, denn Ehrgeiz ist peinlich.

In der Postmoderne, wo sogar der Talentlose nach dem Prinzip Ramsch für die Milliarden zum Milliardär aufsteigt, braucht es keinen Willen zum Willen um erfolgreich zu sein. Wir wollen die Anerkennung geschenkt bekommen für das, was wir schon sind und in der Regel sehen wir uns selbst alle als genial, deswegen dürfen wir eigentlich auch alle Milliadär sein, aber bitte wir als erstes. Selbst wenn wir diese Genialität in uns noch nicht kennen, so glauben wir, dass sie sich in irgendeiner besonderen Fähigkeit schon ein Genie in uns verstecken würde. Wir hatten nur noch nicht die Möglichkeit.

Einerseits sehen wir also die Oberen als durchschnittlich und uns als überdurchschnittlich. Nach Außen kokettieren wir dann natürlich immer mit unserer Bescheidenheit und Selbstkritik, so wie es auch Ernst Busch wusste:

Die Selbstkritik hat viel für sich.
Gesetzt den Fall, ich tadle mich,
So hab‘ ich erstens den Gewinn,
Daß ich so hübsch bescheiden bin;

Zum zweiten denken sich die Leut,
Der Mann ist lauter Redlichkeit;
Auch schnapp‘ ich drittens diesen Bissen
Vorweg den andern Kritiküssen;

Und viertens hoff‘ ich außerdem
Auf Widerspruch, der mir genehm.
So kommt es denn zuletzt heraus,
Daß ich ein ganz famoses Haus.

Hier zeigt sich ein psychologisches Grundmodell, was wir natürlich ungern nach Außen tragen. Natürlich ist unsere Meinung mehr wert als die anderer. Gerade in Zeiten da wir immer mehr antiautoritär erzogen werden (was gewiss viele Vorteile hat), so haben wir doch auch verlernt noch Vorbilder zuzulassen und nur unsere Geltung zu setzen. Spruchhaft stapfen die Meisten nun in einen der größten Selbstwidersprüche der Aphorismengeschichte hinein:

„Wer immer nur in die Fußstapfen anderer tritt, hinterlässt selbst keine Spuren.“ sagt der eine.

Ein irgendwo gehörter Satz, der sich wie eine Tradition fortsetzt, selbst aber aussagt, dass Traditionen eigentlich blöde sind. Dies ist nicht mehr als ein performativer Selbstwiderspruch, das heißt der Aussageninhalt widerspricht der Satzperformance. Dennoch in unserem Super-Ego bemerken wir oftmals nicht, wie viel unseres Daseins aus Wiederholung und aus Berufung auf Tradition besteht (auch ein Grund, warum der Anspruch auf Urheberschaft vollkommen Super-Ego-verdächtig erscheint). Allein schon unsere Sprache ist ein riesiger Fußabdruck der Menschheit. Ich kann mich nicht daran erinnern, wirklich ein neues Wort erfunden zu haben.

Wir sind nun mal Egos, auch wenn wir durchaus sozial handeln, da ohne Freunde das Super-Ego sich auch nicht bestätigen könnte. Aber genau aus diesem Grund erübrigen sich auch Fragen an Hannelore Kraft, ob sie Kanzlerin kann. Durchaus möchte sie dies und sieht sich auch in der Lage dazu; sie hat ebenso ein Ego. Jeder, der eine Sache mit Herzblut angeht, will Erfolg und ehrlich gesagt, möchte ich in meinem Unternehmen auch Menschen, die derart denken. Doch es wäre unklug von Hannelore Kraft ihre Kanzlerträume in Interviews herauszuposaunen, denn Kanzler werden nur sehr wenige, ausgelacht aber viele.

,The chess players thomas eakins

Da steht die Menschheit nun und der Großteil ist eben kein Kanzler oder Weltmeister (Wir sind zwar Weltmeister, aber eigentlich nur in dem selben Sinne wie wir Papst sind). Wenn wir nun schon alle tendenziell sehr wenig sind, was machen wir dann mit unserem Mini-Ego als Super-Ego? Könnten Kinder daher auch aus Frust über die eigene Unmöglichkeit geschlagen werden? 50 Prozent der Deutschen schlagen ja noch ihre Kinder. Der letzte Herrscher auf dem Thron kann noch in seiner Familie Gewalt ausüben. Das Superego gibt sich immer an den nächst Schwächeren weiter und so antiautoritär sind wir dann letztlich doch nicht.

Doch auch die Weltmeister erliegen der gleichen Schwäche. Tatsächlich hat sich Kasporow als einer der größten Schachweltmeister aller Zeiten gegen eine feindlich gesonnene Sowjetregierung mit Talent durchgesetzt. Sein überstarkes Ego hat dies erreicht. Weil sich aber sein überstarkes Ego nicht mehr verstecken muss, so äußert er daher auch Sätze wie im folgenden Spiegelinterview:

SPIEGEL: Sind Sie nicht robust genug gegenüber Psychotricks wie denen, die Sie vor und in Sevilla erlebt haben?

KASPAROW. Jeder andere Mensch wäre um den Verstand gebracht worden, hätte er unter diesen Bedingungen Schach spielen müssen.

Nur ein Mann wie Kasporow konnte natürlich den übernatürlichen Psychotricks seines Kontrahenten Karpow widerstehen und seinen Weltmeistertitel verteidigen. Doch im Gegensatz zu uns hat Kasparow tatsächlich eine Rechtfertigung für sein Ego. Er war Weltmeister und wir sind es nicht. Ganz im Gegensatz zu den Philosophen, Musikern, Politikern und Künstlern muss der Laie diesen Titel akzeptieren. Auf diesem Terrain ist Kasparov uns überlegen.  Leider gibt es keine Weltmeisterschaften für Philosophen und objektive Messverfahren ihrer Leistungen. Selbst Noten stellen für uns ja ohnehin nur noch Hausnummern dar. Es lebe das Superego des kleinen Mannes, das nur noch sich als größten Maßstab akzeptiert. Auch dies ist Demokratie.

Gelfand und Anand, so gut DIE ZEIT auch den Weltmeisterschaftskampf dokumentiert, verblassen hinter der Aufmerksamkeit, die noch ein Kasparow einholen konnte. Kasparow wollte gewinnen, um jeden Preis. Er wollte keine Partie verloren oder Remis geben. Kasparow mischte die Turniere auf. Weil Kasparow eben selbst mit Schwarz immer gewinnen wollte, kamen Ungleichgewichte in den Turnierplan und auf einmal musste jeder aggressiv spielen, um nicht abgehängt zu werden. Langeweile war unmöglich, wenn Kasparow auftrat. Bei Anand und Gelfand ist der Kampf ruhig und ausgeglichen wie er erwartet wurde. DIE ZEIT gab sich alle Mühe die Kämpfe zu verkaufen. Der letzte 40 Minuten-Zug von Gelfand spricht allerdings Bände. Nach langer Bedenkzeit und gespannter Erwartung bei den Kommentatoren kam schließlich ein kleinerer, unerwarteter und womöglich unbedeutender Bauernzug heraus. Gelfand fortan unter Zeitdruck ergatterte schließlich ein großzügiges Remis von Anand. Anand hätte die vorzeitige Entscheidung fast erzwingen können, doch damit ließ auch er die Langeweile siegen. Ein ähnliches Remis, das Anand gutmütig gab, obwohl Gelfand unter Zeitdruck stand, vollzog sich heute in der letzten angesetzten Großpartie. Es steht unentschieden.

Dies heißt am Mittwoch gibt es einen High Noon, vier Schnellpartien, bei erneutem Gleichstand zwei Blitzpartien, dann sechs Blitzpartien, schließlich würde eine Blitzpartie mit besonderen Regeln folgen, die Schachspieler nur Armageddon nennen. So aufgeblasen könnte es also doch noch spannend werden. Der Sieger allerdings ist so gut wie klar: Anand galt schon immer als der schnellste Schachspieler.

Gewinnen

Eigentlich wollte ich mit diesem Text nur auf mein neueres Büchergewinnspiel verweisen, wo es tatsächlich die Schachnovelle von Stefan Zweig zu gewinnen gibt. Da ich schließlich nach Amerika umziehe, müssen meine Bücher an den Mann. Das Porto muss allerdings noch etwas gespart werden, deswegen kann sich der Gewinner jede Woche ein neues Buch aussuchen. Hier geht es zum Gewinnspiel

Da Veronika meine Bücher in Berlin übernehmen wird, so findet dieses Büchergewinnspiel auch gleichzeitig auf unserem neuen Blog statt. Kommt doch mal vorbei auf unserem Kunstblog.

Norman Schultz

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