Philosophie des Internetschwarms – Erste Grenzbestimmung

Schwarmphänomene sind seit Zeiten des Internets ja in aller Munde.  Auch Philosophen können sich diesem neuen, erkenntnisordnenden Begriff nicht entziehen. Die konkrete Beschaffenheit eines Schwarmeffekts demonstriert dabei folgendes Video eindrucksvoll:

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Die Philosophie des Schwarms CC_Foto: Uwe.Koch

In den konkreten Anwendungsbereichen versucht die Philosophie sich ja nun nicht nur an einer Grundlegung der Wissenschaften, sondern auch mit der konkreten Interpretation von Phänomenen in Bezug auf das Ganze. Ein Phänomen, was Menschen nun seit erst sehr kurzer Zeit erleben, sind die Phänomene der Gesellschaft, sogenannte makrosoziologische Effekte etwa. Die Kenntnisse dieser Effekte haben das Bild der Philosophie, dass es sich bei Staaten nur um größere Versionen kleinerer Gruppen handelt zurecht gerückt. Es ist klar, das wenige Individuen noch kein Muster formen können. Bei vielen Individuen werden die Möglichkeiten der Muster komplexer. Hieran schließt sich die Idee, dass jede Interaktion schließlich eigene Qualität besitzen kann. In diesem Sinne ist das Video oben nicht unbedingt als Demonstration eines Schwarmeffekts in Gesellschaften geeignet, da es sich auf Gruppenebene vollzieht. Die Qualität des Internets kann durchaus anders sein, wir können es uns nur sehr schwer vorstellen, da allein unser Verstand eher zum kleinphilosophischen Anschauungsbereich neigt. Dazu gleich mehr.

Erste Analyse des Schwarms

Der erste Multiplikator ist jemand, der vehement gegen die Nichtbeachtung seiner Umgebung antanzt. Ein paar lassen sich davon anstecken und sind ein kleines Grüppchen, dann aber explodiert die Beteiligung und eine Massenbewegungen ist entstanden. Lässt sich dies auf größere Gruppen übertragen? Der Analogieschluss wäre fatal und der Philosoph weiß, dass allein durch induktive Beobachtung noch nicht viel gewonnen wäre. Einwände könnten sein:

  • Bei Gruppen funktioniert die Vernetzung anders als bei Großgebilden wie Staaten. Wenn Menschen etwa weit von einander entfernt wohnen und doch einen Staat formieren, könnte ein solcher Effekt, ein einsamer Tänzer, verpuffen
  • Entfernungen wirken sich negativ auf die Ãœbertragbarkeit aus, aber auch in Städten, wo dichtes Wohnumfeld existiert, sind die sozialen Entfernungen zumeist größer als in Dörfern. Wer etwa weiß, was sein Nachbar arbeitet? Geschweige denn, wer dort eigentlich wohnt.
  • Schwarmphänomene haben daher Ähnlichkeit, aber es bedarf weiterer Kenntnis und Werkzeuge, um diese auf gesellschaftlicher Ebene zu nutzen

Wenn nun jemandem genau bekannt wäre, wie wir diese Schwarmphänomene zu Stande zu bringen, dieser hätte sehr wertvolles Wissen, denn er könnte Onlinemarketing par excellence betreiben. Ein solches Geheimwissen würde jedem im Internet nutzen (natürlich nur solange bis alle dieses Geheimwissen anwenden würden, dann würde sich der Effekt wieder neutralisieren). Seit Zeiten des Internets treten nun diese Schwarmphänomene gehäufter auf, denn das Internet erzeugt eine interessante, soziale Nähe, die Massenbewegungen ermöglicht. Professor Peter Kruse analysiert das Potenzial bereits sehr scharfsinnig (wobei ich den Link von Gabis Blog www.mondamo.de/blog habe):

Der Schwerpunkt liegt bei Peter Kruse also auf der Frage der Systemarchitektur. Er analysiert das Internet:

  1. Zunächst erfolgte eine „Erhöhung der Vernetzungsdichte“ mit dem Ausbau des Internet
  2. Danach erfolgte die Aktivierung von Spontanität, das heißt in sozialen Netzwerken sind Menschen motiviert, sich in einer Gemeinschaft zu Wort zu melden
  3. Was daraufhin folgte, sind so genannte Retweet Funktionen, was Prof. Kruse mit kreisenden Erregungen beschreibt. Dies bedeutet, dass Menschen auf andere soziale Aktivitäten möglichst leicht reagieren können. (Der Like-Button, den ihr unten am Ende dieses Blogposts findet, wäre so etwas ;)

Für einen besseren Gebrauch dieser Dynamik sind weitere Analysen als auch die parallele Anwendung nötig. Beides versuche ich

Zur weiteren Analyse von Schwarmphänomen – der sozialdynamische Koeffizient:

Ich habe mir überlegt, dass diese Dynamik, die Professor Kruse beschreibt, mit einem Koeffizienten angeben werden könnte. Ein Koeffizient von 1 bedeutet, dass die kreisende Erregung als stabil angesehen werden kann und die Aktivität bei allen Teilnehmern konstant bleibt. Ein stagnierendes Forum etwa oder stagnierende Besucherzahlen. Die Aktivität 0 bedeutet folglich „keine Dynamik“. Die Aktivität 0,5 würde demnach eine sich verringernde Dynamik andeuten, die irgendwann bei 0 landen wird. Ein Koeffizient von über 1 entspräche einer Dynamik, die weitere Mitnutzer an sich zieht oder die Aktivität der Nutzer erhöht. Wenn jemand so etwas mit seinem Blog erreicht, dann Gratulation (Die Hängematte wartet). Ein deutlich hoher Koeffizient hat natürlich weitreichende Konsequenzen. Wenn allerdings alle 80 Millionen Menschen in Deutschland erreicht wären und ihre Zeitressource vollkommen ausgeschöpft wäre, würde er sich final wieder bei 1 einpegeln, da dann das Niveau nur gleich bleiben kann. Es gibt demnach maximale Dynamikeffekte. Jedes Ereignis hatten einen Grenzwert an Dynamik, der nicht überschritten werden kann. Dieser Grenzwert ist allerdings schwer zu bestimmen, da die Nutzergruppen noch nicht geklärt sind.

Abhängigkeit des sozialdynamischen Koeffizienten vom Nutzerpotentialwert

Der sozialdynamische Koeffizient ist nun nicht leicht zu bestimmen, da er sich in Abhängigkeit von dem Potentialwert des jeweiligen Netzteilnehmers bestimmt und wir dazu noch nicht genügend Wissen haben. Ein Nutzer hat bestimmte Multiplikationseigenschaften, so zum Beispiel: Jemand in einem sozialen Netzwerk, der mit wenig Freunden ausgestattet ist, besitzt einen geringen Potenzialwert. Hinzu kommt die Frage, welche sozialen Werte der Netzteilnehmer hat: Ist er als politisch aktiv zu werten oder eher als harmlose Person, die sich mit Freunden nur über Frisuren, Schuhe oder Autos austauscht? Beide Faktoren haben Einfluss auf den Nutzerpotenzialwert für eine bestimmte soziale Dynamik. Ich bin mir allerdings sicher, dass eine gute Soziologie hier ein gutes Set von Eigenschaften bestimmen kann, womit dann das Datenvolumen von Facebook richtig ausschöpfbar wäre. Für einen sozialen Verein würde es beispielsweise darauf ankommen, möglichst viele politisch aktive Nutzer zu finden und zu binden. Bei einer Modefirma möglichst viele potentialhohe Modeinteressenten. Ein guter Soziologe kann hier Klassen anlegen und Facebook sehr nützlich auswerten. Hinzu kommt, dass sich gerade Netzgemeinschaften in allen Bereichen formieren, wer hier wiederum über Daten verfügt, hat viel gewonnen.

Wie generieren wir also ein System das zur Selbstaufschaukelung fähig wäre?

Nun diese Frage würde ich natürlich gerne auch für meinen Blog beantworten, denn wer möchte nicht mehr Leser, die noch mehr Leser heranholen? Prof. Peter Kruse gibt weitere Antworten in sein Videos: Die interessante Andeutungen zur Frage der Kommunikation enthalten (was ich ja auch studiert habe). Ich bin der Meinung es geht auch ohne präzise Datenerhebung, da sich Nutzer mit hohen Potenzialwerten in der Regel gerne von selbst rekrutieren. Es dauert nur länger.

Versuch sozialer Veränderung

Ähnliche Versuche der politischen Einflussnahme erfolgen bei netzwerkB (dem Netzwerk Betroffener sexualisierter Gewalt), bei dem ich als Beirat verschiedene Funktionen erfüllen darf. Zwar sind die Zugriffszahlen noch recht gering, allerdings zeigt sich, dass eine konsistente Ausarbeitung von Gedanken in einer Netzgemeinschaft den zwanglosen Zwang des besseren Arguments irgendwann derart freisetzt, so dass eine konsistente Überzeugung irgendwann auch in der Politik findet. Dies finde ich beeindruckend, denn nirgendwo kommt die Diskurstheorie eines Philosophen Habermas derart zur Geltung wie dort. In diesem Sinne ist netzwerkB im Hinblick auf eine Netzpolitik schon vorbildlich, aber Verbesserungspotenzial besteht:

Die Selbstaufschaukelung findet momentan zu beschränkt statt, auch wenn die Ergebnisse recht ansehnlich sind. So ist nach langem Dagegenhalten der Politik auf dem SPD Parteitag etwas Überraschendes geschehen. netzwerkB konnte nach langer Vorarbeit und einer auf den Punkt passenden Rede des Vorsitzenden Norbert Denef die Zustimmung des Parteitags zu einer Aufhebung der Verjährungsfristen bei sexuellem Kindesmissbrauch zu 100 Prozent erreichen. Nach diesem Erfolg gilt es dennoch, das Potenzial sozialer Netze zu nutzen, bevor es durch andere Bewegungen, die Nutzerpotenzial absorbieren neutralisiert wird. Ich sehe noch einen zu geringen sozialdynamische Nutzerpotentialwert, der bei einem solch klaren Ziel gut ausbaubar wäre.

Neutralisierung der Dynamik

Eins ist klar: Wir befinden uns in einem Anfangsstadium der Netzdynamik. Je mehr Internetaktivitäten jedoch hinzu kommen, desto mehr wird die Ressource „Zeit“ verbraucht. Wenn dann irgendwann alle freien Radikale da draußen, an politische Bewegungen gebunden sind, wird die nun entfaltete Netzdynamik einen Ruhepunkt finden, wobei die Politik eine neue Qualität erreicht haben wird.

Für zukünftige Bewegungen kommt es daher darauf an, die sozialen Medien zu nutzen. Jeder, der politisch etwas bewirken möchte, dem empfehle ich daher, sich einen Facebook-Account zu schnappen und mittels eines Blogs seine Gedanken konsistent im Vergleich zum politischen Geschehen zu entwickeln. Das Internet bindet natürlich auch mit viel Nonsense „Resourcen“. Ich denke aber, dass noch viele Menschen erkennen werden, welchen Sinn es ergibt, mitzuwirken. In diesem Sinne hoffe ich, dass ihr helft daran mitzuarbeiten und euren Nutzerpotentialwert erkennt. Ihr könnt mich aber auch gerne nur abonnieren ;)

Auf bald

Norman Schultz

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2 Antworten auf Philosophie des Internetschwarms – Erste Grenzbestimmung

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