Philosophie der biologisch-technischen Entgrenzung – weitere Gedanken zur Prothetisierung und Augmentation

Das Video erhebt schlussendlich die Erfahrung zur neuen Realität. Das ist natürlich philosophisch betrachtet Unfug, da Erfahrungen gepaart mit dem Denken bereits Realität bilden und es ohne überhaupt keine Erkenntnis geben würde. Die Idee allerdings, dass Erfahrungen verkauft werden, erweist sich als interessant, inwiefern diese Erfahrungsverkäufe sich aber von simplen Drogendeals unterscheiden sollten, eröffnet der Film nicht. Ohnehin besteht die menschliche Lebensqualität nicht unbedingt darin, auf einer Vergangenheit als Traumkissen zu ruhen, sondern besteht in der menschlichen Freiheit, sich für verschiedene Zukunften entscheiden zu können. Drogen geben diese Möglichkeit nicht.

Entgrenzen der menschlichen Ausstattung (Prothetisierung)

Allerdings ist es auch schwierig über die Zukunft nachzudenken. Das Internet ist so zum Beispiel in den stolzesten Zukunftsvisionen der 50er nicht in Ansätzen aufgetaucht. Es lassen sich viele Dinge andenken, ob wir aber die Zukunft, welche der Philosoph Aristoteles als das grenzenlose Meer, das von keinen Pflöcken begrenzbar sei, ertasten, ist eine Frage, die nur in der Zeit ihre Antwort finden kann. Dennoch können wir mutmaßen, dass die Entgrenzen ganz andere Level erreichen werden. Bedenken wir die Entgrenzungen der plastischen Chirurgie und der verlorenen Furcht vor dem Skalpell, dann erscheint es schnell plausibel, dass sich die Fragen nach der menschlichen Konstitution verändern werden. So gibt es mittlerweile einen Menschen, der sich freiwillig die Hand hat abnehmen lassen hat, um eine bionische Hand zu erhalten.

Die Szenarien der 90er verwiesen ja noch auf einen Kampf zwischen Maschinen und Menschen. Die Gegenüberstellung zwischen einer entgrenzten Entwicklung der Maschinen und deren künstlicher Intelligenz kulminiert im damaligen Zukunftsdenken schließlich in einer letzten Schlacht. Die Dystopie erzählt von dem Drama, dass der Mensch aus seinem Lebensprinzip heraus, aus seiner einzigen Freiheit, eine Gewalt entwirft, die ihm sonst immer nur als Natur gegenüberstand. Die Unberechenbarkeit besteht in den nur kalkulierenden und rechnenden Maschinen, die der Mensch selbst entwickelte. Während in früheren Generationen noch die Natur der unbekannte Dämon war, so sind es in den 90ern die Maschinen, die einfach nur den Menschen vernichten wollen.

Aber warum will die Maschine vernichten? Warum die Biologie aus der Materie verdrängen? Nur um dann bis in alle Ewigkeit mit sich selbst Schach zu spielen? Ist die Frage nach der Zukunft nicht viel eher die Frage nach bereits erwähnter technisch-biologischer Verschmelzung?  So verfasste Susan Blackmore, bekannte Memforscherin, doch Folgendes:

„Ãœberall um uns herum vermehren sich Techno- Meme und bereiten sich darauf vor, die Kontrolle zu übernehmen. Sie selbst wissen es nicht, denn sie sind einfach egoistische Replikatoren, und sie tun, was alle egoistischen Replikatoren tun: Sie lassen sich kopieren, wo immer und wann immer es geht, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.“

Ahnungslose Blogger automatisieren bereits ihre Blogs, um das Web mit Informationen zu überschwemmen. Selbst dieser Blog wurde bereits auf English publiziert, ohne meine Erlaubnis. Es wird Content von Roboterarmeen produziert, von Programmen, die vernetzen und sinnlos vor sich hinbloggen. Nicht ohne Grund müsst ihr bereits überall diese Sicherheitsabfragen eingeben. Dennoch wird es kein Kampf zwischen Mensch und Maschine werden, denn die letzte Sinndimension hält noch der Mensch als Schöpfer aus Freiheit. In Ahnlehnung an Dawkins‚ Theorie von den Memen (das sind kulturelle Minimalinformationen, die allein durch Anwesenheit überleben – Beethovens erste Motivgruppe der fünften Synfonie zählt beispielsweise dazu) entwickelt Blackmore den Gedanken der Teme.

Blackmore sieht bereits das Zusammenspiel von Temen, Memen und Genen voraus. Daher ist es wahrscheinlicher, dass Menschen sich zu einer Symbiose mit Maschinen erweitern und die biologischen Grenzen zu geteiltem Wissen im Netz erweitern. Die Entgrenzung erfolgt daher in beide Richtung: sowohl in die technische als auch in die biologische Richtung. Die Freiheit des Menschen gewinnt mit der zunehmenden Kontrolle der Kausalität zunehmend mehr Spielräume im Universums bleibt aber auf das Universum zurückverwiesen. Das Universum gewinnt sich zunehmend am Menschen.

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Die Zukunft der Menschen? (Foto: steevithak)

Wie muss die Entgrenzung aber gedacht werden? Ist es eine bloße Replikation von Körperorganen, die den Organen selbst nachgeahmt werden oder steuern wir auf eine Welt der Individualkörper zu? Es ist gut denkbar, dass die angestammte Menschästhetik nicht alle Individuen als notwendig schön erachten, so beobachten wir ja auch vollständige Körpertätowierungen, die der Unfreiheit der menschlichen Haut ein ästhetisch künstliches Pendant entgegen setzen. Kugeln, die sich Menschen unter die Haut transplantieren und körperfeindliche Selbstverstümmlungsrituale offenbaren Wünsche, sich von fleischigen Manteln in Entgrenzung zu entledigen. Und hatte nicht auch schon Hugo Ball seine öffentliche Selbstverstümmlung als Entgrenzung des menschlichen Geistes gefeiert? Seine Philosophie lautete „Mit dem Herz auf der Stirn und der Tinte unter Haut“. Entgrenzen wir also schließlich mit der modernen Bionik die Sinne?

In einem Forum zur Frage was Blindheit sei, erklärte ein Blinder, was für ihn Sehen bedeute. Hinter seiner Blindheit dürften wir so keine schwarze Leere vermuten. Er erklärt, dass wir versuchen sollten, durch unseren Hinterkopf zu sehen. Was sehen wir also dabei? Dies wäre die Erfahrung eines Blinden. Und so müssen wir überlegen, dass unsere sinnliche Erfahrung entgrenzbar ist. Stellt euch vor, ihr habt nochmal ein drittes Auge und dann noch eine Auge und insgesamt einen Zirkel an Augen um euren Kopf herum. In der Folge Augen, die das Internet als Gegenwartsbewusstsein seiner selbst besitzt – überall. Nehmen wir an, eure gesamte Sinnlichkeit würde sich bewusst auf EINE räumliche Welt beziehen und diese Welt hätte keine Grenzen. Diese spezifische Welt wäre keine genuin menschliche mehr, aber vielleicht dem Wesen des menschlichen Geistes, der menschlichen Philosophie gemäß? Die Welt würde Wille werden. Ohne philosophisch-ethische Bedenken sind diese Gedanken nicht durchführbar (Dies war das Thema meiner Magisterarbeit). Sollen wir uns letztlich entgrenzen? Ist es vielleicht schließlich nur Lebensglück, das uns bestimmen sollte? Sollten wir in einer Philosophie der Enthaltsamkeit uns wieder um Lagerfeuer versammeln und in Höhlen wohnen? Ich glaube kaum und schließe daher mit Schopenhauer:

„Ein glückliches Leben ist unmöglich: das Höchste, was der Mensch erlangen kann, ist ein heroischer Lebenslauf.“ (Artur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung)

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Vielen Dank

Norman Schultz

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