Fukushima und die Frage nach dem richtigen Handeln – Alltagswelten und komplexe Welten im Vergleich (Teil 1)

Nach Spiegel-Online liegen die Brennstäbe in Fukushima trocken und sind nicht gekühlt (http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,762838,00.html) Das ist natürlich eine sehr schlechte Nachricht, denn, so wird auch auf Spiegel-Online geschlussfolgert, ist davon auszugehen, dass große Teile der Brennstäbe in Block 1 zu einem Uranklumpen verschmolzen sind, der sich nun auf dem Boden des Reaktordruckbehälters befindet. Desweiteren heißt es, dass dieser womöglich schon Löcher in die Schweißnähte am Boden gefressen habe. Eine Möglichkeit sei daher, dass der Klumpen sich durch den Stahl weiter nach unten hindurch brenne und es im Kontakt mit Wasser zu einer „verherrenden Dampfexplosion“ kommen könne. Tepco verweist aber die geringe Außentemperatur des Reaktors und gehe daher nicht von dem heißen Souffléklumpen aus.

Verwirrung
Was also tun? Wenn nur alle Wege richtig wären. Wohl eher nach links, denn 2 Strichmänchen haben Recht ;)

Genau genommen aber gäbe es zu wenig Informationen und so finden sich auch Gegenstimmen, nach denen zu urteilen, eine katastrophale Entwicklung jederzeit noch möglich ist. Zumindest müssen wir aber meiner Meinung festhalten, dass das eher „unwahrscheinliche“ Restrisiko höher ist als jemals zuvor.

Zu meinen vorherigen Fukushima-Artikeln
Ich hatte mich ja im Monat zuvor in vier Artikeln zu Fukushima geäußert. Vorrangig habe ich mich dabei auf ethische Aspekte angesichts einer Katastrophe, die eine ganze Bevölkerung bedroht, konzentriert (Beitrag zu: Das Leben der Vielen wiegt mehr als das Leben der Wenigen). Ich hatte aber auch das zögerliche Eingreifen der japanischen Regierung angemahnt und dieses mit dem wesentlich effektiverem Eingreifen in Tschernobyl verglichen. Im Nachhinein wirken meine Forderungen zugegebener Maßen etwas naiv. Zum Beispiel, dass Tepco die Kontrolle entzogen werden solle und wir die ganze Sache militärisch lösen sollten. Es wirkt naiv, da die Lage nun unter Kontrolle erscheint. Ich denke aber, dass die Aspekte weiterhin Gültigkeit besitzen, wenn wir überlegen, dass Tepco zwischenzeitlich andachte, alle Arbeiter abzuziehen und die Anlage sich selbst zu überlassen.


Ein kritischer Punkt ist immer wieder der Vergleich mit Tschernobyl. Ein solcher Vergleich wird von vielen Kommentatoren als unseriös abgelehnt. Hier möchte ich jedoch einwenden, dass ein Vergleich jederzeit seriös ist, nur eine entsprechende Gleichsetzung könnte unseriös erfolgen. Vergleichen heißt nicht Gleichsetzen (das sollte sich doch rumgesprochen haben). Das Krisenmanagement der Russen schätze ich nach wie vor als besser ein, zwar wurde erst 48 Stunden nach dem Ereignis die Evakuiierung durchgeführt. Dieses aber auch, weil in Moskau wenig Informationen zum tatsächlichen Vorfall bereit standen, sobald die Lage aber klar war, wurden alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt.
Ãœber diese Frage können wir aber an anderer Stelle streiten. Die Frage nun ist: Was kann ich mit weiteren Blogbeiträgen zu diesem Thema leisten? Nun, ich denke, wir können die Katastrophe als Ausgangspunkt nehmen, um über das Verhalten in komplexen Situationen nachzudenken. Ist es sinnvoll so viel wie möglich zu handeln, auch Ãœberschusshandlungen zu vollziehen oder ist es besser, abzuwarten und Informationen zu sammeln? Bevor ich allerdings diese Frage in Ansätzen klären kann, will ich einen theoretischen Rahmen erarbeiten. Dieses will ich mit Bezug auf Dietrich Dörners „Logik des Misslingens“ durchführen.

Dietrich Dörners „Logik des Misslingens“
Nehmen wir an, Sie sind Diktator (ein guter Diktator natürlich). Sie regieren das Volk der Moros, einer fiktiven Population irgendwo in Ostafrika. Ihnen steht Geld zur Verfügung und sie können entwas gegen die Tsetsefliege unternehmen und damit die Rinderherden pushen, sie können Gesundheitsdienste einrichten. Sie können düngen, verbesserte Getreidsorten anbauen, Weideflächen besser bewässern. Sie können Brunnen bohren. Ihnen stehen alle Möglichkeiten offen. Was würden Sie tun? Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und denken Sie darüber nach.

Dietrich Dörner hat Ende der 80er solche und ähnliche Simulationsspiele mit Probanden durchgespielt. In vielen Fällen gingen die Eingriffe der Probanden allerdings gründlich schief. Die Versuchsteilnehmer agierten natürlich mit viel Ehrgeiz und machten sich daran Probleme zu lösen, ohne zu bedenken, welche Konsequenzen eben diese Problemlösungen haben würden. Man übersah, dass unsere Welt ein „System von interagierenden Teilsystemen“ ist und auch der Morostaat ein solch komplexes Geflecht darstellt (Dörner 1989:12). Es gibt keine einfachen Probleme in einer komplexen Welt.

Unser alltägliches Denken und die komplexe Welt
Allein aus evolutionärer Perspektive ergäbe sich schon, dass unsere Denkmechanik nicht dazu geboren wurde, um die Welt zu erkennen, wie sie ist, sondern um Probleme „ad hoc“ zu bewältigen (vgl. auch Dörner 1989:13). Es mag Ãœberschüsse an ontologischer Einsicht geben; Momente, in denen wir den Kopf zum Horizont heben oder hoch in den Sternenhimmel schauen; im Großem und Ganzem aber ist unser Denken vor allem an die Alltagswelt angepasst. In dem Sonderband der Kölner Zeitschrift für Sozialforschung unterscheidet Dörner daher zwischen diesen zwei Welten: zwischen  einer Welt auf die unser Denken passt, nämlich die Alltagswelt und einer Welt der komplexen, unbestimmten und langsamen Prozesse, kurzerhand KUL-Welt genannt. Bei den Moros, wo Sie ja jetzt Diktator sind, handelt es sich um eine KUL-Welt.

Was bedeutet nun der Fakt, dass es eine Welt der komplexen, unbestimmten und langsamen Prozesse ist? Nun, das heißt, dass unser Eingreifen immer mit unsichtbaren Problemen behaftet ist. Zwar hat zum Beispiel das Mannöver, die Tse-Tse-Fliege zu bekämpfen den Effekt, dass die Häufigkeit der Schlafkrankheit verringert wird und damit der Bestand der Rinder sich erhöht, es ergeben sich aber einer Reihe langfristiger Kehreffekte. Zum Beispiel ist die Vernichtung einer Insektenpopulation ein Eingriff in einen urwüchsigen Regelkreis. Verschwindet eine Population wirkt sich dieses auf die Räuberpopulation aus. Die Veränderung von Räuberpopulationen hat den Effekt, dass sich wiederrum Konkurrenz und andere Beutepopulation anders entwickeln, die dann das ökologische Gleichgewicht verändern. Zwar wird zunächst ein Anstieg der Rinderpopulation erzielt, damit aber wird der Regelkreis der natürlichen Umwelt sensibilisiert. Zunächst hat dies keine Konsequenzen. Mit dem Anstieg der Rinder aber zugleich, erfolgt auch ein Anstieg der Lebenserwartung der Menschen aufgrund verbesserter Nahrungsmittelversorgung. Ohne effektive Geburtenregulation erhöht sich damit der Populationsdruck der Menschen. Das Gesamtsystem kommt also näher an den Rand von Kippwerten, unbemerkte Wendepunkte, wo sich ein eigentlich stabiles System mit einem Schlage unwiderruflich verändert. Zum Beispiel könnten dann plötzlich ausfallende Regenfälle das nun veränderte System einem Streßtest aussetzen. Was aber in dem zuvorigen System hätte gut kompensiert werden können, stellt sich für das neue System als Katastrophe heraus. Eine unmerklich veränderte Vegetation aufgrund der stärkeren Beweidung und der veränderten Räuber-Beutebeziehungen kann wird nun so stark beschädigt, dass die nun größere Bevölkerung nun plötzlich mit einer Nahrungsmittelnot konfrontiert wird. Rinderherden sterben weg und auch große Teile der Bevölkerung. Dörner zitiert Fälle in denen genau dies eingetreten ist.

In den Simulationsspielen sind aufgrund mehrdimensionaler Ursachen die Population nach zwanzigjähriger Prorperation oftmals überraschend vermindert worden. Es gab unvorhergesehene Hungerskatastrophen, die fast die gesamte Population überhaupt ausgelöscht hätten. Nach 20 Jahren lassen sich natürlich keine eindeutigen Ursachen mehr spezifizieren, wir können darüber nun spekulieren, welche Regelkreise dafür verantwortlich waren. Es ist wie die Frage, was Krebs ursprünglich ausgelöst hätte: Was wir auf kurze Sicht schnell erklären können, ist bei langfristigen Problemen aus der Masse der möglichen Ursachen heraus nicht mehr eindeutig zu klären. Es muss daher keineswegs die beschriebene Ereigniskette sein, die zu Überlastung des Systems führt. Mit jedem Eingriff aber, stellen sich hingenommene und noch nicht erkannte Risiken ein.

Der Umgang mit komplexen Welten muss daher den gewöhnlichen Gutmenschenverstand verzweifeln lassen. Das sind jene Menschen, die Sätze faseln wie: „Die Vernunft darf niemals siegen!“ oder: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Was aber für die Alltagswelt vielleicht ganz nett klingen mag, darf nicht ohne weiteres auf Systeme der komplexen Umwelt übertragen werden. Leider können wir den Hunger als Systemproblem nicht ohne weiter lösen (hierzu auch mein Artikel zum Welthunger als überschätztes Problem); es ist äußerst schwierig Lebensbedingungen durch aktive Politik zu verbessern. Die neugegründeten Organisation „Ingenieure ohne Grenzen“ sicher als ergänzendes Pendant zu den Ärzten ohne Grenzen versuchen natürlich sehr bedacht Hilfsleistungen mit Rücksicht auf die Nebenfolgen zu dosieren, dennoch stellt sich die Frage nach der richtigen Hilfe (Diesen Punkt hatte ich zunächst falsch dargelegt und entsprechend korrigiert. Leider finde ich den Zeit-Artikel dazu nicht mehr; eine Aussage war aber, dass Hilfe bedingt, dass Menschen Hilfe als selbstverständlich annehmen und so zum Beispiel technische Geräte auch dementsprechend halbherzig behandeln würden. Gerade in Sierra Leone wäre die Ergebnisse daher oftmals ernüchternd. Dies schmälert aber nicht den Wert solcher Organisationen. Es zeigt nur auf, dass die Frage sehr dringend ist, welche Hilfsleistungen die richtigen sind. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich die Entwicklungspolitik seit der Veröffentlichung von Dörners Buch – immerhin Ende der 80er – gewandelt hat. Es wäre interessant hierzu Einschätzungen zu hören. Ob aber Nachhaltigkeit prinzipiell möglich ist ist eine andere Frage). Die Komplexität der KUL-Welten übersteigt oftmals leider den guten Willen der Helfer. Hilfreich ist es daher erstmal, die Funktionsweisen von KUL-Welten und Alltagswelten systematisch zu unterscheiden.

Alltagswelt
KUL-Welt
Wir haben es hier mit kurzen so genannten Totzeiten/Reaktionszeiten zu tun. Wenn ich zum Beispiel beim Auto auf das Gaspedale trete, dann beschleunigt es. Der Lichtschalter knipst das Licht an.
Hier können die Totzeiten sehr lang sein. Es kann sein, dass ich eine Maßnahme durchführe, die die erhofften Wirkungen zeigt; Nebenfolgen aber treten erst nach 20 Jahren ein, wobei dann die Ursache, wenn es denn nur eine ist, schwer zu ermitteln ist. Es kann aber auch sein, dass die Reaktionszeiten sehr lang sind. So ist zum Beispiel in der Politik mit den Folgen einer Gesundheitsreform zumeist nicht in einer Legislaturperiode zu rechnen.
Die Eingriffe in Alltagswelten erfolgen unabhängig voneinander. Beim Auto schalte ich das Licht an und dies hat keine Auswirkungen auf die Scheibenwischer oder die Beschleunigung. Alles kann selbstständig geregelt werden.
Die Eingriffe bewirken erwünschte und unerwünschte Ereignisse, denn…, so wie Adorno noch die Indifferenz der Natur zum Ausdruck brachte,: „…alles hängt mit allem zusammen.“ In welchem Maße muss natürlich bestimmt werden. Es ist aber irrig, davon auszugehen, dass es in der Natur viele unabhängige Ereignisse gibt. Natürlich wird der Flügelschlag eines Schmetterlings nicht unbedingt einen Wirbelsturm auslösen. Diese Chaosmos-Theoreme sind maximal Stürme im Wasserglas. Es handelt sich aber bei unseren Eingriffen in KUL-Welten meistens um großtechnische Versuche. KUL-Welten zeichnen sich also durch Abhängigkeit aus.
Wir haben es mit starken Kausalketten zu tun. Kurz, wenn ich einen Baum fälle, fälle ich einen Baum. Oder wie Tom Hanks es feststellt:
Die Kausalketten sind hier schwach, das macht es auch so schwierig, diese zu identifizieren. Überlegen wir uns nur wie schwierig es ist, nachzuweisen, dass die minimale Erhöhung von wenigen zehntel Prozent an CO2 in der Stratosphäre zum Klimawandel führen soll. Was ist die Ursache, dass Arbeiter X mit seinem Auto zur Arbeit fährt? Oder was ist die Ursache von Arbeitslosigkeit? Es kann aber auch so verstanden werden, dass ein schwacher Grund starke Wirkungen hätte. So genannte Trigger-Effekte, wo wir durch unbedachte Tätigkeit ein System aus den Fugen werfen. Langfristig wirkende Strahlung von Stromnetzen könnte so etwas sein.
Es gibt kaum relevante Nebenwirkungen.
Da alles irgendwie mit allem zusammenhängt, hat alles Nebenwirkungen und Fernwirkungen.
Das System ist sehr transparent. Wir können schnell Gesetzmäßigkeiten ohne Probleme ableiten.
Intransparenz – Gesetze lassen sich aufgrund der schwachen Kausalketten und der vielen möglichen Gründe nur schwerlich ausmachen und sind sehr fallibel.
Das ist System ist linear und geordnet.
Das System weist nicht-lineare Lebenszyklen und Funktionsmechanismen auf und kann eher durch den Begriff „Chaos“  als durch den Begriff „System“ beschrieben werden
Alltagswelten können wir akkumulieren. Das Auto zum Beispiel ist die Summe aller in ihm verschalteten Regelkreise.
Bei KUL-Welten handelt es sich um Netzwerke, wobei das Ganze mehr ist als die Summe aller Teile. Das heißt, so viele Teile wir auch beobachten, fehlt uns der Begriff des Ganzen, ist unsere Betrachtung nie vor Fehlern gesichert. Was also ist zum Beispiel die Umwelt
Alltagswelten ähneln sich.
KUL-Welten reagieren fast immer anders. Sie sind fast nie gleich. Es gibt keine Regeln oder Rezepte.
Der letzte Punkt ist wohl der dramatischste. Wenn wir Probleme behandeln, dann berufen wir uns zumeist auf Erfahrungen; wir bilden Analogien. Diese Analogieschlüsse gelten aber nur für ähnliche Probleme. Nur weil ein Problem, aber ähnlich aussieht, heißt es nicht, dass es auch ähnlich ist. Ähnlichkeit ist zwar definiert durch viele Gemeinsamkeiten und wenige Unterschiede (andernfalls wäre es Identität), gerade minimale Differenzen können aber zu einem klassifikatorisch anderem Problemfall führen. In der Medizin (um ein einfacheres Beispiel zu bemühen) gibt es Krankheiten bei denen die Symptome nahezu identisch sind, Behandlungen für die eine Krankheit aber zu Todesfällen bei der anderen Krankheit führen können.
Zu den möglichen Eingriffen in KUL-Welten möchte ich im nächsten Teil etwas sagen. Wir werden dort das Morobeispiel näher erläutern und die Fehlerquellen der Handelnden erläutern. In einem dritten Teil will ich andere Simulationsspiele erwähnen und gemeinsam mit den Leser verzweifeln. Die Mathematisierbarkeit von nicht-linearen, dynamischen und sozialen Systemen steckt nämlich noch nicht mal in den Kinderschuhen. Es gibt diffuse, theoretische Rahmen, aber keinen Ansatz mit KUL-Welten überhaupt umzugehen. Mit diesem theoretischen Rüstzeug, das eher ein sanftes Seidenhemd der Theorie ist, werden wir dann nochmal über Fukushima nachdenken. Zwar werde ich auch keine Lösungen anbieten können, meine anfangs naiven Beiträge werden aber dann hoffentlich weniger naiv erscheinen.

Für alle, die sich in das Buch von Dörner mal hinlesen möchte, muss es nicht die teure, gebundene Ausgabe sein:

Teil 2 ist unter folgendem Link zu finden und weiterempfehlen nicht vergessen. Bis dann Norman.

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7 Antworten auf Fukushima und die Frage nach dem richtigen Handeln – Alltagswelten und komplexe Welten im Vergleich (Teil 1)

  1. Klaus Waldmann sagt:

    Systemtheorie, Fukushima, Hungersnöte, KUL-Welten und Ingenieure ohne Grenzen – selten habe ich einen Artikel gelesen, wo soviele verschiedene Aspekte zusammengemischt wurden und der Autor wirklich von keinem richtig Ahnung hatte…

    Gibt es für Ihre Thesen irgendwelche Belege? Z.B. für ein gutes Krisenmanagement der Russen in Tschernobyl? Oder für fassungslose Ingenieure ohne Grenzen?

    Was bieten Sie als Lösung für eine komplexe Welt an? Verzweiflung?

  2. Fibonaccie sagt:

    Hallo Herr Waldmann,

    die Belege für das Krisenmanagement der Russen habe ich unter dem entsprechenden Link dargelegt. Das basiert natürlich auf den Argumentationen dort. Die Frage der "Ingenieure ohne Grenzen" habe ich entsprechend korrigiert, allerdings stütze ich mich dort auf einen Zeitartikel, der von Ernüchterung unter den verschiedenen Gruppen der Ingenieure sprach.
    Bei Dörner finden sich einige Beispiele zu den Folgen von intensiven Brunnenbohrungen, diese haben nichts mit den Ingenieuren ohne Grenzen zu tun. Das hatte ich einfach im falschen Zusammenhang dargelegt. Entschuldigen Sie das bitte.

    Tatsächlich ist im Moment Verzweiflung ein Argument. Zumindest ist die Mathematisierbarkeit von nicht-linearen, dynamischen System noch nicht sonderlich weit. Natürlich ist die Ausweichmöglichkeit sich auf kleine Sachverhalte empirisch zu konzentrieren. Ob aber Technik die Lösung verspricht, ist eine noch zu klärende Frage. Nehmen Sie meine Darstellung bitte nicht persönlich. Die Frage ist doch wie sich Ingenieure ohne Grenzen verstehen. Geht es darum kleinere Probleme zu beheben oder nachhaltig zu arbeiten. Sicher das Zweitere, aber das halte ich für ein schwieriges Unternehmen. Die Versorgung mit Wasser ist sicher eine gute Möglichkeit. Die Konsequenzen diskutiert Dörner darauf stütze ich mich und es wird in den nächsten Artikeln erscheinen. Da es sich nur um Computersimulationen handelt, muss die Gültigkeit in Frage gestellt werden. Ich bin gerne bereit mich auszutauschen, aber bitte lassen sie uns sachlich bleiben und argumentieren Sie etwas genauer.

  3. Fibonaccie sagt:

    Beispiel aus Dörners Logik des Misslingens (Seite 12) "Mit einem folgenreichen Fehlschlag von Entwicklungshilfe beschäftigen sich Tarina Kleyn und Jürgen Jozefowicz in ihrer Reportage "Wüstenland durch Menschenhand" […] Das Rezept zur wirksamen Bekämpfung des Hungers in Teilen des Okavangodeltas im süglichen Afrika war einfach, aber kurzsichtig. Nach Plänen von Wissenschaftlern wurden die dort lebenden Wildtierherden von Nutztieren verdrängt und der karge Boden zur Produktion von Rindfleisch verwendet. Vorher bekämpfte man erfolgreich die Tsetse-Fliege, die auf bestimmte Rinderrassen tödliche Krankheiten überträgt.
    Zuerst lief alles wie gewünscht, doch bald zogen Hunderte von Viehzüchtern in dieses Gebiet. Die Folge: Durch Überweidung wurde keines der Tiere satt, und als der regen ausblieb, verfiel das ehemals fruchtbare Land in der Sonnenglut zu Sand und Staub." Es geht mir im wesentlichen um solche Fälle und keine direkte Kritik an "Ingenieure ohne Grenzen". Dass ich als Alternative nur Verzweiflung anbieten kann, liegt daran, dass ich in der Literatur keine Angaben zur Bewältigung von Problemen in komplexen Welten vorstellen kann. Ich möchte aber zumindest die Schwierigkeit thematisieren und vielleicht auch auf die überschätzte Hoffnung verweisen, durch technische Lösungen, Probleme zu verringern als zu vergrößern.

  4. Klaus Waldmann sagt:

    Hallo Fibonaccie,

    vielen Dank für Ihre Kommentare zur Richtigstellung.

    Ich bin selber Ingenieur mit ET-Hintergrund. Mit dieser Ausbildung ist ein hoher Anteil an Systemtheorie verbunden (natürlich eher elektr. als soziale Systeme). Ich habe das Buch von Herrn Dörner bereits im Studium gelesen und fand es herausragend. Allerdings sind die Schlüsse, die ich nach dem Lesen des Buches ziehe etwas anders, als ich Ihre hier verstehe.

    Es ist auch anders als Sie sagen (z.B. in Ihrer ersten Antwort auf meinen Kommentar), kein mathematisches Problem, dynamische, nicht-lineare Systeme zu beschreiben. Das können Regelungstechniker und Systemtheoretiker seit Jahrzehnten. Das bezieht sich auf Eingrößenregelsysteme genauso wie auf Mehrgrößenregelsysteme. Mathematisch und theoretisch ist das prinzipiell alles klar.

    Es gibt lediglich ein Problem dabei: Die Intuition. Der Mensch tendiert dazu, Dinge einfach sehen zu wollen. Eine schnelle Lösung ist oft erwünscht, und dabei verliert man logischerweise die Sicht auf Seiteneffekte.

    Und hier kommen wir zu den Ingenieuren ohne Grenzen (von denen ich einige persönlich kenne, sonst wäre mir Ihr Kommentar nicht so sauer aufgestoßen): Entwicklungshilfe muss sich an diesen Erkenntnissen orientieren. Diese Idee ist auch nicht neu. Sie wird dadurch umgesetzt, dass man
    Рzusammen mit den betroffenenen Menschen nach L̦sungen sucht, um Probleme bereits im Vorfeld zu vermeiden
    – Lösungen nur in Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung umsetzt, damit diese ihre Probleme danach möglichst eigenständig lösen kann
    РMenschen vor Ort ausbildet, damit eine langfristige und dauerhafte L̦sung entsteht.

    Daraus folgt natürlich, dass eine Situation sich nicht von heute auf morgen ändert, sondern dass man für ein erfolgreiches Projekt langfristig denken muss.
    Alle diese Punkte sind aber seit langem bekannt, und aus eigener Erfahrung mit den Mitgliedern von Ingenieure ohne Grenzen, die ich kenne, weiß ich, dass sie dort beachtet werden. In jedem Projekt!

    Der Grundwasserspiegel muss selbstverständlich vorher in Betracht gezogen werden, bevor man Brunnen bohrt. Unter anderem auch deshalb setzt Ingenieure ohne Grenzen in vielen Projekten auf Zisternen statt auf Brunnen. Der Grundwasserspiegel wird im Normalfall dadurch praktisch nicht beeinträchtigt. So etwas wäre aus meiner Sicht einen Kommentar wert – bitte nicht nur das etwas pauschale "Brunnen bohren kann auch negative Folgen haben". Vor allem deshalb, weil das natürlich auch vom Projekt abhängt und nicht generell gesagt werden kann.

    Ich habe mir den Spaß gemacht, diese Seite mit der sich entspinnenden interessanten Diskussion an die Geschäftsführung von Ingenieure ohne Grenzen weiterzuleiten. Dort ist man gerne bereit, mit Ihnen über konkrete Aspekte zur Entwicklungszusammenarbeit und auch über konkrete Projekte zu sprechen. Wenn Sie Interesse haben, wenden Sie sich einfach an pr (at) ingenieure-ohne-grenzen.org .

    Tatsache ist, dass die Verflechtungen in der heutigen Welt zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern sehr zum Vorteil der ersteren sind. Und deshalb bin ich durchaus der Meinung, dass man als Europäer ein bißchen eine Verpflichtung hat, das zu ändern. Natürlich, indem man vorher nachdenkt und sich Gedanken macht. Und indem man langfristig ein Projekt begleitet, anstatt etwas hinzubauen und zu verschwinden.

    Schöne Grüße!

  5. Fibonaccie sagt:

    Hallo Herr Waldmann,

    ich stimme mit Ihnen ganz überein, dass wir die Verpflichtung haben, etwas zu tun. Ich wollte in seinem Engagement niemandem auf die Füße treten und bin mir auch sicher, dass diese Systemaspekte von Dörner mittlerweile von den Ingenieuren Berücksichtigung finden.

    Sie müssen wissen tatsächlich beschäftige ich mich mit Systemen allerdings aus einer soziologischen Perspektive. Ich hatte im Sonderband der Kölner Zeitschrift für Sozialforschung zur Umweltsoziologie, der als Grundlagenwerk in diesem Bereich gilt, von Dieckmann/Jaeger Folgendes gelesen: „Um allerdings soziale Systeme tatsächlich als nichtlineare, komplexe Systeme zu modellieren, werden noch erhebliche Forschungsanstrengungen nötig sein.“ (Dieckmann/Jaeger 1996:21) In diesem Sinne habe ich viel zu ungenau argumentiert. In dem korrespondierenden Artikel von Helga Nowotny „Umwelt, Zeit, Komplexität: Auf dem Weg zur Endosoziologie“ wird dann das Problem diskutiert, inwiefern die Spaltung zwischen Akteur, der auf eine Umwelt einwirkt, und einer Umwelt, die unabhängig existiert, nicht mehr vollzogen werden kann, da die Umwelt als solche immer vergesellschaftet Teil des sozialen Systems ist. Zu dem Problem der Intuition, was sie ja erwähnen, kommt daher ein gesellschaftliches Wahrnehmungsproblem. Wie wird Natur reduziert? Wie es Beck zum Beispiel in diesem Band fasst: als robuste Natur des Managers, als sensible Natur des Umweltaktivisten, als Meditationsoase für den Touristen oder als unbemerkte Natur des Arbeiters? Dörner sieht diese Frage in dem Problem (auch in diesem Band), wie das Modell auf die Wirklichkeit passen kann, wie die entsprechenden Variablen isoliert werden. Nowotny geht nun aufgrund der Wechselwirkungen zwischen Natur und Gesellschaft von einer prinzipiellen Unbestimmbarkeit der Zukunft sozialer Systeme und das ist natürlich eine pessimistische Prognose. Beim Lesen war ich damit auch höchst unzufrieden. Ich hatte nun fälschlicherweise zu voreilig diese Prognosen auf das viel kleinschrittigere und bedachtere Vorgehen der „Ingenieure ohne Grenzen“ übertragen. Erst als ich im Laufe des Tages die Website dieser mit den vielen kleinen Projekten gesehen habe, sah ich, dass ich mir aufgrund meiner Zeit-Lektüre ein falsches Bild gemacht hatte.

  6. Fibonaccie sagt:

    Viele andere Beiträge in dem Band zur Umweltsoziologie konzentrieren sich übrigens auf Rational-Choice-Ansätze, die recht engmaschig kleinere Problemfelder der Umweltsoziologie empirisch aufarbeiten. Hier war Köln mit Prof. Franzen auch lange Zeit einer der zentralen Orte für diese Forschung und ich verstehe es so, dass diese Rational-Choice-Ansätze die maßgebende Forschungsrichtung im Moment in der Umweltsoziologie ist.
    Systematisch interessieren mich die Rational-Choice-Paradigmen aber weniger, da sie zwar gut auf kleinere soziale Umweltprobleme (zum Beispiel Müllentsorgung in einer Stadt) angewendet werden können, aber diese die Frage nach dem großen Problem der gesamten Umwelt, notwendig außer acht lassen müssen. Ich verstehe ja, dass man klein anfangen muss, beschäftige mich aber vorrangig mit dem Verhalten von sozialen System hinsichtlich sehr dringender Großprobleme wie zum Beispiel dem Klimawandel. Es erstaunte mich zum Beispiel als ich für einige Zeit in Amerika war, dass die Amerikaner großflächig nicht an Klimawandel glauben, obwohl das für mich immer eine unhinterfragte Tatsache darstellte. Ich habe dazu ein paar andere Blogbeiträge geschrieben: http://dergrueneplanet.wordpress.com/2011/03/01/woher-wissen-wir-ob-es-klimawandel-gibt/. Ich habe mich mit den sozialen Bedingungen und nicht nur mit den psychologischen Bedingungen wie bei Dörner für Umweltverstehen auseinandergesetzt. Daher möchte ich keineswegs an dem Sachverstand von Ingenieuren zweifeln, aber die Frage für mich ist, wie wir überhaupt gerechtfertigtes Wissen über die Umwelt erlangen und da bin ich äußerst skeptisch.

    Aber wissen Sie, ungeachtet der komplexen Wahrnehmungsprobleme, Sie sind ja Ingenieur Ihnen sind die Probleme, die ich hier diskutiere alle wohl vertraut, daher kommt es Ihnen vielleicht auch etwas naiv gestaltet vor. Von einer soziologischen Perspektive kann ich aber sagen, dass die so genannten KUL-Welten keineswegs jedem bekannt sind. Die Gesellschaft verfügt noch keineswegs über das Bildungsniveau und glaubt zumeist, dass wenn man irgendwohin viel Geld steckt, dann schon was Gutes passiert. Daher verstehe ich diese Beiträge auf Ingenieursniveau nicht als fachlich vollständig informiert, aber ich möchte diese Probleme andenken. Ich glaube wie Sie, dass sich etwas ändern soll und muss vor allem in bildungstheoretischer und moralischer Hinsicht, daher sind diese Blogbeiträge und die Diskussion vielleicht auch Werbung für freiwilliges Engagement.

    Auf jeden Fall aber Danke für den letzten Kommentar. Er hat mich weitergebracht entscheidende Punkte auseinander zu halten.

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