Solaris, Planet der Berechnung – Überlegungen zur Bewusstseinsverschmelzung

Solaris

Solaris, Planet der Berechnung: By Dominique Signoret, CC-BY-SA-3.0 via Wikimedia Commons

Das Internet sei also ein großes Gehirn, das letztlich dem Planeten sein Bewusstsein geben soll. Hier lassen sich schwerlich Science-Fiction-Ideen generieren, die dann tatsächlich auch publikumswirksam inszeniert werden. Mal ehrlich, wenn zwei riesige Planeten, ausgestattet mit jeweils einem Bewusstsein, wie zwei riesige Gehirne um andere Sonnensysteme kämpfen, dann fehlt dem Zuschauer doch irgendwie der emotionale Held oder würden wir einen Planeten als Helden bejubeln?

Doch die Sache stimmt nicht ganz, denn Stanislav Lem unternahm den Versuch, einem Planeten eine andere Form des Bewusstseins zu unterstellen. In seinem Buch „Solaris“ überzieht eine unidentifizierbare Masse einen gesamten Planeten und scheint dessen Planetenbahn zu stabilisieren. Zugleich stürzt es Generationen an Wissenschaftler in Verzweiflung. Warum? Weil alle Identifikationsversuche des Meeresplaneten beständig in die Irre führten. „Solaris“ einst Prestigeforschugnsobjekt lies alle Hypothesen unbestätigt und im Sande verlaufen. Das Objekt der Faszination kostete derweil bereits Tausende von Wissenschaftler das Leben. Der Planet imitierte und produzierte Formen, die in ihrer geometrischen Brillanz nur von einem Verstand geschaffen worden sein können. Horizontgroße Gebilde, höhlenartig in sich selbst verschlungen, schön. Ein unvorhersehbarer Kollaps dieser „Höhlen“ kostete jedoch eine ganze Generation von Wissenschaftlern das Leben, während diese in diesen Höhlen die Formen studierten. Der Planet begrub sie in sich selbst. Da jeder Erklärungsversuch schließlich scheitert stellt der Planet somit die Rolle jedes enthusiastischen Wissenschaftlers auf die Probe. Damit ist der Planet „Solaris“ eine Parabel für die Unidentifizierbarkeit des Universums, das ebenfalls in seinen Grenzen keinen Forschungsgegenstand darstellen kann.Solaris, der Planet der Berechnung, war also in undefinierbarer Weise lebendig, aber nicht identifizierbar (ein Thema in vielen Büchern Lems). Verschiedene, verzweifelte Theorien rankten sich um den Riesen, wobei eine dieser Theorien besagte, dass der Planet einst eine menschenartige Rasse beherbergte. Diese Menschen allerdings entschieden sich, so die Theorie, in das Wesen der Berechnung überzugehen und seit dieser Zeit ist der Planet schlichtes Berechnen. Seine einzige Kunst besteht darin, Formen zu imitieren.

Symmetriad 2

Alles für das Exoskelett By Nevit Dilmen CC-BY-SA-3.0, Wikimedia

Die philosophisch deutlich abgespeckte Variante von Solaris drehte der Regisseur Steven Soderbergh. Im Gegensatz zum Buch greift der Film allerdings nicht die philosophischen Hauptpunkte des Buches auf, sondern konzentriert sich auf die Liebesgeschichte eines angereisten Wissenschaftlers, der eine rätselhafte Selbstmordserie untersuchen soll. Solaris längst nicht mehr das Prestigeforschungsobjekt beherbergt in einer Raumstation nur noch wenige Wissenschaftler, die alle allerdings verrückt geworden sind. Eines Nachts dann erscheint die bereits verstorbene Frau des angereisten Wissenschaftlers.

Diese Liebesbeziehung aber kann ohne den Hintergrund von Solaris vom Zuschauer nicht verstanden. Zu dem denkerischen Unvermögen Soderbergs blieb auch Lem daher nur ein vernichtender Kommentar übrig:

„Blödsinn! Absoluter Blödsinn. Alles Interessante an meinem Roman bezog sich auf das Verhältnis der Menschen zu diesem Ozean als einer nicht-humanoiden Intelligenz – nicht auf irgendwelche zwischenmenschlichen Liebesgeschichten.“

– Stanisław Lem im Interview mit Patrick Großmann: Galore, Nr. 17[1]

Den russischen Film „Solaris“ muss ich noch sehen. Tarkowski als Regisseur begreift wohl eher den philosophischen Anspruch. Solaris ist eine Auseinandersetzung mit dem Nihilismus sowie mit dem Ballast des Menschen, er selbst, der selbst in der Ferne der Galaxis noch immer nicht die Reise zu sich selbst angetreten hat.

Wie Solaris nun bereits das umfassende Bewusstsein eines Planeten umfasst, so soll das Internetbewusstsein uns zu dieser umspannenden Singularität des gemeinsamen Wissens bringen. Eine Art Berechnungswissen, das vielleicht das Tor zur größeren Wirklichkeit aufstoßen soll. Bei genauerem Überlegen aber zeigt sich, dass die Vernetzung der Gehirne keinesfalls die Schranke des Bewusstseins überwindet, sondern schlichtweg ein größeres Bewusstsein, vielleicht intelligenteres Bewusstsein bringt. Im Gedankenexperiment wird dies klarer: Auch, wenn sich hunderte von Augen vernetzen, so werden sie beispielsweise einen wahrgenommen Gegenstand nicht in seinem Wesen erfassen, sondern, um in der Sprache der Phänomenologen zu antworten, immer noch nur Aspektivität verstehen. Der Stuhl beispielsweise könnte zwar aus mehreren Richtungen zu einem sinnlich komplexeren Objekt ergänzt werden, doch zwar ergänzt sich die Perspektive durch weitere Ansichten, aber der ganze Gegenstand bleibt schlicht abgeschattet von unserer Erfahrung. Nur ein unendliches Reich der Sinne, ein Gott, der allgegenwärtig und überzeitlich wäre, könnte die Gesamtheit eines Objekts und damit seine Wirklichkeit mit einem Schlag erfassen und verstehen.

Gerade diese Problematik der Aspektivität hatte Kant zu seiner maßgeblichen Unterscheidung zwischen Ding-An-Sich (also unter anderem dem Ding, wie es wirklich ist) und dem Phänomen veranlasst. Erfahrungsgegenstände können demnach nicht von unserer Weise der Erfahrung unterschieden werden. Aus diesem Grund würde es auch keinen Sinn ergeben, von einer Welt zu sprechen, die sich hinter den Sinnen verbirgt. Die Hinterwelt der Sinne ist schlichtweg ein Gedankenreich, das für Kant nur als Notwendigkeit unserer Erfahrung stets durch das Denken erzeugt wird, das aber in seiner physikalischen Existenz nicht bestätigt werden kann. Das Phänomen können wir daher nur in seiner Seitenartigkeit verstehen, das heißt eine vollständige Erfassung, was in Kants Worten eine intellektuelle Anschauung wäre, ist nicht möglich. Der Wesenskern, das heißt die Wirklichkeit bleibt abgeschattet. Mit diesen Einsichten legte Kant schließlich den Grundstein für eine Wissenschaft des endlichen Wissens gelegt.

Gleichsam aber leugne ich hier nicht, dass eine erhöhte Aspektivität Wissenszuwachs bedeutet. Die Vernetzung der Sinne hat lohnenswerte Synergien, auch wenn wir den wirklichen Gegenstandes niemals vollständig kennen können, sondern ihn nur induktiv ableiten. Was bringt es uns daher also letztlich die Erde in ein globales Gedächtnis zu erweitern? Eine erhöhte Gleichzeitigkeit der Informationen erzeugt neue Qualitäten. Vor allem unsere Praktiken werden verbessern sich und effizienter kritisiert.

Kann aber eine solche Vernetzung der Gehirne tatsächlich ein anderes Bewusstsein hervorbringen? Mir erscheint, dass selbst für ein umfassenderes Bewusstsein die Mechanismen des Wünschens und Leidens, Hoffens, Erfüllens und Versagens mindestens ebenso groß wie für einen Menschen sein müssen. Vielleicht ist für das vergrößerte Bewusstsein eines vernetzten Planeten das Leid gar umso größer, da Planeten allein im Weltall nur ein Bewusstsein haben können, während Menschen sich ihre Schicksale wie Seelenteile teilen. Die metaphysische Einsamkeit ohne geteiltes Leid könnte um so heftiger geraten und unter der Macht der Berechnung könnte die ewige Wiederkehr des Gleichen, das Verstehen des unabwendbaren Nicht-wissens umso schmerzhafter werden, wenn kein Ich mehr am Du werden darf.

Wissenschaftler aber aus angeblich kindlicher Neugier getrieben und dem Wunsch unser Leben zu verbessern, arbeiten dennoch an dem verständlichen Wunsch unser Bewusstsein zu vergrößern. So haben Wissenschaftler nun also die Gehirne von zwei Ratten verlinkt. Derselbe Forscher, der schon mit äußerst invasiven Eingriffen einen Affen einen Roboterarm steuern lassen hat, während der Affe in den USA vegetierte und der Roboterarm in Japan etwas ergriff, dieser Wissenschaftler hat nun eine Ratte einer anderen Ratte wieder über zwei Kontinente hinweg ins Gehirn funken lassen. Für einen guten Zweck natürlich:

„Much of Dr. Nicolelis’s work is directed toward creating a full exoskeleton that a paralyzed person could operate with brain signals. Although this experiment is not directly related, he said, it helps refine the ability to read and translate brain signals, an important part of all prosthetic devices connected to the brain, and an area in which brain science is making great advances.“ (Artikel der New York Times)

Skeleton walk04By Nevit Dilmen CC-BY-SA-3.0 via Wikimedia Commons

Demnach geht es also darum, komplette Exoskelette zu entwickeln, was immerhin für einige Querschnittsgelähmte, aber auch besonders für das Militär von Interesse sein dürfte. Nein, den Sinn derartiger Apparaturen muss ich hier nicht bezweifeln. Eigentliches Ziel der Forschung sei es allerdings auch, so ebengenannter Artikel, eine Verschmelzung verschiedener Gehirne in einem Computer zu erreichen.

Soso. Problem ist nur, dass das Experiment deutlich weniger spektakulär ist, als es diese vage Hoffnung andeutet:

„Then, as the encoder responded to the light appearing over one lever or the other, its pattern of brain activity was sent to a computer, which simplified the pattern for transmission to the decoder rat. The signal received by the decoder was not the same as the stimulation it had previously received in training, Dr. Nicolelis said. Seven out of 10 times, the decoder rat pressed the right lever.“

Wir sehen also, dass vor allem eine künstliche Verlinkung über ein Kommunikationsmittel erfolgte. In diesem Sinne könnten wir schließlich auch unser Kommunikationsmedium „Internet“ nutzen, um einer anderen Ratte in einer anderen Galaxis ein paar Signale zu funken, damit sie einen Schalter umlegt. Während daher Neurowissenschaftler wie „Ron D. Frostig, a neuroscientist at the University of California, Irvine“ applaudieren “I think it’s an amazing paper.”, sehen es Neurowissenschaftler wie Andrew B. Schwartz aus Pittsburgh schlicht anders:

„He described the work as “very simplistic” and pointed out that the rat receiving the signal pushed the right lever only 7 out of 10 times and would have done so 5 out of 10 times by chance.“

Wir können wohl kaum davon sprechen, dass sich Gehirne haben verschmelzen lassen, wenn schlicht ein Mechanismus, Reize auslöst, die nicht einmal mit Genauigkeit erfolgen. Von einem geteilten Bewusstsein, wie es das angebliche Ziel ist, können wir daher nicht sprechen. Momentan ist somit wohl eher eine Reise zur nächsten Galaxis wahrscheinlich, als dass wir das nächste Gehirn im Bewusstsein erreichen. Die angeblich notwendigen Experimente an den Ratten entpuppen sich daher schlicht als elaborierte Quälerei einer pubertären Wissenschaft, die nach erster kosmischer Aufmerksamkeit giert. Der Umgang mit den Tieren verrät, dass noch wenig der kosmischen Reife vorhanden ist, wenn Wissenschaftler sich empathisch nicht mit dem Bewusstsein der Ratten verbinden können, die sinnlos für derlei invasive, unbedeutende Eingriffe geopfert werden. Es ist wohl auch hier zu bemerken, dass mit einem Zuwachs an Perspektiven und erhöhter Intelligenz noch kein Zuwachs in der Vernunft zu verzeichnen ist.

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2 Antworten auf Solaris, Planet der Berechnung – Überlegungen zur Bewusstseinsverschmelzung

  1. Felix sagt:

    Toller Text! Der Trailer des russischen Solaris Films suggeriert aber auch, dass die Liebesgeschichte im Vordergrund steht. Soweit ich das beurteilen kann ohne russisch zu verstehen.

    Die Experimente dieses Wissenschaftlers finde ich ebenso interessant wie auch total krank. Natürlich ist es schon eine Sensation, dass man eine Maschine steuern kann ohne seinen „Körper“ zu benutzen durch eine direkte Gehirn Computer Schnittstelle. Das hat es so vorher noch nicht gegeben und kann wirklich querschnittsgelähmten Menschen helfen, obwohl es auf Kosten unzähliger Versuchstiere ist die unglaublich leiden. Das neue Experiment wird auch wie schon wie viele andere Experimente gehypt, weil viele Wissenschaftsjournalisten einfach den Text des Forschers übernehmen und nicht versuchen das Experiment wirklich zu verstehen. Es schreibt sich einfacher, dass man zwei Gehirne zu einem gemacht hat als die tatsächlichen Details.

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