Lässt sich der Trend der Globalisierung zurückdrehen? Können wir zu nationalstaatlichem Denken zurückkehren? Ich glaube, dass hier die Einfalt eines Kausaldenkens dominiert, dass sich nicht auf komplexe Gesellschaftsmuster übertragen lässt. Im Folgengenden daher ein fiktes Gespräch mit Peter Sloterdijk, mir un Alfred Eisleben
Zu einer Theorie der Kaualität in Gesellschaft:
Norman Schultz: Aus wissenschaftlicher Perspektive erkennen wir die Komplexität von Realitätsstrukturen. Wir interpretieren viel, können jedoch wenig voraus sagen. Donald Trumps Wahlsieg war von wenigen vorhergesagt, die sich nun als Propheten rühmen. Wie können wir unser Umfeld, den Staat, Staaten und soziale Gebilde verstehen?
Alfred Eislebe
n: Da das Soziale keine eindimensionale Kausalität besitzt, lässt es sich auch nicht mit üblichen Experimenten erfassen. Wir können nicht kausal bestimmen, was einen Krieg bedingt oder eine Revolution entstehen lässt. Kausalität ist gemacht für ein Universum, zusammengesetzt aus Billiardkugeln. Unsere soziale Realität hingegen ist ein Wechselwirkungsfeld, wobei vielleicht ein gutes Maß an Zufall mit hineinwirkt. Es ist wie mit einem Baum, bei dem sich nicht sagen lässt, ob die Blätter der Grund für die Wurzeln oder die Wurzeln der Grund für die Blätter sind. Donald Trump hat gewonnen. Nun aber einzelne Ereignisse als kausal zu bestimmen ist schwierig und ist eher ein weniger intelligentes Unterfangen. Die Ironie an der Sache ist, dass Trump sich dieser Erklärungsmuster gerne bedient.
Sloterdijk: „Es gibt in den Sozial- und Politikwissenschaften seit Langem ein gewisses Bedauern darüber, dass man mit Gesellschaften, Kulturen und Staaten im Ganzen keine kontrollierten Experimente durchführen kann. Stets bleibt man auf die Beobachtung von Originalgeschehnissen aufgrund wirklichkeitsbildender Entscheidungen angewiesen, ohne eine vergleichbare Zweitwirklichkeit studieren zu können, in der alternative Entscheidungen zu anderen Geschehnissen führen.“ würden.“ http://www.zeit.de/campus/2012/04/kapitalismus-liebe-soziolgie/komplettansicht
Alfred Eisleben: Das kontrollierte Experiment ist eben auch nur ein Erfindung und das Experiment „Experiment“ scheitert an der Komplexität der Gesellschaften. Hier lassen sich erstens aufgrund aller Risiken keine Experimente durchführen. Die ethischen Konsequenzen wären einfach zu dramatisch. Zweitens sind die Ereignisse ohnehin nicht durch korrekte Beobachtung isolierbar. Stattdessen leben wir in einer Zweitwirklichkeit der Gedanken und fragen uns ständig in Gedankenexperimenten, wie die Welt denn nun wirklich aussieht oder hätte aussehen können. Unser diskursives Denken führt entlang relativ starrer Schienen und selbst viele, die sich kritischen Denkens rühmen, fallen dabei auf diese Strukturen herein.
Norman Schultz: Der Witz ist ja gerade der, dass gerade gebildetere Menschen sich schneller aufgrund einer bestimmten, vermeintlich besseren Grundausbildung zu einem radikalen Paradigma bekennen. Das Bildung daher eine kritische Dimension besitzt, gilt mittlerweile als empirisch problematisch. Es ist eher so, dass je gebildeter ich bin, desto geschickter wähle ich die passende Antwort oder Statistik. Ein ähnlicher Fall sind die Treppenwitze. Im intellektuellen Kapazitätsvergleich verfolgt uns ständig ein zu spät gekommenes Genie, das die zuvorige Situation schon hätte richtig behandeln können. Später auf der Treppe fällt uns dann der richtige Witz ein. In der Reflexion korrigieren wir kognitive Dissonanzen und führen unsere Argumente unter der Dusche zu Ende.
Sloterdijk: „Konjektural-Geschichte“, die Frage nach dem „[w]as wäre gewesen, wenn“. Das sind die „rationalen Spekulationen“, die versuchen, die „Plastizität des Zufälligen in der Geschichte“ zu verstehen. Aber in Wirklichkeit ist das „Reale selbst variantenträchtig“. In den „Centenar-Veröffentlichungen zum „Ausbruch“ des Ersten Weltkrieges“ „wird die Geschichte eines „völlig überflüssigen“ Krieges klar, „dessen Auslösung der Zufall, die Fahrlässigkeit und die Verblendung“ war.
Alfred Eisleben: Das Wirkliche ist in seiner Explosion in die Möglichkeit eben nicht vollständig entschlüsselbar. Die Geschichtssplitter fliegen uns wie von einer Explosion ausgelöst um die Ohren. Wir versuchen noch in einer gewaltigen Anstrengung die Vergangenheit zu ordnen und zu erfassen. Daher kann ich auch die Zukunft nicht vollständig prognostizieren, wir sind noch immer mitten im Urknall der Geschichte involviert. Es kommt daher darauf an, in dieser Chaoswelle intelligent zu raten.
Norman Schultz: Sloterdijk referiert an dieser Stelle pathetisch auf Macbeth und betont, dass „das Leben […] ein Märchen [sei], erzählt von einem Idioten, voller Klang und Raserei, signifying nothing.“ Es sei ein „offene[s] Spiel des Werden-Könnenden auf dem Weg zur Gerinnung ins Faktische“. Alfred Eisleben sieht daraufhin die Zeit als eine Temperaturbewegung, einen Kältesturm, der über eine heiße Gegenwart hinwegfegt, die ein gefrorenes Eismeer von Faktizität hinterlässt. Dieser „gefrorene Eisblock der Vergangenheit“ ist auch in der Menschheit angelegt, die sich daraus eine Art Zeitpalast gebaut hat, der durch die Tore von Archiven betreten wird. Zeit wird für den Menschen nutzbar und instrumentalisierbar. Geschichten sind Propagandainstrumente, die Völker kausal gegen imaginäre Feinde mobilisieren. In der Tat aber werden sie gegen sich selbst mobilisiert, wenn sie dann den Diktatoren ihre Stimme leihen.
In der Krise werde uns allerdings bewusst, dass diese Geschichten nur endliche Fabrikate des Menschen sind. Sloterdijk argumentiert zum Beispiel: Krisen bedeuten, dass „das komplizierte System der Stützen und Halterungen, die das unüberschaubare Ganze verfugen, viel deutlicher hervortritt als zu ’normalen Zeiten‘.“ In der Krise werden die Experten dankbar in ihr Amt gehoben: „Das gibt den Experten für politische Dinge einen Zuwachs an Deutungskompetenz.“
Alfred Eisleben: Der Experte hat allerdings keine Deutungskraft, sondern ist ein fahrlässiger Urlaubsreisender, der gerne Anhalter mitnimmt und sie wie eine Oma berät.
Sloterdijk stimmt zu: [Der ] „Baader-Meinhof-Komplex [sei] eine systemisch bedingte Niederlage des Journalismus, ja des Mediensystems im Ganzen […]. Faktisch funktionierte die mediale Spiegelung der Anschläge als der intensivste Terror-Reklame-Service.“
Norman Schultz: Experten sind also Nutznießer, Parasiten des eigentlichen Weltbetriebes?
Alfred Eisleben: „Da das Fernsehen in seinem 24 Stunden-Betrieb Informationen erzeugen muss, werden verschiedene Ereignisse ins Licht gezerrt, die statistisch eine untergeordnete Rolle spielen müssen. Was die Menschheit am Ende bedroht ist nicht der Terror, sondern die Umwälzung des Ökosystems. Die wahren Massenverbrechen sind in der Ausbeutung des Tieres und der Pflanzen zu suchen. Experten aber spezialisieren sich auf emotionale Nahkatastrophen. Darüberhinaus widmet sich die Blogosphäre der Produktion von Aufmerksamkeit. Hier wird eine irreale, zuweilen surreale Zweitwirklichkeit monetarisiert. Monetarisierung bedeutet aber die Zweitwirklichkeit des Internets in eine Erstwirklichkeit umzubauen.
Norman Schultz: Sloterdijk empfiehlt „Lenins Dekrete über den Roten Terror von 1918 wieder zu lesen, um zu begreifen, dass Terror nichts anderes als eine Version der Publizistik darstellt.“
Terror ist ein historisches Fabrikat, das Böse hat sich in den Bereich der Medien übersetzt. Mit kausaler Deutungshoheit übernimmt Trump daher sein Amt.
Wir werden einer neuen geschichtlichen Radikalisierung entgegen gehen. Die Diversifizierung im wissenschaftlichen Bereich bedeutet auch eine Amplifikation des Debilen, der Dummheit. Die intellektuellen Unterschichten haben diese Medien unter Kontrolle gebracht. Leider bedeutet eine Revolution der Masse auch immer eine Revolution der intellektuell Herausgeforderten. Selbst Bildung kann dabei nicht mehr die kritische Funktion in unserer Gesellschaft übernehmen.
Für das Hintergrundrauschen und eine Erinnerung an die Komplexität empfehle ich den Nasa Lifestream, der bei mir jetzt regelmäßig als Bildschirmschoner läuft.
Ansonsten ist meine Photographie nun auf meinem Instagram-Account zu entdecken:
Doktorarbeit:
Meine Doktorarbeit ist etwas ins Stocken geraten. Ich versuche gerade darzustellen, dass der frühe Marx zwischen Idealismus und Materialismus in Auseinandersetzung mit Hegel anzusiedeln ist. In diesem Sinne untersuche ich Habermas, der Marx in „Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus“ als Materialisten voraussetzt. Lesen wir Marx derart, so wird er von einer philosophischen Auseinandersetzung mit der Entfremdung durch Arbeit abgetrennt und als Empiriker betrachtet. Ich halte das für problematisch, denn ich glaube, dass Marx doch normative Gehalte vertritt, die sich nicht empirisch begründen lassen.
Norman Schultz
Pittsburgh 2016