Grenzen des Lesens und die Philosophie – Schnelllesen (Teil2)

The Simple Joy Of Reading

Philosophie des Schnelllesens? (CC_Foto: Von Martin Gommel)

Im letzten Beitrag hatte ich mich ja zu den dubiosen Kehrseiten und Grenzen des Schnelllesens geäußert. Diesen verquasten Theorien von Menschen im Selbststeigerungswahn fehlt die Skepsis der Philosophie. Eine philosophische Wissenschaftstheorie würde der gesamten Gesellschaft nicht schaden und ich wundere mich, dass dies in der Schule keine Rolle spielt. Derweil beschränken sich die Menschen auf den Austausch von Argumenten, während die philosophische Wertung dieser Argumente in Bezug auf das Ganze mehr bringen würde. Genau dann würde nicht viel übrig bleiben von den meisten Heilsversprechen der Speedreader und Mental Coaches. Obwohl ich aber auch aus Erfahrung den meisten Schnellleseversprechen skeptisch gegenüber stehe, stellt sich mir dennoch die Frage, ob es im Gehirn Hebel gibt, die einfach umgestellt, alte Grenzen des Geistes überwinden lassen. Ist es möglich sein Gehirn zu tunen oder wie einen Muskel zu trainieren?

Nun im Bereich des Schnelllesens gibt es zumindest Menschen, die zu außergewöhnlichen Leistungen in der Lage sind. Der Verdacht liegt nah, dass nicht nur Kim Peak, sondern tendenziell auch andere Menschen in der Lage sind, dieses zu erlernen. So wie eine philosophische Grundeinstellung oder das Klavierspiel durch Übung möglich sind, sollten doch andere Grenzleistungen möglich sein. Klären wir also mal zum Schnelllesen ein paar Fragen

Kann mit Schnelllesetechniken auch ein philosophisch schweres Buch vernascht werden?

Mit einer Geschwindigkeit von 10.000 Wörtern pro Minute kann dieses nicht möglich sein, es sei denn derjenige besitzt hinzukommend noch ein außergewöhnliches Maß an Intelligenz. Der reine Lesevorgang bedeutet ja nicht, dass wir damit schon verstanden hätten. Wohl aber stellt die meiste Belletristik mit ihrer Redundanz, das heißt der beständigen Wiederholung derselben Gedanken eine Unterforderung dar, so dass es vorstellbar ist, diese mit hoher Geschwindigkeit aufzunehmen. Bei der Philosophie hingegen bedarf es eines Höchstmaßes an genauem Überlegen als auch der entsprechend philosophischen Wertung der Gedanken. Das reine Lesen eines philosophischen Werkes ist daher keine Vermehrung von Wissen, sondern Zeitverschwendung.

An dieser Stelle kann sogleich auch mit dem Mythos aufgeräumt werden, das Wissen eine bloße Aufnahme von Daten wäre. Gut, das ist den meisten hier schon bekannt, es kommt philosophisch betrachtet allerdings auch darauf an, einen Gegenbegriff in Bezug auf das Ganze zu entwickeln. Ein moderner Wissensbegriff wurde von dem Linguisten Gerd Antos aus Halle entwickelt. Für alle die dieser Wissensbegriff in seiner groben Konzeption interessiert habe ich diesen auf meinem Philosophieblog „Fahrenheit“ hinterlegt.

Es sei hier soviel gesagt, dass ihr mit viel Lesen meines Erachtens nicht intelligenter oder weiser werdet. Die Verknüpfung des Gelesenen zu eigenen Texten ist für mich als Philosophen das entscheidende Kriterium. Daher ist das Thema des Schnelllesens wohl auch nur für Menschen geeignet, die sich schnell Überblicke verschaffen müssen. Einer gesamtphilosophische Sicht ist damit allerdings nicht erreicht. Genauer bedacht kann ich aber das schnelle Lesen wohl helfen, überflüssige Literatur schnell zu selektieren. Hier aber kommen wir eher zum Thema Leseeffizienz.

Wie schnell kann ich lesen?

Die Lesegeschwindigkeiten müssten genauer in einem Range angeben werden. Mein Range beträgt derzeit 30-1000 Wörter pro Minute. Bei philosophischer Literatur lese ich extrem langsam, obwohl es zumeist auch sehr lohnend ist, bei nicht-philosophischer Literatur, wo ich den Bereich von 1000 Wörtern pro Minute vordringe, hätte ich mir die Lektüre zumeist auch sparen können. Dies ist aber vielfältig von meinen Interessen abhängig. Für einen Germanistikstudenten mit Schwerpunkt auf Deutsche Literatur kann es sehr sinnvoll sein, sich bestimmte einfache Literatur schnell reinzuziehen.

Wie teuer sind solche Seminare?

Nach etwas älteren Recherchen entsinne ich mich auf einen Preis von 12.000 Euro für verschiedene Trainingstreffen und telefonisches Coaching über einen Zeitraum von 6 Monaten. Ich erzähle dies allerdings nur aus der Erinnerung. Für Autodidakten lautet die schlechte Nachricht, dass sie Grenzen über 1000 Wörtern pro Minute nicht erreichen werden, da eine ganz andere Art zu lesen erlernt werden muss. So geben auch die Michelmanns einen qualitativen Sprung von 1000 WpM zu 6000 an. Bis 1000 Wörter pro Minute könnt ihr euch mit den alten Techniken Möglichkeiten maximal steigern. Für Geschwindigkeiten von 4000 Wörtern pro Minute ist allerdings eine ganz andere Technik nötig. Der Lernprozess ist sehr aufwändig, da ihr erstmal Text lest, aber nichts versteht. Der Trainer achtet dann darauf, ob ihr alle Bewegungen richtig durchführt, die Augen werden beispielsweise mit speziellen Videokameras abgefilmt. Es kommt darauf an, zunächst nur die Bewegungen zu verinnerlichen und dies über einen langen Zeitraum.

Bei einer kleinen Stichprobe deren Auswertung ich entdecken konnte, betrug die Erfolgsquote allerdings auch nur um die 15%. Das heißt es ist eine hohe Risikoinvestition mit einer fragwürdigen Gewinnausschüttung. Vielleicht kauft ihr euch lieber einen Kleinwagen, um eure Zeit bei öffentlichen Verkehrsmitteln zu sparen?

Zweitägige Seminare mit mehreren Teilnehmern zum simplen Geschwindigkeitssteigern kostet ca. 100 Euro. Diese Techniken könnt ihr allerdings autodidaktisch erwerben, was für viele immerhin noch eine 2 bis 4-fache Zeitersparnis bedeutet. Habt ihr früher ein Buch in einer Stunde gelesen, so könnt ihr es dann in 15 Minuten. Zudem nehmt ihr die Inhalte besser und nachhaltiger auf. Wie gesagt für komplexe Stoffe gilt aber vor allem langsames und verstehendes Lesen.

Wo finde ich echtes Schnelllesen?

Lasst euch von den Seiten im Internet nicht verwirren, die wollen euch nur etwas verkaufen. Auf den Seiten diverser Schnelllesetrainer heißt es da:

„Es ist, als ob mein Gehirn seinen Turbolader eingeschaltet hat – und das nicht nur beim Lesen! Ich kann jedem nur empfehlen, eins der Seminare mitzumachen! Man lernt mit Leichtigkeit und viel Spaß – eben gehirngerecht.“

Die Michelmanns sind wohl die erfahrensten Trainer im Schnelllesen, allerdings möchte ich mich auch nicht für diese Seite verbürgen. Darüberhinaus ist die Seite der Deutschen Gesellschaft für Schnelllesen wohl eine erste Anlaufstelle.

Was bringt Schnelllesen für anspruchsvolle Projekte wie Philosophie?

Eine Philosophie des Schnelllesens kann es in der Philosophie selbst nicht geben. Die Lesegeschwindigkeit ist hier nicht steigerbar, sondern immer abhängig von der Geschwindigkeit des Verstehens. Während wir von Bellestristik oder simpler technischer Literatur in der Regel selbst noch mit Geschwindigkeiten von 20.000 Wörtern pro Minute unterfordert wären, so überfordert eine Seite des Philosophen Kant den Verstand auf Jahre hinaus. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass wir in der Philosophie nicht hier oder dort über ein Problem sprechen, sondern das Ganze in seinen Grenzen versuchen zu denken. Schnelllesen mag uns dabei helfen, sinnvolle von sinnloser Literatur schnell zu trennen, die Grenze dieser Unterscheidung legt aber das Denken mit seiner Zielorientierung auf die Vernunft und dies ist die Geschwindigkeit der Philosophie. Die Philosophie ist damit die Konstante, zu der sich all unser Denken in seiner möglichen Geschwindigkeit verhält.

Vielen Dank Norman Schultz.

 

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Die Philosophie und die Grenzen des Machbaren (zum Unfall bei Wetten dass..?)

Für Philosophen steht wohl die ethische Frage aus, ob die die Wette bei „Wetten dass…“ vor einem Jahr philosophisch– ethisch vertretbar war? Die Grenze des Machbaren erzeugt den besonderen Reiz, unsere Steigerbarkeit daran stets zu beweisen. Wie hält es sich also mit der Philosophie der Steigerbarkeit? Zunächst jedoch möchte ich angesichts des tragischen Unfalls bemerken: Es war richtig die Show abzubrechen. Außerdem möchte ich betonen, dass ich nichts über den Wettkandidaten weiß und wünsche, dass er es ohne bleibende Schäden übersteht.

Lillian Boyer,stunt flying acrobat

Philosophie an der Grenze Foto:ADiamondFellFromTheSky

Nun aber zu der anderen philosophischen Frage: Welche extremen Handlungen vom Einzelnen, der sein eigenes Leben überzeugt an der Grenze des Machbaren lebt, können wir in einer Gesellschaft zulassen? Hinsichtlich der Gerechtigkeit ist es zum Beispiel philosophisch fraglich, ob wir Krankenleistungen für jene mitfinanzieren, die sich wissentlich in Gefahr bringen, die eine Philosophie der Grenzen leben. Hinsichtlich des Opfers seiner eigenen Lebensführung andererseits müssen wir allerdings den Verunglückten annehmen und verpflegen. Solcherlei philosophische Fragen der eigenen Lebensführung haben immer schon ein moralisches Spannungsfeld eröffnet. Wo sind die Grenzen für den Einzelnen in seiner Gesellschaft zu ziehen? Wie vertragen sich gesellschaftliche Forderung und Wünsche des Einzelnen? Sind bestimmte extreme Lebensführungen mit unseren moralischen Standards der Philosophie vereinbar? Im Fall von „Wetten dass..?“ kommt wohl erschwerend zu diesen philosophischen Fragen die Tatsache hinzu, dass wir Grenzleistungen mit Aufmerksamkeit honorieren. Aufmerksamkeit ist in unserer Medienlandschaft das erste Zahlungsmittel. Haben wir also den Unfall als Gesellschaft herausgefordert und den Einzelnen an seine Grenzen getrieben?

Die Grenzen und für die Philosophie der Freiheit beim Einzelnen

Welche Grenzen sollen also für die Grenzerkundung gesetzt werden und welche Grenzen fordern wir als Gesellschaft? Die erste Mondmission zum Beispiel war eigentlich ein Himmelfahrtskommando und eine Grenze, die wir immer wieder überschritten würden wollen sehen. Juri Gagarin starb bei einem Testflug, ebenso Otto Lilienthal, Flugpionier. Es ist doch so: Bestimmte Grenzleistungen bringen unsere Gesellschaft voran. Gut, diese Leistungen bringen uns philosophisch betrachtet nach Gründen einer instrumentellen Vernunft voran, einer Vernunft, die nur das Wohl der Vielen aber nicht das Gute selbst im Blick hat. Ist es zum Beispiel gerecht hier die Opfer des technischen Fortschritts zu loben, so wie der Philosoph Hegel es tat, als er im Lauf der Geschichte die Toten der Kriege als notwendige Opfer in einem vernünftigen Lernprozess bezeichnete? Abgesehen von Hegels philosophisch extremen Beispiel haben wir mit Sicherheit mehr Gründe die Opfer anzuerkennen, die unsere Gesellschaft voran bringen, aber ob es besser ist, muss eine längere Diskussion zur Ethik und Philosophie anschließen. Aus welchen Gründen fordern wir uns also zu den Grenzen heraus? Diese Grenzen sind für die menschliche Vernunft schwer zu ziehen, auch für die Philosophie, doch ich argumentiere für die Freiheit der Einzelnen, die diese Grenzen auskundschaften wollen.

Zur Philosophie des Boxens

Persönlich möchte ich soviel dazu sagen: Ich weiß nicht, was konkret richtig ist. Beim Boxen bin ich zum Beispiel der Überzeugung, dass es verboten sein sollte. Und dennoch: Solange das Boxen nach gesellschaftlichem Konsens noch erlaubt ist, schaue ich es. Im Kampf Klitschko gegen Brewster war es beispielsweise faszinierend, dass Klitschko vom Ringrichter stehend K.O. gesprochen wurde. Zunächst hatte Klitschko wie immer den Kampf überlegen geführt. Kaum Treffer musste er kassieren. Mit hängender Deckung (wie heutzutage immer) dirigierte er Brewster durch den Ring (so übrigens auch bei Klitschkos Comeback in Köln gegen Brewster, dass ich live sehen konnte). Doch dann kam der Moment, in dem er Brewster nah am K.O. hatte und er wollte es erzwingen, überpeste. Brewster ging nicht zu Boden und Klitschko investierte zu viel Energie. Mit einem Male drehte sich das Blatt und Klitschko hatte Brewster nichts mehr entgegen zu setzen. In der 5. Runde dann ein Niederschlag. Klitschko wurde angezählt, er konnte sich allerdings noch halten, boxte noch aus dem Unterbewusstsein, um die Runde zu überstehen. Sein Wille war in diesem Moment stärker als sein Bewusstsein. Am Ende dieser 5. Runde aber gab ihm Brewster noch einen unfairen Schlag nach dem Gong auf den Hinterkopf. Klitschko konnte sich noch aufraffen, aber der Schiedsrichter sprach ihn an und er reagierte nicht mehr. Er reagierte auch später nicht mehr, aus dem Unterbewusstsein hätte er den Kampf jeodch noch weiter geführt, er stand ja. Klitschko danach als Glaskinn verspottet, hatte sich meiner Meinung nichts vorzuwerfen, denn wirklich K.O. war er nicht. Der Sieg für Brewster lautete daher auch nur technischer K.O.

Der Kampf zeigt, dass in uns mehr Energie steckt als unser Körper uns bei Bewusstsein zugesteht. Irgendwann entscheidet ja dein Körper, ein bestimmtes Hirnareal, dass du nicht mehr kannst und schickt dich in eine Bewusstlosigkeit. Die Bewusstlosigkeit bedeutet aber nicht, dass dein Herz hätte aufgehört zu schlagen, dass deine vitalen Funktionen ausgesetzt hätten. So gibt es Boxer die kassieren können und Boxer mit Glaskinn. Der eine wird wie ein Baum gefällt, der andere haut dir mit seinem Zementkinn die Faust kaputt. Gerade diese Boxkämpfe von Boxern, die aufgrund ihres Willens nicht K.O. gehen sind bedenklich. Denn sie lassen nicht zu, dass weder Trainer noch Gehirn das Handtuch werfen. Sie kennen ihre Grenze nicht. Daher wird heute aus philosophisch ethischer Sicht von Ringrichtern eine Grenze gezogen. Früher dauerten Profikämpfe noch über 50 Runden es wurde nicht wie heute aus ethischen Gründen abgebrochen oder nach 12 Runden die Punkte ausgezählt. Wie erkennen aber auch, dass das Boxen ein Vermarktungsgeschäft geworden ist. Boxer werden womöglich auch etwa deswegen nicht mehr verheizt, weil sich gesunde Menschen als Stars aufbauen lassen. Kurz: Das bringt mehr Geld. Für Wetten dass heißt dies wohl, dass die Wette aus philosophischer Sicht nicht hätte durchgeführt werden sollen, aber lest mehr dazu auf meinem zweiten Beitrag dazu: Philosophische Grenzbetrachtung zum Unfall bei Wetten dass..? 

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Grenzen des Lesens und die Philosophie – Schnelllesen (Teil1)

Lonely Reader - A5

Philosophie und die Grenzen des Lesens (CC_Foto von h.koppdelaney)

Für die Philosophie wie auch für andere Geisteswissenschaften sei angeblich ein hohes Lesepensum erforderlich. Diese Einschätzung teile ich nicht ganz, da meines Erachtens die Diskussion von philosophischen Ansätzen und die produktive Aneignung durch Vertextung im Mittelpunkt der Philosophie stehen. Es geht nicht um passives Lernen, sondern darum durch eigene Vertextung und Diskussion relevantes Wissen zu aktiveren und zu philosophieren. Dennoch kann auch für Philosophen eine schnelle Lesefähigkeit nicht schaden. Es gibt hohe Lesegeschwindigkeiten, die tatsächlich erlernbar sind. Wikipedia gibt Recht: Sean Adam aus den vereinigten Staaten wird mit einem Lesegeschwindigkeitsweltrekord von 3850 Wörter pro Minute referenziert. Dies bedeutet grob geschätzt 14 Seiten pro Minute (kommt ein bisschen auf das Buch und die Schriftgröße an). Ein 300- seitiges Buch ließe sich so weniger als 30 Minuten lesen. Der Witz an der Sache ist gar, dass wenn jemand diese Technik beherrscht, er den Inhalt sogar besser aufnehmen kann, da das Gehirn sich von der Langeweile des langsamen Lesens nicht ablenken muss. Auch die Augen werden durch weniger Bewegung geschont.  Was ist aber dran an den Lesetechniken, die 10.000 und mehr Wörter pro Minute versprechen?

Probleme beim Schnelllesen

Seit meinem 16. Lebensjahr beschäftige ich mich neben der Philosophie nun mit den Techniken des Schnelllesens. Ich wollte vor allem viele Inhalte schnell und nachhaltig aufnehmen. Hierbei habe ich mir verschiedenste Techniken antrainiert, die es mir ermöglichten Texte schnell und vor allem genau aufzunehmen. Zum Training verwendete ich viele Bücher, die ich allerdings allesamt nicht empfehlen kann. Es gibt kein gutes Buch zu diesem Thema, da es ohnehin um das individuelle Training mit einem Experten ankommt. Peter Rösler, selbst Experte im Schnelllesen, erhebt folgenden Einwand gegen die meisten Wunderbücher :

„entweder das Buch taugt nicht zur Lesebeschleunigung, oder das Buch basiert auf dem verfehlten Hoch-Üben“

Eine Erfahrung, die ich durchaus bestätigen kann. Die meisten Bücher setzen auf die Verringerung der Subvokalisation (das heißt der Effekt, dass unser Kehlkopf automatisch mitschwingt, wenn wir an ein Wort nur denken) als auch auf der Verhinderung von Regressionen (das heißt, dem beständigen Zurückspringen im Text, wenn wir etwas nicht verstanden haben). Zumeist sind diese Ansätze dann mit einer dünnen Theorie unterfüttert, wo am Ende mehr Versprechungen als Resultate übrig bleiben.

Was ich daraus aber zumindest erreichen konnte, waren Lesetemposteigerungen um das 2- bis 3-fache, was dann zu Lesegeschwindigkeiten von maximal 1000 Wörtern pro Minute führte. Ich übte an guten Suhrkamp Büchern und schaffte vielleicht 3 Seiten pro Minute, was ungefähr dieser Lesegeschwindigkeit entsprach. Von philosophischen Büchern die „Wissenschaft der Logik“ des Philosophen Hegel war allerdings nicht zu träumen. Um ganz ehrlich zu sein, dort quäle ich mich noch heute in 10 Minuten-Sitzungen über nur eine Seite. Die ersehnten 10.000 Wörter pro Minute, die Techniken wie das Photo-Reading versprachen, blieben aus. Es wäre auch zu schön gewesen, das Buch „Kritik der reinen Vernunft“ des Philosophen Kant in 30 Minuten zu vernaschen.

Die Grenzen des Schnelllesens und die Grenzen des Übens

Den Text nur noch optisch aufnehmen, bedeutet eine Schallmauer zu durchbrechen und Texte wie ein Bild zu verarbeiten. Einer liest dann mit dem „Schwingfinger“, seine Augen versuchen nicht Sätze von Anfang bis Ende zu lesen, sondern in einer Bewusstseinseinheit aus Seitenelementen zusammenzusetzen, aber mehr als oberflächliches Lesen kommt beim autodidaktischen Lesen nicht heraus. Einer irrt mit seinen Augen über Worttürmchen, die beständig breiter werden. Er versucht dabei seine Blickwinkel zu weiten, aber was kommt dabei heraus? Nicht viel außer, dass einer sich selbst verwirrt.

Die Pseudowissenschaftsszene der Persönlichkeitsentfaltung verkauft dabei alles. Ohnehin glauben ja Manager an ihren eigenen Erfolg als unabhängig von der Gesellschaft, warum also auch nicht an anderen Unfug? Die die Szene protzt dabei mit Begriffen: Dynamisches Lesen, Photographisches Lesen, Speed-Reading, Photreading, Scan-Reading (30 – 90.000 WpM !) und Alpha-Wellen-Lesen. Je tiefer ich in die Szene der dubiosen Bücher vordrang, desto verquaster wurden die Begriffe. Ich bin mir sicher, wäre ich diesen Pfaden gefolgt, so würde ich heute nicht Philosoph sein (was schon genügend verrückt ist), sondern in irgendeinem weltfremden Sex-Kloster in Swaziland sitzen und über Inschriften in Grashalmen meditieren.

Das Kurioseste war wohl Alpha-Wellen-Reading. Dieses war wohl der abgehobenen Idee aufgesessen, dass unser Gehirn schließlich jeden Moment speichere. Der Undercover-Agent „Unterbewusstsein“, der uns stets begleitet und insgeheim wie in einer Verschwörung gegen unser Bewusstsein die Strippen zieht, konnte im Alpha-Wellen-Modus des Gehirns aktiviert werden. In der Regel waren diese Bücher nur der Einstieg in die Hoffnung auf Persönlichkeitsentfaltung. Wer tiefer in diese Persönlichkeitsmanagementtheorie hinabstieg, konnte auch erfahren, dass das gesamte Weltwissen in einer geheimen Meditationsebene gespeichert wäre, die nur zugänglich gemacht werden musste. Eine innere Bewusstseinssperre sollte nur entriegelt sein, um den Weg zur grenzenlosen Genialität freizugeben. Und wer glaubt nicht insgeheim, dass in ihm hinter einer noch nicht entdeckten Grenze ein Genie verborgen sei? Dieser Riegel vor dem inneren Geist würde nur geöffnet werden müssen und der Einfall des Lichts in die Unterwelt des Unterbewusstseins würde unser selbst zum Guten wenden.

Die Szene der Bewusstseinssteigerung

Wohl ist es jener Mangel an Bildung über Wissenschaftlichkeit, der die Menschen in diese Kreise hinabstößt. Scientology entwickelte schließlich auch ein abgehalfteter Science-Fiction Autor, der mit einer Mischung aus schlechter Philosophie, Religion und Psychologie eine Religion aufbaute. Ron Hubbard war wohl einer der ersten, die das Interesse nach Selbststeigerung, das eigentlich der Philosophie und Religion als Überzeugung zu Grund lag, entsprechend kommerzialisieren konnte, indem er eine Religion daraus machte.

Einst war ich in der Scientologyzentrale in Hamburg und hatte auf eine komplexe Gehirnwäsche gehofft. Ich wollte sehen, wie dies geht, mehr als Unfug konnten sie mir aber nicht erzählen. Auch die transzendentale Meditation verfährt ähnlich. David Lynch, der mir mit fuchtelnden Armbewegungen sein erleuchtetes Gehirn vorstellte, konnte mich auch nicht überzeugen. „The whole brain enlightened“ betonte er als er von angeblichen PET-Scans transzendental Meditierender sprach. Doch seine Methode der transzendentalen Meditation hat wohl ähnlich nur mit Wunschdenken zu tun. Den meisten dieser Anhänger würde ein grundständiges Studium der Philosophie mit dem Schwerpunkt auf Wissenschaftstheorie nicht schaden.
Aber halt! Vielleicht gehe ich zu weit, denn trotz aller abschreckenden Beispiele glaube ich dennoch an die Techniken des Schnelllesens. Doch wo beginnt es mit der Seriösität? Den viel nüchterneren Ausdruck „Schnelllesen“ ist eher zu vertrauen. In der Organisation um das „Echte Schnelllesen“ vereinen sich dann auch viele Wissenschaftler und Professoren.
Doch auch hier ist Vorsicht geboten, denn die deutschen Schnelllesegurus, die Michelmanns, geben bei ihrer eigenen Technik selbst  Lesegeschwindigkeiten von 10.000 Wörter Wörtern pro Minute an. Da kommt einem doch schnell die Frage in den Sinn, warum sie dann nicht den Weltschnellleserekord halten. Es gibt allerdings echtes Schnelllesen. Wer nun hofft in einen Kurs investieren zu können, den  muss ich allerdings enttäuschen, der Kurs ist sehr teuer und die Erfolgsquote sehr gering. Im nächsten Beitrag dazu werde ich euch den Preis verraten. Bis dahin könnt ihr ja davon träumen wie es wäre Kim Peak zu sein. Der Autist kann mit jedem Auge jeweils eine Buchseite gleichzeitig lesen und erinnert sich an ca. 99 Prozent des Gelesenen im Wortlaut. Es gibt diese Möglichkeiten also, die Frage ist allerdings, ob sie jedem zugänglich sind. Als Philosoph muss ich allerdings betonen, dass es auch auf die Qualität und auf die Verwertung des Gelesenen ankommt. Durch gute Selektion ist auch vieles zu erreichen, aber dazu später mehr.

Ihr könnt auch meine anderen Artikel zum Thema Lesen nachschauen:

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Die Philosophie und Grenzen des Lesens – Von der Weltfremdheit

Magic Mushrooms

Von den Grenzen der Lesephilosophie (CC_Bild: h.koppdelaney)

„Seinen Horizont umstellen Bücher. Schnell gleiten seine Blicke über die Seiten, behutsam blättert er um. “ Der Kampf mit den Worten fände ohne Waffen statt.“, so heißt in einem alten Artikel des Rheinischen Merkur von 1969. Damals entdeckte die Menschheit die Möglichkeit des Schnelllesens. John F. Kennedy konnte so angeblich schon als Schüler von Evelyn Wood in unglaublicher Geschwindigkeit die Tageszeitung durchblättern.

Im Artikel über den vergessenen Philosophen Alfred Eisleben heißt es weiter: „Nur das gezielte Schauen und ein gutes Gedächtnis dienen dem Meister. Tausend Seiten pflügt er in fünf Stunden durch. Der Philosoph  Alfred Eisleben trägt den schwarzen Gürtel in der Philosophie des Lesens.“

Seine Wohnung gleiche dabei einer Bibliothek, die Wände mit Buchrücken tapeziert. Lächelnd spreche der Hochgeschwindigkeitsphilosoph vom „Feinkostladen für das Gehirn“, zwar würde er niemals die Bücher verkaufen, Gedanken verteile er allerdings gratis. Nach einem kleinen Rundgang durch seinen heiligen Bücherpalast, lässt er sich vor dem Journalisten an seinem Schreibtisch nieder. Zwischen den Türmen von Nachschlagewerken wirke er, wie ein souveräner Herrscher auf seinem Thron. Nicht bibliomanisch, sondern nur bibliophil sieht er seine Beziehung zu den „in das Wort gelassenen Gedanken“. Wertvolle Sammlerstücke über Byzantinistik, und eine signierte Erstausgabe von Thomas Mann „Die Buddenbrooks“ zieren seine Sammlung. Vorrangig interessiere ihn aber der Inhalt, da nicht das Sammeln ihm Leidenschaft sei, sondern die Philosophie Lesen.

„Schon am frühen morgen wandelt er auf den philosophischen Spuren Kants „für den Geist die kalte Dusche“. Mittags bewässert er mit Célan sein „Metaphernbiotop“. Abends bereitet er mit einem ruhigen Rilke die Nacht vor. Regnet es, zieht er oft russische Literatur aus einem seiner Schränke, meistens Dostojewski.Um Eleganz zu verspüren, bevorzugt er Franzosen. Quillt in ihm der Drang nach Erlebnis, so wähle er einen Amerikaner. Für die kleine Pause zwischendurch, als „Neuronensnack“, empfehle sich Morgenstern und Forderungen nach Härte pariert er mit Hemingway, „denn“, so fügt er hinzu „viele seiner Bücher gleichen einem mit Schönschrift überzogenem Tierkadaver“. Kurz: Für jeden Anlass besitzt der Philosoph Alfred Eisleben das passende Buch.

Enthusiastisch erzählt er von Oblomow, „Literatur für Gelangweilte“. Stunden für Stunden einfach nur sitzen und nachdenken, vor allem darüber, welches Buch als nächstes in Angriff zu nehmen sei. Der Philosoph Alfred Eisleben ist ein Bücherjunkie, wie er nur im Buche steht. Weltentrückt, nennt er die Literaten „kleine Weltenbaumeister“, so ist es nicht verwunderlich, dass er Thomas Mann als seinen philosophischen Ziehvater angibt. Der „literarische Actionphilosoph mit dem metaphysischen Flammenwerfer“, garantiere stets „ein kortikales Kettensägenmassaker“. Mit realistischer Gelassenheit und teutonischem Tiefsinn komponiere Mann oftmals einen überwältigenden philosophischen Showdown aufs Papier.

Phantasmen aller Art durchspülen die Hirnwindungen des Philosophen Alfred Eisleben. Entwickelt er solche Bilder, kann er sein Lachen kaum verbergen. Natürlich weiß er das Literatur nicht der Realität entspricht, dennoch erreiche so die Überlieferung eine höhere Qualität. Mit ernster Miene formuliert er:„Schrift verleiht dem Denken Dauer.“ Jedes Buch leiste einen Beitrag zum großen philosophischen Gespräch, zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Alles Abseitige, Verbrecherische, meist Entsetzliche werde als Teil einer menschlichen Möglichkeit gezeigt, in das menschlich Verstehbare zurückgeholt.

Beim Lesen werde der unverhohlene Blick in das intime Interieur einer Seele gewährt, „aber“, so betont Eisleben, „je mehr sich der Horizont durch Lesen erweitert, desto mehr ungelesene Bücher brechen in die Welt.“ Am Ende seines Lebens werde nicht nur der Tod ihm Erfurcht abverlangen, auch die vielen ungelesen Bücher werden schwer im Gewissen liegen.

Seine Welt dreht sich um die gebundenen Gedanken, die auf das Blatt geworfenen Worte, um eine Realität anderer Gesetze, wo wir wissen, dass es immer der Held ist, der am Anfang seinen Weg beginnt. Später möchte er sich in diese Welt einschalten, sich durch den Geist der Bücher mit Philosophie ewig vergegenwärtigen. Momentan beschäftige ihn noch die Vergangenheitsbewältigung. Philosophiestudien über die Philosophen Kant, Hegel und Heidegger soll die Zeit der nächsten Jahre füllen. Danach wird sich zeigen, ob der Philosoph Alfred Eisleben von der Kunst des Lesens zu der Meisterschaft des Schreibens emporsteigt, ob alles eingeatmete in ihm selbst Atem entwickelt. Soviel viel stand jedenfalls schon damals im Vorfeld fest, den Nobelpreis würde er ablehnen.“

Soviel also zum Entdeckerdrang und Aufwärtsstreben der Schriftgelehrten. Das Thema des Schnelllesens aber interessiert: In den nächsten Beiträgen werden wir uns also um die Schnelllesetechniken bemühen. Wenn ihr es nicht verpassen wollt, könnt ihr ja gerne abonnieren (haha).

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Was ist Philosophie? An der Grenze zwischen Naturwissenschaft und Religion

Buddha's Light

Grenzen zwischen Religion und Philosophie CC_Bild: h.koppdelaney)

Im Moment heißt es, sei es still in der Philosophie. Ein paar Kandidaten werden gehandelt, die noch geheime Lösungen auf Weltinterpretation versprechen. Brandom zum Beispiel gibt vor, zu wissen, was Welt sei. Aber kann er angesichts der ungeheuren Forschungserfolge der Naturwissenschaften noch bestehen? Sicher ist, dass die Erforschung der Welt durch die Naturwissenschaft nur das größte Ablenkungsmanöver aller Zeiten ist und es sollte uns eher interessieren, wie wir in die Welt als Welt vordringen, indem wir zu uns als eigentlicher Grenze vordringen. Nein, ich bin kein Technikfeind, aber das Wesen der Technik wird nur zu selten entborgen. Dies aber ist Philosophie, nämlich die Welt in Bezug zum Voraussetzenden zu setzen, das nur die Welt denkt und seine Einheit in der Möglichkeit aller Gegenstände des Denkens überhaupt in Gott finden kann. Wesensforschung ist Philosophie. Und alle Philosophie strebt beständig zu den unbeantworteten Fragen der Religion. In der offenen Frage, so formulierte es daher der Philosoph Heidegger, sei die Frömmigkeit des Denkens.

Die Konstruktionsphantasien der Naturwissenschaften allerdings sind heute heroischer geworden; nur dass wir nicht mehr mit Gott konkurrieren, der wird funktional einfach nicht mehr integriert. Ein plumper Atheismus weiß schon sehr genau, dass es diesen stilisierten Mann nicht gäbe und so wird die wichtigste Frage all unseres Denkens, das jedwede Form von Diskurs überhaupt möglich macht, von funktionalen Diskussionen ersetzt. Wie wäre es zum Beispiel, wenn wir ein Transportsystem hätten, dass das ganze Universum möbliert oder überhaupt das Universum im Universum 1:1 nachbauen könnten oder einen Teilchenbeschleuniger in die Welt setzen, der so groß wäre, dass wir darin tatsächlich den Urknall nachstellten? Denken wir noch an Archimedes, der meinte, wenn ihm jemand einen Hebel gäbe, der groß genug wäre, könnte er die Welt aus den Angeln heben, so stellt sich die Frage, aber in welcher Welt wollten wir überhaupt solche gigantischen Projekte durchführen? Wir haben in der Regel zu wenig Platz oder zuwenig Welten, um die Welt kurz bei Seite zu stülpen und mal wie unter einem Sofa nachschauen, was da so drunter liegt. Die Philosophie ist hier bescheidener. Der philosophische Reisende sucht sich sein Besteck und geht das Fleischstückchen „Welt“ auf seinem Teller zivilisierter an. Öffnen wir aber den Instrumentenkoffer des Philosophen Husserl zum Beispiel und schneiden wir mit diesen Instrumenten etwas herum, so merken wir schnell, dass es sich hier nicht um chirurgisches Besteck für feine Schnitte handelt. Manchmal kommt es einem vor als würde dieser Philosoph mit Motorsägen versuchen feine Arterien zu untersuchen. Jede Kommunikation darüber wird übrigens vom groben Motorengeräusch der Sprache übertönt. Letztlich wollen wir ja, wenn wir die Welt als Ganze untersuchen, auch das Besteck eigentlich selbst untersuchen. Ein abstruses Unterfangen, aber das ist auch Philosophie. Die Welt an ihren Grenzen zu untersuchen, heißt immer schon, über sie hinauskommen zu wollen.

Was gibt uns also heute noch die Philosophie?  Das einzige Erkenntnismittel, was wir letztlich besitzen, eine fundierte Sprache mit ihren verästelten Argumentationen in den verschiedenen Diskursen: Mathematik, Physik, Psychologie und Theologie. Alle Wege laufen über die Religionsphilosophie zu allen Fragen, die wir haben hinab. Aber die Sprache ist selbst durchdrungen von gegebener Welt und deren Ausweisung mit sprachlichen Mitteln führt dann zu ähnlichen Momenten wie sich an der Zungespitze zu lecken oder mit dem Finger seinen Finger zu berühren, mit den Ohren das Hören zu hören, mit den Augen das Sehen zu sehen, das Schmecken zu schmecken, das Reisen bereisen, das Denken zu denken, schließlich das eine Wort der Sprache, das Ursprachliche zu entdecken, kurz: philosophisch überhaupt in das Unvordenkliche zu gelangen. Religionsphilosophie bleibt aufgrund der Schwierigkeit des Vorhabens noch auf lange Zeit, das erste und wichtigste Thema.

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Grenzen der Internetphilosophie – Zur jüngeren Debatte um Trolle und Zensur

Der Troll War ist also eröffnet. Auch auf Kantooseconomics ist es nun so weit. Nachdem ein Artikel in den Grenzen des Netz auf Verbreitung geht, sind sich alle im Kampf gegen Trolle einig. Kommentare müssen zensiert werden. Keine Netzphilosophie der Freiheit also mehr, sondern die Begrenzung durch das Vernünftige? Kantooseconomics bezieht sich dabei auf einen Artikel, der das Netz gerade beschäftigt. Dort bemängelt der Autor die Vertrollung der Kommentare und gibt daher seinen Blog gar auf.

Das Netz, das aus philosophisch-idealistischer Sicht eigentlich unzensiert sein sollte zensiert sich also selbst. Da nimmt das Netz seine Grenzen selbst in die Hand. Als jemand, der mit dem unkommerziellen Thema Philosophie ehe auf der anderen Seite des Sichtbarkeitsspektrum steht und sich regelmäßig über keine Kommentare erfreuen darf, wunder ich mich natürlich. Obwohl ich auch weiß, wieviel Zeit es bedarf, anderen Meinungen gerecht zu werden, wenn ich an emotionale Diskussionen zurückdenke, die ich bei netzwerkB in meiner Funktion als Beirat dort veröffentlich habe, weiß ich nicht, wie gerechtfertigt es ist, zu zensieren.

Zu einer anderen Meinung hinsichtlich der Meinungsfreiheit komme ich aber dann, wenn ich mir den Nutzerkommentar von Hamlet auf netzwerkB, einem Netzwerk gegen sexualisierte Gewalt, durchlese. Hamlet (der selbst kein Troll ist) schreibt am 23. September 2011 um 14:03 Uhr

„Die ZEIT hat die Kommetarfunktion nun abgeschaltet, nachdem sie drei Tage brauchte, um sich der Verherrlichung pädophiler Praxis, sexueller Gewalt im Zusammenspiel mit “anarcho-kapitalistischen” Phantasien bewusst zu werden. Dort musste man lesen, dass das Verbot des Konsums von Cannabisprodukten nicht zu befolgen ist, weil dem Verbot die moralische Grundlage fehlt, analog gelte dies auch für pädophile Praktiken, welches deshalb auch nicht beachtet werden müsse. Der “Konsum” von Kleinkindern und Kindern sei deshalb genau so statthaft wie der Konsum von Haschisch, vor allem da es sich einfach um eine “liebevolle” Neigung handle und die Pädophilien selbst Opfer einer Hysterie seien und Ihnen Schandtaten angelastet würden, die ein Pädophiler nicht einmal denken könnte; ihm gehe es vor allem um liebevolles Streicheln, Gerold Becker sei kein Pädophiler, weil er wohl Gewalt angewandt habe…, ansonsten aber müsse man immer davon ausgehen, dass das Kind dem zustimmt. Ein ums andere Mal hat die Community-Redaktion der ZEIT haarsträubende, menschenverachtende, entwürdigende Beiträge ohne jeglichen Eingriff, ohne jegliches Statement seitens der Redaktion veröffentlicht. […] “ http://netzwerkb.org/2011/09/17/weitere-opfer-im-odenwald/#comment-31536

Grenzbestimmung: Was sind Trolle?

Was aber ist nun ein Troll? Der Terminus erscheint mir sehr unterschiedlich gebraucht zu werden. In der Regel werden damit Menschen bezeichnet, die aus reiner Langeweile andere im Netz beschimpfen oder zu kontroversen, unnötigen Diskussionen herausfordern. Netzphilosophen, die nichts als Sinnlosigkeit verbreiten. Diese nihilistisch-philosophische Perspektive kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Mir wäre es mit meiner Zeit zu schade, wenn ich Dinge nur als hypothetischer Anderer vertreten würde. Ich gehe nicht in andere Foren und versuche extreme Meinungen zu vertreten, wenn sie denn nicht meine eigenen wären. Ich glaube daher, dass Menschen diese Meinungen wirklich vertreten. Damit haben wir es aber nicht mehr mit einem Internetphänomen zu tun, sondern mit der Sichtbarmachung einer tatsächlichen gesellschaftlichen Schieflage. Es geht also sehr wohl um die philosophische Frage nach der Meinungsfreiheit. In den Kommentaren zeigt sich, wie in unserer Gesellschaft Tendenzen existieren, die wir womöglich überhaupt nicht annehmen würden. Daher denke ich, dass es bei den Gegnern der Vertrollung dann doch um etwas anderes geht, nämlich um den erleichterten Umgang mit anderen Meinungen und der Angst vor den realen gesellschaftlichen Abgründen an Debilität.

Nach wie vor bin ich mir aber unsicher. Der Kommentar von Hamlet zeigt es. So sind die Grenzen, die wir für unsere Kindheit definieren immer auch porös, da wir sie nur zum Teil auf biologische Erkenntnisse gründen. Es gibt in der Entwicklung von Kindern zu selbstbestimmten Erwachsenen verschwommene Ränder. Dass hier ein Einfallstor für pädokriminelle Argumentationen gegeben ist, wird klar, wenn man versucht nachzuvollziehen, auf welcher Grundlage Pädokriminelle argumentieren. Ich war auch erst kürzlich schockiert wie Freunde von mir für die Sexualität der Kindheit argumentieren, auch wenn diese mit Sicherheit keine Täter sind. Sie bedienten sich aber ohne es genau zu bemerken, einer verharmlosenden Tätersprache, die schließlich die Grenzen der Kindheit porös macht.

In der Philosophie sind eigentlich solche Dammbruchargumente verachtet, dennoch teile ich hier oftmals diese Dammbruchargumente. (Dammbruchargumente bedeuten, dass wir behaupten, wenn wir A zulassen, dann wird irgendwann auch B passieren. Obwohl also A nicht unmoralisch ist, soll es dennoch verboten sein.)

Und dennoch in dem Moment, da wir solche Kommentare sehen, wird uns erst bewusst, dass Pädokriminelle ohne Unrechtsbewusstsein ihre Straftaten ausführen, wir decken also mit diesen kriminellen Äußerungen auch tatsächliche Missstände und Ursachen auf. Aber warum haben wir Angst vor pädokriminellen Argumentationen, denn haltbar sind sie doch nicht? Da wir aber in unseren moralischen Argumentationen immer wieder auf naturalistische Fehlschlüsse Rückbezug nehmen, können wir vermutlich, weil wir selbst nicht argumentieren können, nicht damit umgehen. Könnte dies sein? So versuchen Pädokriminelle beispielsweise immer wieder vor allem naturalistisch zu argumentieren. (Begriffsklärung: Ein naturalistischer Fehlschluss tritt dann auf, wenn ich einen biologischen Sachverhalt zur Norm erhebe. Wenn ich zum Beispiel sage, dass sich der Stärkere in der Natur durchsetze und gleiches auch für das soziale Gefüge von Gesellschaften gilt, so erhalten wir Sozialdarwinismus, der nur  auf einem naturalistischen Fehlschluss beruht.) Für das Argument für ungeschädigte Kindesentwicklung sagen also beispielsweise Neuroscans, dass Männer neuronale Reaktionen aufweisen (wie es Pädokriminelle versuchen als natürlich darzustellen), wenn sie Bilder von Heranwachsenden sehen, nichts. Philosophisch-moralisch betrachtet sagt es nichts über Moral, denn wir müssen uns vor allem auch bewusst machen, dass ein großer Teil unserer moralischen Handlungen darin besteht, eigene Gefühle und Bedürfnisse zurückzustellen. Dies analysierte bereits der Philosoph Kant. Wenn ich beispielsweise eine Brieftasche auf der Straße finde, die Millionen von Euros enthält und ich entschließe mich, diese abzugeben, obwohl keine Gefahr besteht und ich auch kein schlechtes Gewissen hätte, wenn ich sie behalten würde – wenn ich also keinerlei Gewinn hätte und gar noch Minus machen würde, dann handle ich moralisch. Im Gegensatz dazu ist jemand, der ohne Fehler durchs Leben geht, aber dabei immer nur nach seinem Gefühl handelt, ohne dass ihn irgendetwas hindert, nicht moralischer als der, der sich gegen seine eigenen Bedürfnisse durchsetzt. Können wir also Menschen für ihre Gedanken verurteilen? Wohl kaum, wohl aber für Tatplanung und amoralische Äußerungen, die real Menschen verletzen. An dieser Stelle scheiden sich die Geister und nicht wenige werden mir Verharmlosung vorwerfen. Wohl aber muss doch eins klar sein, wenn es keine solche Gefühle bei Menschen gäbe, gegen die sie sich stellen müssten, dann hätten wir wohl kein Problem, das wir nun diskutieren würden.

Da es also bei Kindern allein um die Freiheit dieser Kinder geht und diese Freiheit nicht biologisch bestimmt ist, sondern durch das Identitätsbewusstsein der Person, sind alle naturalistisch pädokriminellen Argumentationen hinfällig. Naturalistisch verteidigbar werden diese allerdings, wenn wir selbst auf den Pfad der naturalistischen Argumentationen gehen. Naturalismus spielt philosophisch überhaupt keine Rolle bei der Frage, was moralisch geboten ist. Und dabei ist dann ganz klar: Pädokriminelle, die hier verführerisch Kinder mit angeblich kleinen Schritten an die Sexualität heranführen wollen, ignorieren geflissentlich wie sie ihre Machtposition missbrauchen, um Kinder sexualisierte Gewalt anzutun. Diese Freiheit des Heranwachsenden als allgemeine kann jedoch durch keine noch so naturalistische Argumentation beschädigt werden.

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Kampf den Trollen (CC_FotoBild: Marchange)

Tja, aber wie gehen wir dann damit um, wenn zu den komplexen philosophischen transzendentalen Standpunkten die Gesellschaft nicht fähig ist? Ich weiß es nicht und daher bin ich wohl eher für die Zensur aller pädokriminellen Argumentationen, aber der Konflikt besteht, einerseits möchte ich nicht über solche hirnlosen Dinge diskutieren (was ich ja hier nun schon begonnen habe), da sich meines Erachtens eine Diskussion darüber erübrigt, andererseits frage ich mich, wie diese Meinungen überhaupt der Menschheit austreibbar sind und wie die Gedanken der Freiheit dann implementiert oder besser gesagt aufgedeckt werden.

Die Trolldiskussion geht jedenfalls weiter, für mich aber ist es die Frage wie weit Meinungen reichen dürfen. In Amerika sagte mir ein Freund ginge es soweit, dass man lügen dürfe, da diese das Recht auf freie Meinung sei. Dies war sicher seine Meinung, aber Gesellschaften vermitteln Meinungen zu Normen. Überführen wir Meinungen in eine Demokratie so können meines Erachtens bei dieser Vermittlung der Meinungen transzendental demokratisch erreichte Gesetze nicht mehr substantiell gegen die Menschenrechte (die überhaupt nicht im Vorhinein festgelegt sein müssen)in the long run verstoßen. Dies ist philosophischer Idealismus, aber auch weniger idealistische Philosophen sehen dennoch die Demokratie der Meinungsfreiheit als Pflicht. Im Jargon des Philosophen Derrida heißt es daher, dass wir diese Meinungen durchaus riskieren können und müssen, da wir nur so zur Demokratie selbst drängen.

 

 

Weiterführende Videos zu den Grenzen der Zensur und den Trollen

Eine wunderbar-ironische Analyse des Trollphänomens, wie sich Trolle im Netz kannibalisch gegenseitig verspeisen, liefert die Internetanalyseshow „Know your mems“

Müssen wir also mit den Trollen kämpfen? Eine subtile Form der Trollbekämpfung eröffnet Sascha Lobo mit einem Vortrag, der wirklich sehr unterhaltsam ist.

Sascha Lobo – Trollforschung from Christian Cordes on Vimeo.

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Reflexionen zu den Grenzen der Musikphilosophie – Freiheit als Einheit der Musik bei Beethoven

Craig - 1970

Die Musik innerhalb der geordneten Grenzen einer rein menschlichen Philosophie? (CC_Bild:rchappo2002)

Im letzten Beitrag zum musikphilosophischen Gehalt der Musik haben wir, ich als Philosoph und Kiril Stankow als Dirigent, den Gottesbezug der Musik Bachs herausgestellt. Exemplarisch stand hierfür die Fuge. In jeder Faser einer Fuge war der Bezug auf das Ganze, das nicht erklingende, aber nach Gesetzen in ihr angelegte Höhere, gegeben. Die Akkorde waren kein Geschrammel oder hirnlos aneinandergereiht, sondern aus den einzelnen Melodielinien ergab sich die Sphäre des Harmonischen, das nur aus der göttlichen Entfaltung Ordnung erhielt. So ordnete sich die Freiheit der Melodien doch untereinander in einem zwar nie vollständig klingendem, aber doch in einem angelegten harmonischen Ganzen. Der göttliche Ruhepol war musikphilosophisch die Harmonie des Ganzen. Dieser Ruhepol strahlte undurchdringlich und unzerstörbar im Hintergrund und gab von einem tauben Fleck des Ohres aus der Musik ihre Einheit. Wie ein musikalischer Äther, auf dessen Grund sich Musik nur entfalten konnte, ordnete sich die Musik nach geläufiger philosophischer Wahrheitsauffassung in Gott, der selbst aber nur als notwendiges für das Ganze gedacht, aber nicht selbst Gegenstand war. Da nun Gott weder sinnlich gegeben, noch intellektuell zu einem Zeitpunkt bestimmt war, war der Bezug auf Gott transzendental, das heißt, er war philosophisch gesehen die Bedingung der Möglichkeit, dass Harmonie überhaupt ihre Einheit in der sinnlichen Wahrnehmung fand. Wir können die Frage auch einfacher fassen, warum suchen wir in der Musik nach Harmonie? Warum hören wir in der Welt überhaupt so etwas wie Musik, denn Musik ist doch in ihr niemals direkt enthalten. Der Bach, der Baum, sie machen Geräusche, aber die Musik kommt irgendwie in die Welt, nur wie?

Der Mensch drängt in den Mittelpunkt der Musikphilosophie

Mit dem Durchbruch der Unterhaltungsmusik und der Erkenntnis, dass der Ramsch für die Masse mehr Geld bringt als das filigrane Luxusprodukt für die wenigen intellektuell abgehobenen Reichen, veränderte sich die Musik in ihrem philosophischen Anspruch. Die einsetzende Revolutionen und das Hinterfragen gesetzter Machtansprüche ließ das Sakrale und dessen philosophischen Anspruch in den Hintergrund treten. Fortan sah sich der Mensch nicht mehr vordergründig als Geschaffener, der im Rücken eine unverwundbare Harmonie vorfand, sondern rückte sich als unvollkommener Schöpfer in den Mittelpunkt. Geniekulte entstanden, worin sich vor allem die menschliche Befreiung von Naturgesetzen ausdrückte. Jeder Mensch strebte nach oben in die Freiheit und damit war auch der Grundstein für die Loslösung von den Harmonien gelegt, die sich bis ins 20. Jahrhundert durchsetzte. Dies zunächst intellektuell. Ins Duell mit der Schöpfung trat ein menschlich, schöpfender und in seiner zukünftigen Geschichte unendlicher Geist, der alle Zeitenwenden des Alls nach klassischem Ideal durchwehen sollte. Aus den Dienern der Musik wurden Meister musikalischer Ewigkeitssprachen; Ziel war die Unsterblichkeit im menschlich gefertigten Kunstprodukt der Musik. Ganz übertrieben klassisch-philosophisch ging es um unsterbliche Musik, die aus der Freiheit des Genies entstammte und es mit den Göttern aufnahm und so auch mit den angeblich gottgeschaffenen Harmonien.

Der Mensch wollte sich fortan in den Dimensionen seiner eigenen Schaffenskraft definieren und nicht mehr aus einem fernen Kosmos nur die göttliche Musik als göttliches Geschenk in Empfang nehmen. Mit der Kraft des egozentrischen Weltbildes schwand in parallelen Zyklen auch die bis dahin im Kontinuum währende Geschichte. Geschichte wurde instabil und wie dies für die Philosophien der Völker galt, so wohl auch für die Philosophie der Musik. Revolution bestimmte alle Entwicklung. Schließlich dramatisierte sich die Instabilität der Philosophie und Geschichte bis zu dem Gedanken mit allen Gesetzen zu brechen, was sich schließlich bei Wagner in aller Deutlichkeit zeigen sollte. Zunächst aber war die musikphilosophische Frage, was der Musik überhaupt ihre Einheit gab, wenn denn Gott nicht mehr dabei sein durfte. Das befreiende Element innerhalb der Geschichte sollte dabei selbst als philosophisches Ideal dienen. Befreiung wurde zum wesentlichen Thema der Musik. Nicht mehr Gott war der Grund musikalischer Kraft, sondern der Mensch mit seiner befreienden Schaffenskraft. Idealtypisch kann dies zunächst in seinen Anfängen bei Beethoven gezeigt werden.

Die Freiheit als Ideal der Musikphilosophie bei Beethoven

Bei Beethoven gehen – der Revolution zur Freiheit gemäß – starre Konventionen der Klassik unter, ohne jedoch dass die Stücke an organischer Ganzheit verlieren. Der Tondichtung entsprechend rückt Beethoven die einzelnen Passagen hin und her, um sie dann dennoch in einem organischen Ganzen nämlich unter einer Idee zu verdichten. Zeitgenossen beschreiben wie Beethoven in akribischer Detailarbeit versuchte jede kleinste Nebenstimme mit thematischer Energie aufzuladen. Dabei werden zwar noch Strukturprinzipien der Sonatenhauptsatzform deutlich, aber zugunsten einer organischen Einheit des thematischen Materials gebeugt. Über die erreichte Differenzierung der einzelnen Instrumentengruppen innerhalb der Klassik, gab Beethoven jedem Instrument seine Bedeutung innerhalb einer philosophischen Ganzheit der Musik. Kein Ton ohne seinen Bezug auf ein Ganzes. Da aber der göttliche Äther als einheitlicher Bezugsort verschwunden war, wählte Beethoven den Bezugspunkt der Freiheit, die sich im Menschen verbarg, denn auch wenn die Revolution zur Freiheit aufbrach, so sollte doch Musik nicht einem Chaos übergeben sein.

Beethoven nur ein Tonmaler, der die Welt nachahmt?

Die Vermutung liegt nah, dass die Welt als einheitlicher Klangteppich einen Rahmen für die Musik lieferte. Beethovens Pastorale orientierte sich ja beispielsweise an der Dynamik eines Dorfes. Ein musikalisch-philosophischer Naturalismus bot sich an, nach dem wir nur biologisch auf Musik fixiert seien und ihr letzter Sinn nur das Glücksempfinden bei der harmonischen Einordnung in die Natur sein könne. Demnach lag unser Bezug zur Welt in einem biologisch begründeten Unwohlsein, insofern wir in der Stadt waren, aber tiefe Verbundenheit, wenn wir zu den Ursprüngen zurückkehrten. „Zurück zur Natur“, hatte der Philosoph Rousseau postuliert. Aus der geschichtlichen Entwicklung ergaben sich natürlich auch schon diese ersten technikphilosophische Tendenzen, die in Lagerfeuerromantik das moderne Stadtleben unter Beschuss nahmen. Dies traf aber nicht auf Beethoven wie auch nicht auf die deutsche Philosophie zu.

Beethoven selektierte doch die Klänge aus dieser Welt, aus der Natur heraus. So entschied sich Beethoven bei der Pastorale beispielsweise für den Zusatz „Mehr Ausdruck der Empfindung(en) als Malerei“. Beethoven kopierte nicht einfach nur gedankenlos die Äußere Unordnung der Welt, denn auch der Zusammenhang der Natur findet erst seine Energie in der schöpferischen Betrachtung durch den menschlichen Geist.  Mit Beethovens Ernst der Naturinterpretation kommt auch die Kritik an seinem Lehrer Haydn zum Ausdruck, denn nicht die Melodie als simpelste Einheit der Musik, um die sich dann das Geflecht von Harmonien herumrankt,  steht im Mittelpunkt, sondern die Gesamtheit einer durch Freiheit geleiteten Interpretation. Es ging nicht um die einzelne Stimme, die von einem klappernden Rehlein aus einer kargen Winterlandschaft entlehnt war. Die kleinste musikalische Einheit ist bei Beethoven nichts weiter als das gesamte Stück, das nur unter einer menschlichen Idee seine Einheit findet. Alles hängt mit allem zusammen. Da ist das Dorf nicht einfach nur eine Beschreibung, sondern die Gesamtheit aller Sätze immer auf jede einzelne Phrase der Komposition zurückbezogen und für Beethoven nur gesamtphilosophisch unter der Voraussetzung menschlicher Freiheit zu verstehen. Der Mensch mit seiner Freiheit und nicht die Natur selbst, waren der Grund der Harmonie. Verdeutlichen wir das mal: Es ist doch zum Beispiel sehr fragwürdig, ob Konzerte von klassischen Orchestern für Hunde Erfolg hätten. Verstehen diese denn die menschgeformte Harmonielehre? Auch wenn es eine wohl für die moderne Mülleimerexperementiermusik ein spannendes Experiment wäre, Konzerte für Hund zu veranstalten, die Musik war nur aus einem bestimmten Bewusstsein heraus verstehbar.

Da aber der Mensch erst in Freiheit der Musik in ihrer Gesamtheit ihre Bedeutung gab, konnte die Musik auch nicht schon als musikalischen Trostpflästerchen für blessierte Seelen gelten. Musik drückte eher die Seele selbst in ihrer Freiheit, das Ganze zu geben, aus. Doch wie vereint sich der positive Gedanke der Freiheit mit den vielen düsteren Stimmungen der Werke Beethovens? Freiheit, das war auch immer die Ungewissheit, denn Freiheit ist auch immer ein Mangel an Notwendigkeit. Die philosophische Orientierungslosigkeit war schon immer die Gefahr in der Freiheit selbst. Die Fixierung auf Glücksversprechen, wo Musik als billiges Narkosemittel verstanden wäre, konnte ihrer Rolle bei Beethoven also nicht gerecht werden. Neben dem persönlichen Lebensglück war das unerbittliche Suchen innerhalb der Freiheit immer noch als philosophisch-dialektische Gegenseite des Glücks verortet.

Da nun weder Welt noch Glück im Fokus standen, so ist beispielsweise die sechste Sinfonie, die Pastorale, keinesfalls Programmmusik. Die Welt des Dorfes selbst ist noch nicht Einheit, sondern ungeordnetes Gewühl. Der Mensch gibt dieser Welt ihre Bedeutung und somit ist Musik zu keinem Zeitpunkt Abbildung der Welt, sondern der menschlichen Freiheit entsprungen. Die Wegbereitung des menschlichen Interpretationsdynamik in diesem Werk findet ihren ironischen Ausdruck dann beispielsweise darin, dass der Kuckuck bei Beethovens Pastorale unüblich durch eine große Terz seinen Ausdruck findet. Die Ironie mag nicht auffallen, wird aber umso bedeutender, wenn wir bedenken, dass diese Interpretation Mahler zu einem Kuckuck in seiner 1. Sinfonie inspirierte, der fortan in der Quarte kuckuckte. Welt ist ganz der idealistischen Facon der damaligen Zeit interpretiert.

Die 9.Sinfonie als die philosophische Frage nach der Einheit in der Vielfalt

Im Gegensatz zu der Frage der Tondichtung steht die 9. Sinfonie wohl exemplarischer für das Schaffen Beethovens. Hier zeigt sich deutlicher die Unruhe, die sich doch auch in der Musik ausbreitet, wenn Einheit in der Freiheit nicht sofort gefunden wird. Es mag wohl nicht zu weit philosophiert sein, wenn wir gerade daher den damals unkonventionell letzten Satz mit einem Chor vorfinden, weil hier doch zum Abschluss der Mensch eigens Thema wird. Verfolgen wir die leeren Quinten der Einleitung zu ihrer Ausreifung eines ersten unruhigen Themas durch das Geflecht der vielen unruhigen Stimmen durch alle Sätze hindurch, so erscheint letztlich das Ringen um die Einheit nur in einer menschlichen Befreiung zu liegen. Aus dem ungeordneten Kosmos der Klänge steigt das Thema des freien Menschen auf. Die Revolution der Form kommt zur Revolution der Menschen, die mit den Worten und erst in ihrer Einheit als Menschheit über den Gott über dem Himmelszelt spekulieren kann. Ganz kann der göttliche Horizont musikphilosophisch nicht verschwinden. Zentrum der Harmoniereform, die nun die zukünftige Musikgeschichte bestimmen wird, ist jedoch die Freiheit des schaffenden Menschen. Bei Wagner werden wir dies noch viel deutlicher sehen.

Mit der Frage nach der Einheit in der Vielfalt ist auch bis heute die Grundfrage der Philosophie beschlossen und welche die Postmoderne bei ihren philosophischen Bemühungen der Wahrheitssuche bestimmt. Auch wenn Gott als einendes Thema aus den philosophischen Horizonten der Musik verschwindet, so ist der Einheitsgedanke bei Beethoven in Klarheit enthalten (und damit philosophisch zu Ende gedacht letztlich auch der Gottesbezug). Eine Gewährleistung der Einheit wohl aber gibt es auch bei Beethoven nicht. Freiheit ist kein Garant für eben diese Freiheit und schon gar nicht für Lebensglück. Neben allem Heorismus mischt sich Beethovens Musik immer mit dem gleichzeitigen Überschwang der Emotion, die doch die Fehlschläge von Revolutionen hervorrufen. In der Freiheit liegt eher Gefahr begründet, denn so konnten auch die großen Revolutionen, die ja doch die Freiheit des Menschen feierten, der Welt bis jetzt keine geordnete Einheit geben. Kommunismus, Linke, Gutmenschentum alle philosophischen Ideale waren immer mit metaphysischer Naivität überladen. Noch hadern wir mit den Konsequenzen unserer überschwänglichen Freiheit und suchen die Befreiung. Musik im Gegensatz zu den großen Revolutionären der Weltgeschichte scheiterte aber nur als Komposition ohne große Wunden zu hinterlassen. Und hören wir genau hin, so überbetonte auch Beethoven das Thema der Freiheit nicht als Heilversprechen, sondern als offene Entwicklungsfrage innerhalb der Menschheit und der Musikgeschichte.

Mit dem Gesagten lässt sich nun der  Gehalt von Beethovens neunter Sinfonie mit anderer philosophischer Geisteshaltung hören. Zur Demonstration dieser neunten Sinfonie habe ich ein Beispiel rausgesucht, in der Gott persönlich versucht, das Werk zu entfalten und der philosophischen Frage mit größtmöglicher Klarheit gerecht zu werden. Wohl kann Gott nur Meister des Bombastischen sein und dies ist, wie Musiker im Allgemeinen wissen, Karajan.

Stellen, die nicht für Jugendliche unter 18 Jahren geeignet sind, habe ich gekürzt. Spaß bei Seite, ich habe mal durchgehört und die Reihenfolge stimmt nicht, also müsst ihr euch leider das ganze bei Youtube selbst zusammensuchen.



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Die Arbeitsseite von Entgrenzen und meiner Philosophie

Wer sich für die Erarbeitung meiner Artikel interessiert, der kann gerne auf meine tumblr-Entgrenzen-Seite gehen (www.entgrenzen.tumblr.com), wo ich regelmäßig Links zu Videos, Bildern und anderen Dinge poste, die ich in meinem Blog auf Entgrenzen in irgendeiner Weise verarbeiten will. Eine sicher interessante Zusammenstellung verschiedenster Themenbereiche ohne Grenzen und mit gefüllt mit Philosophie.

Die Arbeitsseite von Entgrenzen und meiner Philosophie

Die Arbeitsseite von Entgrenzen und meiner Philosophie

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Die Philosophie der Automatisierung – Grenzen des automatischen Bloggens

Steel Vertorama

Spionageaufnahme der ersten Blogmaschine (CC_Foto: Marty.FM)

Mit der richtigen Internetphilosophie lassen sich Milliarden verdienen, zumindest wenn jemand die Infrastruktur erfindet, auf die alle angewiesen sind. So mit Sicherheit geschehen bei dem Facebookgründer, Marc Zuckerberg. Durch geschickte Deprivatisierung privatisierte der amerikanische Privatmann das Private. Ein philosophisch dialektischer Geniestreich. Da erhält einer Milliarden, weil er eine billige Plattform zur richtigen Zeit auf den richtigen Kasten bringt. Auch Google muss schließlich mit dem neuen GooglePlus in die Philosophie des Social Networkings vorstoßen, um sich hier nicht alle Butter vom Brot nehmen zu lassen. Es geht dennoch ganz unphilosophisch um das Schnöde, das Geld.

Netzwerkerphilosophie

Social Networking ist zu einer Kernkompetenz von Websitebetreibern geworden. Wer es schließlich in den Google-Suchlisten nicht nach ganz oben schafft, der bekommt vielleicht Besucher über dir richtige Netzwerkphilosophie. Dieser Wunsch nach Verdiensten verändert ähnlich wie Facebook die Netzstruktur. Die Grenzfrage ist: Wie nachhaltig?

Grenzen des Internets

Das Internet bedient mit den neueren Verdienstmöglichkeiten einen Goldrausch. So zum Beispiel im Falle des Affiliate-Marketings, hier bekommt ein Seitenbetreiber Provision, wenn sich ein Interessent für ein von ihm beworbenes Produkt auf einer verlinkten Seite entscheidet. So investieren mittlerweile viele Schüler mit inhaltsleeren Mode- und Fotoblogs, Techniknerds, Babyinhaber oder andere Freizeitbesitzer kräftig in den Aufbau einer eigenen Bloglandschaft, wo sie dann allerlei Produkte an andere Nutzer weiterempfehlen. Philosophie des Hirnlosbloggens ist das teilweise. In dem unentdeckten Land des Sozialen kann noch tiefer noch Gold gegraben werden, als Zuckerberg und Google das schon taten. So vernetzen sich die Seitenbetreiber, gründen Facebook-Fan-Pages, twittern oder nutzen andere „Tools“ zum Aufbau ihrer Popularität. Dabei entsteht neben Facebook und Google eine weitere Infrastruktur des Netzes. Die Philosophie lautet: „Blogge und werde reich!“ Vielleicht sind hierbei nicht die großen Goldbrocken zu entdecken, aber vielleicht, so lautet das Ziel vieler Netz-Entrepreneurs, ein Nugget in Form einer passiven Einkommensquelle. Aus diesem Grund geht der Pioniergeist soweit, dass erstmal jedes Areal abgesteckt und abgegrenzt werden muss. Die Fahndung nach Nischensuchwörtern für Google läuft. Das Areal könnte ja fruchtbares Ackerland bieten, vielleicht Bodenschätze beherbergen oder sogar eine Ölquelle sein. Diese Suchbewegungen von Netzgoldgräber zwingen bereits zur Regulationen, so müssen beispielsweise für das Beantragen einer neuen Domain mit den Folgezeichen wie zum Beispiel „hamburg“ Schutzgebühren von bis zu 100.000 Euro erhoben werden. Der Traum ist klar, warum sich im Fluss der Realität die Hände bei der Goldsuche schmutzig machen, wenn die Nuggets in den Internetflatlands verborgen liegen und vom heimischen Computer aus gesucht werden können. Bloggervorbilder werben dabei mit der 4 Stunden-Wochen-Philosophie. Das Ziel: Mit geschickter PR sein Leben bezahlen lassen, indem der Blogger schließlich einfach nur darüber berichtet, wie er Produkte benutzt und frei ist. Wer letztlich die Zeche zahlt ist kein Teil dieser Halbschuhphilosophie.

Geld verdienen mit dem Geldverdienen (Eine philosophische Meditation über die Leere?)

Auf der Suche nach der passenden Hängematte, bieten die Blogger dabei selten Mehrwert. Ohnehin verdienen die meisten Blogs damit Geld, indem sie anderen erklären, wie mit Blogs Geld zu verdienen sei. Peer Wandiger mit selbstständig im Netz ist hier womöglich ein gutes Beispiel. Zu erzählen wie mit Berichten über Geld verdienen, Geld zu verdienen ist, da dreht sich schon manche Gedankenschraube im Hirn. Es ist doch eigentlich schon merkwürdig, wenn ich einen Blog darüber schreiben würde, wie wir philosophieren oder? Den Vorwurf machte schon der Philosoph Hegel an den Philosophen Kant. Wir müssen beginnen. Gut Peer Wandiger verdient. Wenn aber das Geld nur in den Kreisläufen des Sinnlos-Bloggens verbleibt, so hat davon wohl niemand etwas. Aussichtsreich ist das Bloggen daher noch nicht. Bloggerrevolutionen sind das eine, Blogunternehmer, die nur das Bloggen als Bloggen preisen, das andere. Früher – so habe ich mir sagen lassen – ist der Mensch für sein Geld arbeiten gegangen. Heute denkt er nach und glaubt, dass mit genügend Grips die Welt schon für ihn arbeitet. Wenigen ist klar, dass das immer nur für Wenige gelten kann. Sie fragen nicht wer dabei am Ende notwendig der Dumme sein muss.

Das Leben eines Netzphilosophen

Wie sieht aber der Alltag eines Netzphilosophen des Sinnlosbloggens aus, wenn er denn seinen Blog aufbaut, um reich zu werden? Wir fassen mal die wichtigsten Schlagwörter zusammen:

Wenn ein Netzphilosoph Leute auf seinem Blog haben will, dann sagt er nicht etwa Besucher werben, sondern da wird vor allem etwas generiert (dieses Wort ist mittlerweile so populär geworden, dass auch Politiker mit dieser Wortpatronenhülse um sich schießen). Was generiert der Netzphilosoph dabei? Genau, nicht etwa Besucherströme, sondern Traffic. Was der Netzphilosoph dazu tun muss, ist vor allem einerseits „unique Content“ zu veröffentlichen, was im Wesentlichen bedeutet, dass er einzigartige Inhalte produziert. Allein in seinem Stübchen Inhalte zu produzieren reicht aber nicht, deswegen muss der Netzphilosoph andererseits seine Seite an die Googlesuche anpassen, auf Bloggish heißt das dann SEO-optimieren, wobei SEO schon Search-Engine-Optimization heißt. Diese aber zu optimieren, ist sicher auch nicht verkehrt, also heißt es seo-optimieren. Zur SEO gehört es auch entsprechende Linkbuilding-Strategien einzusetzen, was bedeutet, dass der Netzphilosoph von anderen Netzphilosophen, die dieselbe Sinnlosigkeit verfolgen, erhöhrt wird und ihn dann mit einem Link würdigen. Geschieht das, erhält der Netzphilosoph sodann einen lieben Backlink. Die Backlinks pushen ihn wiederum bei Google nach oben, was ihm vielleicht mehr Leser verschafft, die dann umgekehrt ein Social Bookmark setzen, was heißt, dass die Nutzer es auf Netzwerken wie Facebook anderen Nutzern empfehlen. Hat der Netzphilosoph schließlich genug Traffic mit solchen Site-Boosts generiert, entschließt er sich endlich seine Seite zu monetarisieren. Das heißt einfach, er will damit Geld verdienen (überraschenderweise hat sich nicht die kürzere Redeweise des Monetisierens durchgesetzt). Verdient er ein bisschen Geld, will der Netzphilosoph im Verhältnis zu den Besuchern immer mehr Geld durch die Besuche. Dies bedeutet dann, er erhöht die Konversionsrate. Schließlich, wenn der Netzphilosoph all diese Dinge erreicht und sein Reich der Leere entfaltet hat, möchte der er den Blog soweit wie möglich outsourcen (billige 400-Euro-Netzphilosophen einstellen) oder aber seinen Blog automatisieren und hier wird es interessant, denn auf einmal entscheidet sich der Netzphilosph, dass das Internet mit seiner Infrastruktur für ihn arbeiten soll. Und hier wird das Ommmmmmm, die Leere, der Netzphilosophen unendlich, denn nun soll das Internet die hohle Phrase der Netzphilosophie  reproduzieren. Wie man mit Bloggen über das Bloggen blogg, wenn man bloggt.

Blogautomatisierung – eine Philosophie für das Hohle

Das Stichwort heißt Blogautomatisierung. Der Blogger will dabei natürlich alle Tätigkeit für seinen Blog auslagern. Den unique Content lässt er dann von billigen Schreiber produzieren, während er das Geld für die Arbeit einnimmt, da er ja die Idee hatte und er schließlich auch das Risiko trage. Ohne den Alpha-Blogger würde es ohnehin diesen Blog nicht geben. Blogautomatisierung heißt aber auch, dass der Blog über bestimmte Werkzeuge im Internet auf allen SocialNetworks ohne viel Arbeit verbreitet wird.

Viele Blogger hoffen insgeheim, dass sich die nächtlichen Stunden vor den Texten auszahlen. Doch hier kommt die Crux: Mittlerweile gibt es Blogs, die vollkommen automatisiert erstellt werden. Dabei wird das Internet durchforscht und auf eigenen Blogs veröffentlicht. Ich hatte in dieser Hinsicht auch schon das Glück, dass ich viele Teile meines Blogs www.entgrenzen.de auf Englisch (mit schlechter Google-Übersetzung) entdecken durfte, ohne dass meine Urheberrechte angegeben worden sind.

Zu welchen Grenzen der Netzphilosophie driften wir also? Die Automatisierung des Internets geht weiter. Wenn Computer uns jetzt schon bei Jeopardy schlagen und schon teilweise generierte Texte im Internet verbreiten, ist folgende Frage nicht mehr ganz so stupide: Wie lange wird es dauern bis Computer Inhalte so schnell und so vielfältig genieren, dass diese damit das Internet dominieren? Nein, das passiert nicht, weil immer noch die Wirklichkeit des Bloggers im Mittelpunkt steht. Dennoch: Wenn wir mal schauen, welche dämlichen Codes wir überall eingeben müssen, nur damit wir einen Kommentar oder ähnliches veröffentlichen können und nicht Spamroboter alles verunübersichtlichen, dann fragt sich einerseits ganz simpel, wie lange wird es dauern bis auch diese Codes geknackt sind und heißt noch mehr: Vielleicht ist die Ausbildung zum Texter aller Art heute schon hoffnungslos veraltet, da Computer in 20 bis 30 Jahren diese Aufgabe ganz übernehmen oder – um näher am Thema zu bleiben – das Internet so automatisiert worden ist, dass wir einfach nur noch in einer Textschwämme den Bezug zu den richtigen Bloggern nicht finden werden. Auch dann mag es andere Lösungen geben, aber die neue Unübersichtlichkeit geht mit dem Bloggen in eine neue Richtung. Was der Philosoph Habermas noch in den 80ern als die neue Unübersichtlichkeit bezeichnete, greift hier wohl erneut.


Der ein oder andere mag mich nun als realitätsfern schimpfen, aber wie auch lange Zeit behauptet worden ist, dass noch keine bedeutende Neuerung in einer Schacheröffnung von einem Computer entdeckt worden ist (was schon lange geschehen ist) und dieses nicht ohne Weiteres möglich sei, so kann jetzt behauptet werden, dass ein automatisiertes Internet nicht möglich sei. Was vielleicht noch wilde Verschwörungstheorie ist, muss aber nicht abwegig sein. Ich rede von Maschinen, die kreative Jobs  übernehmen. Nein, ich mahne nicht weltfremd davor, aber die Wünsche der Blogger, die gerne alles automatisieren deuten dort hin und die ersten Automatikblogs drängen schon in diese merkwürdige Richtung. Unique Content ist vielleicht bald der tippende Affe (Computer) auf einer Schreibmaschine, der auch mal hin und wieder einen Shakespeare erwischt.

Norman Schultz

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Gott und die Grenzen der Musik bei Bach – Reflexionen zur Musikphilosophie

1970s Advertising - Poster - Johann Sebastian Bach (Germany)

Musikphilosophie gebrochen an Gott (CC_Foto: Pink Ponk)

Die letzte Woche habe ich mit dem Dirigenten Kiril Stankow genutzt, um Philosophie und ihre Grenzen zur Musik als auch die Musik in ihren Grenzen zur Philosophie auszuarbeiten. Unser Ziel ist es, die Musik im Hinblick auf ihren philosophischen Wahrheitsgehalt in einer postmodernen Welt zu befragen. Letztlich ist es gerade daran, mit der Stellung der Musik zum Wahrheitsgehalt auch die darin enthaltende politische Komponente philosophisch aufzuzeigen.

Wir sind unter anderem an den Komponisten Bach, Beethoven und Wagner  die philosophische Bedeutung der Musik abgeschritten, um sie in ihrem heutigen postmodernen, komplexen Status zu verstehen. Die philosophische Frage dabei ist also: Was sind die Grenzen der Musik, wenn wir sie im Ganzen philosophisch betrachten? Hierbei geht es also nicht um Musik als Form der Unterhaltung und Stimulierung von etwaigen biologischen Bedürfnissen, wie es schnell angenommen wird. Ein biologisches Verständnis von Musik wäre philosophisch verkürzt und würde ihr nicht gerecht werden. Bei Wikipedia heißt es zur Kontroversität dieses Themas lapidar: “

„Warum der Mensch im Verlauf seiner Evolution musikalische Fähigkeiten erlangt hat, ist unklar.“

Nun gut Evolutionstheorie ist aus philosophischem Blickwinkel oftmals ohnehin nur metaphysische Spekulation. Musik muss mehr sein als Rausch und Extase, die wir für die Entspannung brauchen, da uns andernfalls der Schädel explodiert. Aber was ist sie dann? Dieser Bezug zum Ganzen ist keinesfalls Mittelpunkt des Musikschaffens, aber doch immer wieder eine tragende Säule der Auseinandersetzung mit Musik im Ganzen. Dieses Thema der Musikphilosophie wollen wir hier daher mit Bach beginnen. Sicher ist, dass es sich dabei nicht um eine soziologisch korrekte Interpretation handelt, die den Vorstellung aller damaligen Komponisten gerecht wird und auch nicht Bach in seinem gesamten Schaffensritus entspricht, wohl aber ist diese Auffassung, die wir hier aufgreifen, ein treibendes Element der damaligen Zeit, was sich mit der synthetisierenden Kraft der Philosophie darstellen lässt.

Gott und die Musikphilosophie

Zu Zeiten von Bach interessierte musikphilosophisch vor allem die Vorstellung, dass Musik innere Affekte abbilde, das heißt eine Verknüpfung zwischen Seele und Stimme stattfinde, viel mehr aber noch, dass die Musik in einem göttlichen Verhältnis zum Buch Gottes, der Natur, stünde. Besonders zum Ausdruck kam dies in der Kunst der Fuge.  Hiernach entfaltete sich aus einer sehr simplen, musikalischen Idee  (nach der göttlichen Vielfalt der Natur) das Abbild der Schöpfung. In einem kleinen Stück der Musik fing der Komponist (in eigenschöpferischer Leistung) nochmals das Ganze der Schöpfung ein. Musik und Schöpfung kamen hier in einen einmaligen Kontakt, der noch im Ohr aller Hörenden wie ein Nachklang des Urknalls zu vernehmen war. In dieser Schöpfung der Musik konnte der Mensch als Geschöpf die eigentliche Schöpfung erfahren. Musik war damit eine Himmelsleiter, die ihre Kenner hinauf zu den Gesetzen des einzig herrschenden Prinzips führte. Was die Philosophie niemals vermochte und die Religion sich niemals zu philosophieren getraute schaffte daher die Musik. Die Ästhetik der Kunst vereinte Glauben und Wissen.

Gottes Philosophie der Strenge an der Grenze zur Freiheit

Da Gott nun ein Mann ist, der keine Kompromisse machen musste, so konnte es diese auch nicht in der Musik geben. Das hieß, die Musik verfuhr nach strengen Naturgesetzen, ohne dabei jedoch an Mannigfaltigkeit einzubüßen. Obwohl die Kunst der Fuge wie der zornige Bartträger mit ihren Gesetzen sehr streng war, ließ diese sich in allen erdenklichen Variationen entfalten. Im Rahmen der musikalischen Gebote ließ sich die Schöpfung immer noch mit menschlicher Naivität feiern und in alle Winkel der Klangwelt hinaustreiben. Musiker wurden damit ganz im philosophischen Zeitgeist Entdecker eines unendlichen, göttlichen Klangmeeres. Musik war damit eine Gabe Gottes, die aber zugleich nicht nur strenge Regeln auferlegt, sondern auch die Freiheit der Unendlichkeit mitbrachte.

Wie wir an das Göttliche angrenzen

Es ist sehr schnell ersichtlich, dass die Wahrheit der Musik und damit die Musikphilosophie damals noch im Angrenzen an das Göttliche bestand. Als würden wir an eine Wand aus Klängen unser Ohr legen und hinein ins göttliche Arbeitszimmer lauschen, so als würde durch den Schleier der Musik, der unsichtbare göttliche Arbeitsritus ästhetisch verstehen lassen. Der Musiker hatte damals als noch recht einfältig einen göttlichen Kontakt zum größeren Kontext, zum Ganzen. Sie waren mehr als nur Showmänner, sondern immer auch schon Philosophen der Religion. Der Musiker war eine Nahtstelle zwischen Welt und Geist. Unter den Händen des Komponisten formte sich daher nur der göttliche Wille, Unterhaltung war höchstens Nebenprodukt einer viel fruchtbareren Produktion. Das immer Wahre, das die Musik damals also philosophisch zum Ausdruck brachte, war im Kern Gottesidee. Und was war die Gottesidee?  Eine vielfältigen Entfaltung, die sich dann allerdings nicht mehr mit wahr oder falsch- Aussagen darstellen ließ, sondern nur in der Schönheit des Blühens und Wachsens ihren Ausdruck fand.

Was war musikphilosophisch diese Schönheit?

Die Schönheit bestand darin, dass das Musikstück immer nur auf den ersten Schöpfungsmoment durch die Gesetze der Entfaltung zurückbezogen sein konnte. Die göttliche Gabe des Gesetzes brachte die Schönheit in die Welt. Zwar schöpfte der Mensch, aber letztlich ahmte er nur nach, was Gott bereits in allen Dingen angelegt hatte. Aber war dieser klare Gedanke der Naturgesetzlichkeit nicht auf der anderen Seite die Unterbetonung menschlicher Freiheit?

Der Musikphilosoph und seine Freiheit

Diese Wahrheit der Gottheit ging später unter dem pragmatischen Star-Status des Virtuosen verloren. Mit den Revolutionen ging es zunehmend mehr um gesellschaftliche Probleme. Die Befreiung der Völker von dogmatischen Systemen nahm auch ihren Verlauf in der Musik. Die Musik verlor mit der Schwächung des Adels und der Aufwertung des Pöbels den Kontakt zum göttlichen Ganzen und vereinzelte sich hinter den Komponisten, die im heroischen Star-Status für die Masse performten. Da der Gedanke der göttlichen Schönheit verloren ging, fragte wohl der Mathematiker Gauß auch ganz mit Recht als er eine Beethoven-Sinfonie hörte, was denn damit nun bewiesen sei.

Bach allerdings war nicht in dieser Hysterie um sich selbst befangen. Er war kein Star, sondern nur um die wahre Musik und damit um Gott bemüht. Die göttliche Musik musste Bestand haben und so ohrfeigte er gar noch seinen Sohn, als dieser die abendliche Improvisation abbrach. Der Sohn dachte doch tatsächlich, dass sein Vater im Schlummer keine Acht mehr auf die göttliche Entfaltung der Schöpfung geben würde. Der alte Bach jedoch sprang nach der Ohrfeige sofort zum Klavier und beendete die letzten Akkorde, um der göttlichen Sphäre und seiner Wahrheit keinen Schaden zuzufügen.

Grenzen der Musikphilosophie

Dennoch philosophisch lief diese Musikauffassung in ihr Verderben. Hätte die gesellschaftliche Entwicklung nicht ihren Untergang in der Unterhaltung vorweggenommen, so wäre diese Musik durch die Endlosschleife ihrer Idee kein Stück vorangekommen. Die philosophisch-metaphysische Voraussetzung, dass die Musik schon Wahrheit enthielt, ließ die Musikphilosophen nicht die Grenzen der Musik erkennen. Musik allein gibt keinen Sinn und auch nicht ein Gott, sondern Gesellschaft und die Musik kann nur in der Gesellschaft bestehen. Diesen Fragen werde ich mich in weiteren Beiträgen zuwenden.

Nachtrag:

Musikphilosophie bei Bach

Wir haben eher unseren Blick auf die elitären Zirkel der Musik geworfen. Das heißt, auch wenn Bach zwar für die Bürger Leipzigs komponiert haben mag, so lebte der größte Teil der Bevölkerung auf dem Land. Auch für viele bürgerliche Familien war ein Cembalo nur schwer erschwinglich, da diese damals noch nicht in Massenproduktion zur Verfügung standen. Ich behaupte daher, dass auch wenn Bach damals seine Musik für kirchliche Anlässe als auch für Liebhaber schrieb, der Hauptteil seiner Hörerschaft entfiel auf Musikkenner.

 

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