Philosophie und der Hunger – Ist Welthunger ein überschätztes Problem? (Teil 2)

Umverteilung und kommunistische Revolution als Lösung?
Nach Wikipedia leben die meisten Hungernden in Asien und der Pazifikregion (524 Millionen), danach kommt Afrika südlich der Sahara mit 206 Millionen Hungernden. Lateinamerika hat noch 52 Millionen und der nahe Osten 38 Millionen. Die meisten Hungernden leben demnach in den Entwicklungsländern (820 Millionen). In den Schwellenländern seien es hingegen nur 25 Millionen, wobei es in den Industrieländern noch 9 Millionen Hungernde gibt.

Weltkarte des Hungers Quelle:wikimedia

Ich hatte bereits angedeutet, dass diese Zahlen zunächst nur geringfügig Aufschluss über das tatsächliche Problem des Hungers geben, denn da es „nur“ 8,8 Millionen Hungertote gibt, so fragt sich doch, was uns diese Zahlen sagen sollen. 8,8 Millionen Hungertote im Jahr bedeutet nämlich „nur“ 0,34% der Weltbevölkerung. Natürlich sind die absoluten Zahlen der tatsächlich Leidenden nicht zu vernachlässigen und es muss gelten, jeden vermeidbaren Tod eines Menschen zu verhindern, aber stellt es sich womöglich heraus, dass der Hungertod ein Randphänomen unserer Gesellschaft geworden ist und nicht mehr zu den Vorboten der Apokalypse gezählt werden muss? Wenn wir strukturell über 0,34% der Bevölkerung nachdenken, so dürfte sich bei der tatsächlichen Großräumigkeit der Welt dieses Problem schwerlich durch Spenden beheben lassen, denn die Frage ist: Wohin mit dem Geld? Umgekehrt wird eine Umverteilung der weltweiten Reichtümer von Superreichen vielleicht mehr Gerechtigkeit ermöglichen, wohl kaum aber ausreichen, um die Welt mit umfassendem Wohlstand zu versorgen. (Ich werde bei Gelegenheit konkrete Berechnungen dazu vorstellen. Mit relativ groben Schätzungen gehe ich davon aus, dass wir mit einer weltweiten Revolution und der Entmachtung der Reichen ungefähr 1000 Euro für jeden Erdenbürger im Jahr mehr zu Verfügung hätten, müsste dieses aber nochmal konkret überprüfen. Vielmehr springt zumindest nicht für den Einzelnen heraus. Es gibt leider sehr wenig Reichtumsforschung. Der kommunistische Gedanke aber, dass eine Umverteilung Wohlstand für alle bedeuten würde, ist meines Erachtens falsch. Wir würden stattdessen mehr Leistungsgerechtigkeit vielleicht herstellen können, ob dieses aber ungerechte Revolutionen mit Gewalt rechtfertigt, die mit viel Blutvergießen geführt werden müssten oder ob überhaupt der Aufwand einer Revolution mit den Resultaten aufgerechnet werden kann, habe ich in meine Ãœberlegungen noch garnicht berücksichtigt. Es ist zumindest problematisch, Revolutionen zu fordern, auch wenn sie eine gerechtere Gesellschaft, als wir sie jetzt haben, erzeugen würden, denn Revolutionen sind teurer und der Ertrag ist gering.)

Planwirtschaftliche Vorhaben
Zunächst hört sich die Hungerdebatte sehr alarmierend an, doch wenn dann einer das Problem angehen will, so ist sogleich unklar, wo es angegangen werden soll. Es geht nämlich nicht um Nahrungslieferungen in Krisengebiete (die finden statt). Bei dem Problem des Welthungers geht es viel eher um die Frage eines Wirtschaftsprogramms für die ganze Welt und ob dieses überhaupt planwirtschaftlich gelöst werden kann. Die größte Hungerskatastrophe der Welt fand in China im Jahre 1959-61 statt. Da man dachte, dass eine zentrale Planungsstelle die vielen kleinen Ortschaften regulieren könnte und so große unnatürliche Umsiedlungsprojekte in Gang brachte, starben in der Folge ca 15 bis 45 Millionen Menschen (http://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fer_Sprung_nach_vorn).
„Der große Sprung nach vorn“ entpuppte sich als einer der grausamsten Flops zentraler Planwirtschaft. Größere Hungerskatastrophen hatte die Welt zuvor noch nicht gesehen.

Die Parteien hatten durchaus positives im Sinn, doch auch der Glaube an die Kontrollierbarkeit der Staaten entspringt derselben Quelle wie der Glaube an die Kontrollierbarkeit der Natur.

Hier zeigt sich gerade der Vorteil einer freien Marktwirtschaft, dass der Einzelne nah dran ist und Risiken viel besser kalkulieren kann, weil er sie auch immer für sich selbst mitkalkuliert. 7 Milliarden Menschen können nun mal besser rechnen als eine zentrale Planungsstelle. Dass auf der anderen Seite eine vollkommen freie Marktwirtschaft dieses Prinzip wieder mit der Bildung von Großkonzernen und niemals rechtfertigbaren Gehältern ad absurdum führt, muss natürlich kritisiert werden. Die Zeschlagung von Kartellen ist hier überaus notwendig. Die Tatsache aber, dass eine vollkomen freie Marktwirtschaft nicht funktioniert, ist noch kein Grund auf die unsichtbare Hand der Selbstorganisation im unteren Bereich zu verzichten. Selbst Kuba geht nun diesen Weg der unteren Selbstorganisation. Damit aber müssen wir womöglich einsehen, dass die Hungerproblematik ebenso ein diffizielles, strukturelles Problem darstellt, das sich nicht durch Plakataktionen lösen lässt. Das Problem des Hungers ist meines Erachtens nur die Konsequenz der größten volkswirtschaftlichen Frage: Wie bauen wir eine gerechte und funktionierende Welt? Diese Frage lässt sich nicht allein mit dem Glauben an Umverteilung beantworten, sondern bedarf auch einer noch besseren funktionierenden Wirtschaft weltweit. Denn eines wird von den Linken oftmals vergessen: Die Wirtschaftlichkeit dient dem Menschen, indem Lebensbedingungen verbessert werden. Es muss nur verhindert werden, dass Einzelne Ungerechtigkeiten innerhalb dieses Systems ausnutzen. Aber gut auch diese Vorschläge sind grob und nur schemenhafte Skizzen, mir kommt es allerdings auch einfach nur darauf an Hunger nicht als das Ziel dunkler Männer im Hintergrund auszudeuten, sondern als ein Problem, das nur durch bessere Wirtschaftlichkeit beseitigt werden kann.

Bürgerkriege als Ursachen mangelnder Wirtschaftlichkeit in Afrika
Schnell werden für den Welthunger europäische Agrarsubventionen und Rohstoffspekulanten als Ursachen herangezogen. Diese vielleicht konkreten Ursachen erklären vielleicht, warum die Existenzbedingungen von Bauern in den Regionen bedroht sind, nicht aber, warum es zu Hunger als strukturellem Problem kommt, denn genug Nahrung gibt es auf der Welt. Wenn Essen günstiger produziert werden kann, dann ist es auch sinnvoll dieses zu tun, da so generell auch mehr Essen für alle Bevölkerungsschichten bereitgestellt werden kann. Die Wirtschaftskraft wird gestärkt, da mehr Arbeitskapazitäten für andere Arbeiten zur Verfügung stehen. Die Frage ist nur: Was machen die Afrikaner mit den komparativen Vorteilen? Sie investieren es in unnötige Kriege. Statt Investionen in Bildung zu tätigen, zerstören Bürgerkriege die Möglichkeit, die Gesellschaft fundamental vom bloßen Agrarproduzenten zu lösen. Und erst diese Abhängigkeit vom Agrarmarkt bedingt die unsicheren existentiellen Umstände. Hilfslieferungen von Nahrungsmitteln bringen da nicht weiter und auch nicht die Reduzierung von Agrarsubventionen (obwohl das natürlich gerecht wäre). Die Abhängigkeit bliebe dieselbe.

Es stellt sich bei der Hungerbekämpfung tatsächlich die Frage, wie sich die von Hunger bedrohten Gesellschaften strukturell verändern sollten. In der Moderne zeigt sich, dass gerade Länder, in denen es viele Rohstoffe gibt, Opfer von Bürgerkriegen werden. Die Frage der Verteilung der Rohstoffe überfordert zumeist die Regierungen und löst verschiedenste Konflikte zwischen den Staaten aus, die um große Rohstoffreserven konkurrieren. Die vielen verschiedenen Ethnien in den afrikanischen Staaten, die vielen Bevölkerungsschichten verursachen Bürgerkriege. Es könnte also sein, dass das Welthungerproblem in Afrika weniger mit einer postkolonialistischen Politik der Industriestaaten zu tun hat, als vielleicht vielmehr mit der Organisationskraft dieser Länder nach innen. Eine einheitliche Stimme Afrikas würde einiges nützen, dies setzt aber voraus, dass die vielen Länder lernen, Differenzen zu überwinden und sich als ein Kontinent zu begreifen. Gerade in den letzten Jahren zeigt sich ein Erstarken der wirtschaflichen Kraft in Afrika aufgrund genau dieser spärlichen Anfänge der Geschlossenheit. Wirtschaftlicher Aufschwung ist wie es Roslin gezeigt hat das beste Mittel gegen Armut, wie dieses allerdings durchzusetzen ist, lässt sich bei Millionen von Akteuren schwer berechnen und vorhersagen. Hier sollte niemand seinen eigenen Sachverstand überschätzen, denn die Interaktionen von Millionen von Menschen vorherzusagen, ist für den normalen Verstand ein Ding der Unmöglichkeit. Es ist aber genauso abstrus zu behaupten, dass einzelne Männer in Europa oder Amerika die Kleinhaltung dieser Staaten durchsetzen könnten. Natürlich gibt es Menschen, die ihre Interessen vertreten, ein einheitliches Afrika könnte aber weder von Amerikanern, von Russen, Europäern oder Chinesen unterdrückt werden.


Diese Umfrage wird freundlicherweise von SocSur РDer Umfragen Community erm̦glicht.
Nähere Infos und Regeln zur Teilnahme an Umfragen findest du auf deren Seite.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich werde das Hungerproblem noch unter dem Aspekt des Hungerkünstlers behandeln. Zunächst aber war es mir wichtig, diesen Beitrag als Frage nach der Grenze der eigenen Existenz zu stellen und die Bedeutung des Hungers in einer modernen Gesellschaft zu hinterfragen. Dabei hat sich gezeigt, das Welthunger zunächst ein überschätztes Problem ist und zum Anderen ein Problem, das langfristiger Lösungsstrategien bedarf. Zumindest können wir meines Erachtens nicht behaupten, dass Probleme wie derzeit in Japan als akute Probleme medial ungerechtfertigt Aufmerksamkeit verlangen und Hunger aufgrund von Desinteresse unter den Tisch fallen. Ich freue mich über andere Meinungen, also kommentiert :)

0Shares
Dieser Beitrag wurde unter Grenzen des Körpers, Philosophie der Sinnlichkeit, Philosophie des Kochens abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort auf Philosophie und der Hunger – Ist Welthunger ein überschätztes Problem? (Teil 2)

  1. Pingback: Philosophie und der Hunger – Ist Welthunger ein überschätztes Problem? (Teil 1) – Philosophie EntGrenzen – Die Wissenschaft der Wissenschaften

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert