Zum Tod von Vera Birkenbihl – Philosophie des gehirngerechten Lernens

Im Alter von 65 Jahren ist Vera Birkenbihl, die Entwicklerin einer gehirngerechten Lernphilosophie, gestorben. Da ich Birkenbihl für eine der besseren Gehirngymnastikerinnen halte, Grund genug endlich einen Beitrag über sie und ihre Philosophie in Angriff zu nehmen. Im Folgenden ist ein längerer Vortrag von ihr, der mich einfach von ihr überzeugt hat.

Natürlich fragt sich bei Birkenbihl in erster Linie, was an dem Marketingbegriff „gehirngerecht“ eigentlich wirklich dran ist. Im Segment der Personality-Trainer toben sich ja so manche Hobbyphilosophen aus, denen jeder Begriff recht genug ist, solange er sich vermarkten lässt. Da sollen die Damen und Herren schon mal 60 Sekunden tagsüber beim Toilettengang lächeln, um ein fröhlicheres Leben zu führen und jede Krankheit in ihrem Leben als Chance zur Veränderung begrüßen. Die Zielgruppe ist damit bestimmt. Gerade die Sieger-Philosophie der Positiv-Denken-Branche hat diese zu einer Anlaufstelle für selbstzweifelnde Manager gemacht, die sich in der Midlifecrisis suchen oder in der anstehenden Karriere für sich die richtige „Philosophie“ suchen. Doch auch der gute Bildungsbürger, der sich dem Prestige des Denkens und Philosophierens verpflichtet fühlt, wärmt bei Seminaren, so er sich diese leisten kann (2.000 Euro für einen Seminarplatz ist nicht selten) gerne die Vorlesungssitze. Vera Birkenbihl zählte mit ihrer Philosophie sicher auch zu den Gurus, wohl aber besaß ihre Philosophie Esprit, Humor und war weniger vom ausbeuterischen Unternehmertum der Branche geprägt, was sie allerdings nicht hinderte mit ihrer Theorie dennoch Millionärin zu werden.

Woran erkennen wir nun aber Unfug oder gehaltvolle Lern- oder gar Lebensrezepte? Diese Frage ist keineswegs leicht, dennoch möchte ich jedem Leser einen leichten Test nahelegen, wie er Konzepte von angeblichen Gurus überprüfen kann:

Die Grundfrage der Philosophie: Was ist Wissen

brain

Von der Philosophie der Gehirngerechtigkeit

Ein großes Problem in unserer heutigen Gesellschaft ist, dass wir nicht wissen, was Wissen eigentlich ist. In der Regel berufen sich Menschen nämlich auf Plausibilitätsargumente und halten diese für den letzten, möglichen Schluss und damit für Wissen. Ein Beispiel: Dürfte nicht allen Lesern bereits klar sein, dass Eskimos circa 200 Wörter für Schnee haben? Die Plausibilität liegt nah, denn Eskimos leben in einer Eiswüste. Was sollten sie also den ganzen Tag sonst tun, als Gedichte über den Schnee zu schreiben? Das Naturvölkchen, das immer wieder den Satz „Es schneit“ seinen Kindern und Kindeskindern aufsagen musste, hat gelernt Geschichten über den Schnee zu schreiben, die in schillernder Silbenvielfalt doch das selbe Ding immer wieder neu beleuchten. Was also tun Eskimos? Natürlich sie unterhalten sich über Schnee. Plausibel? Nicht nur der Philosoph, sondern vor allem das wissenschaftliche Bewusstsein erkennt schnell, dass die Kausalität hier nur unterstellt ist. Es kann sein, dass Eskimos viele Wörter für Schnee haben und es sprechen Gründe dafür, diese These anzunehmen, ein letztgültiger Beweis jedoch liegt nicht vor.

Tatsächlich haben Eskimos zwei Worte für Schnee, nämlich fallender Schnee (qanik) und liegender Schnee (apuk) (Quelle: http://www.iaas.uni-bremen.de/sprachblog/2007/01/29/schneeschmelze/). Natürlich ist dieser Mythos schon vielen bekannt, warum glauben dann aber so viele an esoterischen Hokus Pokus, der genau die gleiche Plausibilitätsargumentation an den Tag legt? Homöopathie ist in diesem Sinne nichts anderes. Nun, ich denke den meisten ist philosophisch die Argumentationsstruktur nicht klar. Wie sind wir also zu diesem Wissen als Menschheit gekommen, dass Eskimos nur zwei Wörter für Schnee haben? Nun, wir haben nicht einfach nur nachgedacht, sondern wir haben nachgeschaut, wie es tatsächlich ist. Bei allem Philosophieren und Denken, ist dies bei so #genannt empirischen Fragestellungen unersetzlich. Daher sollten sich die Leser dieses Philosophie-Blogs immer fragen, ob es auch wirklich so ist und sich überlegen wie Aussagen fundiert werden können.  Was sind die wirklichen Beweise, so viel sei nun verraten Plausibilitätsargumente helfen Thesen zu finden, sind aber an und für sich für den Bereich des Denkens und nicht für empirische Thesen reserviert.

Zurück zu Birkenbihls gehirngerechter Lern-Philosophie 

Was bedeutet dies nun für die Thunder-Learning, Speed-Learning, Spectaculearning und generell für die Erfolgreicher-Leben-Philosophien? Für den Sektor gilt gleiches. Wir bedürfen empirischer Evidenz. Ansonsten kann alles wahr sein, aber auch ebenso falsch. Da es nun im Sektor der Lernstrategien bisher wenig Empirie gab, hat sich daher auch viel Unfug durchgesetzt wie beispielsweise die Lerntypentheorie nach Vester, die gar an Universitäten von ahnungslosen Dozenten unterrichtet wird (ich behaupte, dass uns dies mit Philosophie als Schulfach nicht passieren würde).

Gilt gleiches auch für Birkenbihl? Birkenbihl gehörte wohl zu den besseren ihres Fachs und auch ich konnte viel von ihren Theorien profitieren, vor allem da ich versuchte diese kritisch zu prüfen. Schauen wir uns ihre Idee also mal genauer an: Die Lernphilosophin Birkenbihl argumentierte also, dass Lernen so funktionieren müsse, wie unser Gehirn funktioniert. Diese Aussage ist durchaus plausibel, aber ist sie auch wahr? Ja, und nein, denn es ist keine empirische Aussage. Philosophieren wir das mal durch: Im Grunde behauptet Birkenbiehl, dass ein Prozess genau nach den Bedingungen stattfinden müsse, die den Prozess erst ermöglichen. Genau diese These aber ist für den Philosophen eine Tautologie, ein Satz, der immer wahr ist. Ein Prozess funktioniert so, wie er funktioniert. Wir lernen wie unser Gehirn eben lernt. Das Problem liegt daher eher in der Frage, ob die konkreten Lernansätze, die uns Birkenbihl vorschlägt, tatsächlich dann auch so funktionieren, wie unser Gehirn funktioniert. Wie unser Gehirn nämlich letztlich vollständig funktioniert, wissen die Wissenschaftler noch nicht so genau, so dass immer noch die Plausibilität im Spiel ist. Wenn wir also Birkenbihls Überzeugung nach sogenannte ABC-Listen erstellen sollen, um intelligenter zu werden, stellt sich die Frage, ob dies auch wirklich hilft oder ob dies nur eine Theorie von ihr ist. Hier aber verrät sich das entscheidende Defizit Birkenbihls. Birkenbihl ließ sich zu häufig von ihren eigenen Plausibilitätsargumentationen überzeugen, ohne eine wissenschaftliche Prüfung zu fordern. Sie ist keine Philosophin und auch keine Forscherin, denn dann hätte sie konkret ihre Thesen empirisch überprüfen müssen, stattdessen erschlägt sie Menschen mit ihrer unglaublichen Belesenheit.

Bewunderung für die Birkenbihlphilosophie

Gleichsam Birkenbihl oft auf die Plausibilität ihrer Argumente hereinfiel (daher auch an sprachliche Relativität glaubte und leicht der Eskimothese gefolgt wäre), so war sie doch dennoch ein intellektuelles Schwergewicht auf ihrem Terrain und mit einer ungeheuren Motivation ausgestattet. Zu der Birkenbihlkompetenz heißt es daher im Spiegel-Artikel schlicht: “

„Medizinisch angehaucht, historisch unterfüttert, und wer jetzt noch Fragen hat, wird mit Fußnoten abgeschossen.“ (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-23582712.html)

Es muss allerdings auch hinzugefügt werden, dass Birkenbihl zwar 65 Bücher veröffentlichte, diese sich aber oftmals in endlosen Schleifen wiederholen. Nach der Lektüre von mindestens zehn ihrer Bücher gab ich die Dame auf, da sie sich in ihrem Birkenbihluniversum wohl verloren hatte. Die ewig gleichen Thesen haben dann irgendwann ihre Kraft für mich verloren. Es passt wohl daher auch ins Bild, dass Birkenbihl das Asperger-Syndrom hatte.

Dennoch bewundere ich ihren Lebensstil. Wenn ich es richtig verstehe, so lebte die Dame im Lernmobil zwischen Heimorgel und Filzstiftsortiment, um endlose Zeichnungen, Mitschriften und Vorträge zu erstellen. Eine Lebensweise, die mir mehr als zusagt und daher kann ich in dieser Hinsicht nur Bewunderung aussprechen für eine Frau, die tatsächlich meinen Lebenstraum schon gelebt hat. Mein Ziel wäre es ja, ein Wohnmobilblogger zu werden und dies lieber als die akademische Karriere in den menschenleeren Mondlandschaften der Philosophie zu verbringen.

Birkenbihls Tod:

Tatsächlich fragte ich mich oft, ob Vera Birkenbihl mit ihrer positiven Lerneinstellung ein langes Leben führen würde. Einer ihrer Ansätze war, bei Krankheit selbst innerlich aufzublühen, etwas Neues zu lernen. Demnach würde das Gehirn dann dem Körper Heilung signalisieren. Lerne ich eine neue Sprache restrukturiert sich das Gehirn und gleichsam auch der Körper. Plausibel. Richtig, und genau hier ist das Problem. Bei Birkenbihl funktionierte es demnach nicht. Dennoch Birkenbihl ist ein Gewinn für Menschen, die ihr Leben gerne mit kreativen Lernen verbringen. Gehirngerecht kann Philosophie dabei nicht sein, denn genauso wie unser Gehirn entwicklungsoffen ist, so gilt dies auch für die Philosophie. Jeder, der also mit Offenheit den alltäglichen Phänomenen begegnet, ist mit Birkenbihl gut beraten.

Beim Sprachenlernen hat mir ihr Buch „Sprachen lernen leicht gemacht“ ungemein geholfen. Mit der Technik habe ich begonnen passives Englisch begonnen. Mein Lateinstudium und mein Chinesisch lernen ist auch ihrem Ansatz zu verdanken, daher hier ein Einblick.

Auch empfehlenswert Birkenbihls Vorträge, die nun auf Plausibilitätsargumente geprüft werden können. Hier mal der Vortrag zur pragmatischen Esoterik:

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Norman Schultz

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6 Antworten auf Zum Tod von Vera Birkenbihl – Philosophie des gehirngerechten Lernens

  1. Eva sagt:

    tja….. ALLEIN positives Denken hilft wohl nicht! Ãœbergewicht, rauchen, schlechte Essgewohnheiten, aufgeregtsein, gestresst sein…. und vielleicht Einsamkeitsgefühle könnte auch Ursachen für einen „frühen“ Tod gewesen sein. Oder ihre Zeit war einfach vorbei. Glauben ist nicht Wissen ;-)

    • Fibonaccie sagt:

      ja du hast Recht. Interessant deine Einblicke zu ihrer Persönlichkeit. Ich weiß darüber nicht viel.

    • Gast sagt:

      sie hatte Speiseröhrenkrebs! Vielleicht einfach mal vorher informieren, wie wär’s?

    • Gast sagt:

      Unmöglich – Den Tod eines Menschen so zu kommentieren… In dir scheint etwas ganz Essentielles bereits lange tot zu sein…

      • Silvia sagt:

        Ganz unrecht hat Eva damit nicht. Ich beschäftige mich schon viele Jahre mit dem Thema Krebs. Und die Aufzählungen sind alles Ursachen für die Krebsentstehung. Das heißt ja nicht , dass Vera auf anderen Gebieten sehr gute Leistungen vollbracht hat. Menschen die sich aufopfern , denken meistens nicht an sich selber.

    • sebastian sagt:

      Hi Eva,
      einfach mal 10 Jahre später antworte ich hier^^
      Egal. vielleicht passiert ein klines Wunder und du liest das.

      Mich beschäfigt die Frage warum Vera Birkenbihl in den Video für mich übergewichtig aussieht. Ich dachte mir „Wie kann es sein dass ein so wissender Mensch seinen Körper nicht besser pflegte?“ Und wie auch auf deine Frage erhielt ich von meinem besten Freund eine für mich verletzende Reaktion (Empörung). Immer wieder komisch, dass selbst in der heutigen Zeit gewisse Fragen automatisch verbale Gewalt bei anderen auslösen- wie im Mittelalter.
      Ich habe bisher keine Antwort gefunden auf meine Frage, hast du?

      Liebe Grüße
      Sebastian

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