Zur Grenze zwischen Zufall und Notwendigkeit in der Philosophie

Der Nutzer MiSha400 schreibt in einer Diskussion zu diesem Video vermeintlich philosophisch:
… Glauben ansich… das, was du über dich selbst, und über die Realität glaubst ist deine Realität (deine „Blase“).Jeder lebt in seiner eigenen kleinen „Box“ aus Glaubenskonstrukten über die Realität und sich selbst.Wenn du etwas als wahr erachtest (glaubst), wird es zu deiner Realität.“
Das ist natürlich grober Unfug. Das, was der Kommentator hier versucht zu vermitteln, ist eine Form des philosophischen Konstruktivismus, den niemand in der Philosophie ernsthaft vertritt. Alle philosophischen Konstruktivismen verstand die Mehrheit der Philosophen immer falsch. Selbst der radikalste philosophische Idealismus heißt nicht, dass wir nur etwas denken und es wird dann real. Dies gehört in die Sparte Esoterik. Nein, der Idealismus besagte, dass wir nicht mehr von der widersprechenden Realität kennen können, als das, wozu prinzipiell unser Denken in der Lage ist. Dies bedeutet, dass die Bedingungen für die Erkenntnis im Subjekt liegen. Um unsere Einführungsrunde in die Philosophie an dieser Stelle zu beginnen, sei gesagt, dass gerade der Philosoph Kant hier zeigen wollte, dass die subjektiven Bedingungen unseres Denkens zu gleich objektiv seien. Dieses philosophische Vorhaben nannte er dann den transzendentalen Idealismus. Der Widerspruch zum Denken durch etwas gegeben Reales ist auch für den idealistischen Philosophen wahr.  Es stellt sich allerdings dennoch die Frage, was die Bedingungen für diese Wahrheit sind und hier sind wir bei der Grundfrage der Philosophie.
rhızomıng mımεsıs▲catharsıs plεats . .

Ist die Realität philosophisch notwendig? CC_Bild: jef safi (writing)

Im obigen Video sehen wir nun diese Frage nach der rechten Interpretation der Welt. Sind alle Ereignisse, die geschehen notwendig oder zufällig? Tatsächlich eine Antwort hängt in weitem Maße von unserem philosophischen Glauben ab. Es stellt sich jedoch im Mindesten die Frage, was dann die Bedingungen für meinen Glauben sind. So leicht ist die Flucht vor Philosophie in den Glauben dann nämlich auch nicht.
Eine Bedingung für jedweden Glauben ist immer noch einheitliche Welterzeugung. Ich kann zum Beispiel nicht heute das und morgen das behaupten, nur weil ich gerade mal so glaube. Das heißt auch Glaubenssätze müssen dann der logischen Notwendigkeit folgen, dass diese zueinander passen, wenn ich sie in Anspruch nehme. Wenn sich diese Glaubenssätze nun widersprechen dürfen, so muss ich doch dennoch rechtfertigen, warum diese Sätze es dürfen und andere nicht. Damit holt die Philosophie jedweden Glauben wieder in ihre angestammte Form, in die offene Frage zurück.
Die Philosophie mit der Frage nach den Grenzen des Wissens und Sagbaren steht also in enger Verbindung mit den Grenzen des Glaubens. Machen wir dies mal an einem sehr einfachen Beispiel deutlich:
A: „Warum hast du mir gesagt, dass Eier im Kühlschrank waren?“
B: „Weil ich glaubte, sie wären im Kühlschrank“
A: „Warum glaubtest du das?“
Diese Gründe für den Glauben aber können dann kein Glauben mehr sein, andernfalls drehten wir uns im Kreis, fielen in der unendlichen Abgrund der Frage „Und warum das?“ oder wir würden eine nicht-philosophische Handlung begehen und den Diskurs darüber abbrechen. Dieses so genannte Münchhausen Trilemma, war schon von jeher ein Problem der Philosophen. Es sei dennoch soviel verraten, dass die Philosophen der transzendentalen Schulen hier ganz geschickte Methoden entwickelt haben, um tatsächlich eine Form der Letztbegründung all unseres Wissens zu erreichen.
Die Welt muss philosophisch mehr sein als nur der Glaube an ihre Grenzen. Allein durch Glauben können wir keine Letztbegründung vornehmen. Es wäre hier zu einfach, die Verantwortung an einen Freund im Jenseits abzugeben, der immer dann auf den Plan tritt, wenn es philosophisch heikel wird. Wo das Wissen aufhöre, müsse der Glauben beginnen. Dennoch es gibt gute Gründe, nicht die Dichotomie zwischen Glauben und Wissen auszuspielen, sondern beide in ihrer Einheit zu verstehen.
Wo der Glaube aber eine Rolle spielt, ist dort, wo wir im Nachhinein versuchen die Ereignisse, die doch zufällig zusammentreffen, zu einem großen Ganzen zusammenzufügen. Das machen wir, weil wir die Welt eben auch als eine denken müssen, wenn wir sie denn denken. Die Welt könnte so, nach einem Prinzip entstanden sein oder gar ganz zufällig und ohne Ordnung in ihrem Zusammenhang rein jetzt vor unserem geistigen Auge entfaltet sein und sich jeden Moment ganz und gar verflüchtigen (auch hier hatte der Philosoph Kant seine Arznei des transzendenten Idealismus parat, aber dazu an anderer Stelle mehr).
Zunächst entscheidet sich an dieser Stelle etwas ganz anderes. Es ist die Entscheidung, ob wir Realisten (das heißt das Prinzip zur Betrachtung der Welt, die Notwendigkeit, ist real) sind. Dies bedeutet, dass die Welt tatsächlich nach Notwendigkeit erfolge. Oder, ob wir philosophische Idealisten sind. Das heißt, dieses Prinzip zur Betrachtung der Welt, das wir brauchen, weil wir andernfalls Welt nicht denken könnten, wäre nur gedacht, tatsächlich aber ist die Welt ein Haufen „Chaos“, dem wir nur für einen Moment den menschlichen Anstrich der Ordnung geben. Der Philosoph Kant diskutierte dieses Thema schon sehr geschickt, da wir über das erste die tatsächliche Notwendigkeit bei niemanden (auch nicht im Jenseits) ohne weiteres eine Auskunft einholen können, so können wir das Prinzip der Notwendigkeit in unserem Denken erforschen (denn nur so können wir Welt überhaupt denken) und behandeln die Welt zumindest so als würde sie nach einem Prinzip verfahren.
Mit diesem transzendentalen Idealismus brachte der Philosoph Kant die bis heute fortschrittlichste Wissenschaft auf den Weg, die sich wohl genau genommen noch nicht bei allen durchgesetzt hat. Damit aber ist aber zumindest für wenige Philosophen klar, das Prinzip in seiner Notwendigkeit, gleich ob es real oder ideal ist, gilt objektiv für alle von uns, da ein anderes Denken von Welt nicht möglich ist. Wir schließen daher mit dem Wesen der Vernunft, das der Philosoph Kant in seinem fundamentalen Hauptwerk so beschrieb:
„Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann; denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann; denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.“ (KdrV AVII)
Norman Schultz
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Grenzen der Reisephilosophie

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An die Grenzen der Reisephilosophie CC_Foto: Stuck in Customs

Du musst reisen, um dich selbst zu erfahren.  So heißt es, aber vielleicht versuchen wir auch aus der Angst vor uns selbst die Grenzen der Welt zu überwinden. Wir reisen, weil wir uns selbst nicht kennen wollen und glauben, die Welt müsste eigentlich überwunden werden. Doch der Mensch ist mit seiner Philosophie die Grenze der Welt, die er nicht mehr übersteigen kann. Wir werden immer hinter uns zurück bleiben, wenn wir nur reisen. Die wirkliche Reise ist daher allein die Reise zu den Grenzen des Selbst.

Andere Reisephilosophien

Früher schienen die Reisephilosophien übrigens noch viel leichter erfüllbar zu sein: Als die Götter noch im Olymp wohnten, wollte man Himmelsleitern zu den Göttern hinauf bauen. Mit jedem Stück Natur, war auch immer ein Gott nur einen metaphysischen Sprung entfernt. Aber dennoch wurden Menschen auch für diese unmögliche Reisephilosophie bestraft. Turmbauten, die Gott (dem Mann, der letztlich über die Welt Bescheid weiß) gefährlich nah kamen, wurden vernichtet. Aufstieg im Denken, eine Reisephilosophie zu den Grenzen war unerwünscht in einer göttlichen Welt.

Heute da die Grenzen des Körper mit dem Spitzensport schon erreicht sind und die Welt auch nur noch einen Flug entfernt ist, gibt es kaum noch die Befreiung durch Höchstleistungen im Denken. Zumal es ja nie wirkliche Befreiung war, doch die Frage ist, wo wir noch hin sollen. Die metaphysische Hoffnung hinter dem nächsten Naturgegenstand etwas zu entdecken, wird nur noch von verqueren Esoterikern vertreten. Tourismus ist daher die Ersatzhöchstleistung. Aber auch dies kann an eine Grenze gebracht werden:


Grenzübersteigungen heute

Das Selbst wäre also der Mittelpunkt unserer heutigen Reisephilosophie und nicht das Reisen an die Grenzen der Welt. Vor jeder Philosophie oder jedem moralischen System steht doch immer ein Selbst im Weg, das sogar noch vor der Welt steht. Wenn wir etwas falsch machen, war es unter Umständen gar nicht das Wissen um die Welt, sondern dieses Ding, das uns eigentlich im Weg stand. Die Grenze der Welt beginnt doch im Mindesten bei uns. Wenn wir also hinter die Kulissen des Welttheaters schauen wollen, dann müssen wir doch wenigstens das Selbst bei Seite schieben. Dieses Selbst aber verfolgt uns mit jedem Schritt in die Ferne. Du selbst bist kein anderer, ob hier oder in fernen Ländern. Damit kommen wir aber zu einem anderen Thema, nämlich den als erfolglos verspotteten Reflexionsphilosophien, als auch zu den Asketen, die durch konsequente Selbstzurücknahme die Welt in sich aufnehmen wollten. Erst hier beginnt die wahre Aufgabe des Menschen, sich selbst zu entdecken und das bedeutet Philosophie. Keine Reisephilosophie als diese kann es geben.

Nein, es ist schon schwierig, die Enden der Welt in unserem Selbst zu beschreiben. Einer kann nicht weiter reisen als zur Welt und sich selbst. Welt und das Selbst sind Grenze, ein Band das sich auch nicht durch Philosophen zerreißen lässt. Grenztourismus und Reisephilosophie ergeben keine höheren Erkenntnis, auch wenn es ganz schön aussieht:

Weltreisen sind  schön, aber auch keine Lösung. Weitere Versuche der Weltbeendigung findet ihr unter Asketen.

 

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Deine Stimme gegen sexualisierte Gewalt – Norbert Denef

Ich möchte noch auf zwei Dinge aufmerksam machen, die nicht unbedingt mit Philosophie zu tun haben, wohl aber mit den Grenzen unserer Gesellschaft.

Zum Einen geht es um den Taz-Panter-Preis, wo es darum geht Norbert Denef bei seiner notwendigen Aufklärung gegen sexualisierte Gewalt und seinem Engagement für Betroffene zu unterstützen. NetzwerkB ist ein Verein, der sich gegen die Missstände in unserer Gesellschaft richtet, dass Betroffene sexualisierter Gewalt kaum Hilfe bekommen und Täter weitesgehend geschützt werden. Es ist nämlich keineswegs so, dass sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft selten passiert, sondern über 10% unserer Bevölkerung sind betroffen. Davon sind über 2% von so schwerer sexualisierter Gewalt betroffen, dass es teilweise unser Vorstellungsvermögen übersteigt (aber auch die als nicht schwer klassifizierte sexualisierte Gewalt, ist zumeist Gewalt unvorstellbaren Ausmaßes, da Kinder oftmals über große Teile ihrer Kindheit regelmäßig missbraucht werden, wobei das Wort Missbrauch hier wohl eher falsch ist, da es sich um Vergewaltigung oder schwere sexuelle Belästigung handelt). Das Thema wird oft totgeschwiegen, da es immer noch ein Tabuthema darstellt. Norbert Denef zeigt allerdings die Courage und überwindet die von den Tätern implementierte Scham und spricht offen aus. Diese Courage ist notwendig, um Täter zu überführen und gesellschaftlich Veränderung zu bewirken. Mit seinem gegründet netzwerkB richtet er sich dagegen.

 

 

Noch zwei Tage läuft die Abstimmung. Bitte stimmt daher unter https://www.taz.de/zeitung/tazinfo/panterpreis/wahl/ für Norbert Denef und den Aufbau seiner Plattform gegen sexualisierte Gewalt.

Der zweite Punkt betrifft den Mut von Sophie Stein zu den vielen Verbrechen, die an ihr statt gefunden haben Stellung zu beziehen. Auch für sie ist netzwerkB eine Anlaufstelle geworden. Wir hoffen, dass wir mit diesen Interviews über die Folgen der sexualisierten Gewalt aufklären können und Verständnis für die Folgeerkrankungen erreichen, denn eins ist klar: Die Beseitigung der Tätergruppen und der schwierige Umgang mit diesem Thema wird von der Gesellschaft einiges abverlangen.  Dieses philosophische Ideal müssen wir aber einfordern, gleich wie teuer es ist und wieviel Aufwand es bedeutet endlich die sexualisierte Gewalt zu beseitigen. Vielen Dank und stimmt bitte ab, denn es ist sehr wichtig.

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Die Gewalt der Demokratie (Grenzen der politischen Philosophie)

Iwo Jima Chronicles

Grenzen zwischen Gewalt und Demokratie (CC_Foto: Stefano Corso)

Welches Volk setzt die Philosophie der Demokratie um? Ich hatte ja schon festgestellt, dass selbst wenn eine Millionen Gegner eines Regimes auf den Straßen sind, es noch nicht die Mehrheit der Bevölkerung ist. Mit welcher Menge an Protestestierenden ist also ein kritischer Grenzwert erreicht, so dass wir von einer friedlichen Verlagerung zu demokratischen Strukturen sprechen können? Mit einer Masse über 50% haben wir zwar ein demokratisches Mehrheitsvotum, aber ist Demokratie die Entscheidung der Mehrheit? Kann die Demokratie die Diktatur der Mehrheit sein? Nein, daher ist zum Beispiel die Diskurstheorie des Philosophen Habermas auch nicht am Kompromiss, sondern am Konsens orientiert. Dies bedeutet, dass der Diskurs so lange geführt werden muss bis alle potentiellen Argumente ausgetauscht worden sind und der zwanglose Zwang des besseren Arguments siegt. Diese Philosophie ist natürlich ideal und es braucht eines Prinzips dieses philosophische Ideal auch in der Realität anzuwenden.

Demokratie und nichts anderes! Wäre es denn demokratisch gegen die Demokratie zu stimmen? Wo hat der Philosoph hier seine Wahl? Können wir ohne weiteres voraussetzen, dass Demokratie immer richtig ist? Und mehr noch, kann es demokratisch entscheidbar sein, ob Menschen gefoltert oder misshandelt werden? Wenn ja, ist die Demokratie dann eine Diktatur philosophischer Ideale?

Wir wissen aus der Geschichte, dass sich ein Volk gegen Demokratie entscheiden kann, aber wie entscheidet es sich dafür? Demokratie geht zurück auf Gewalt. Können wir in diesem Falle von Gerechtigkeitsgewalt sprechen? Wenn wir nun hoffen, dass sich ein Volk in Arabien in Sekundenbruchteilen vom alten Regime befreit, so möchte ich an die vielen blutigen Kriege und Bürgerkriege in Europa erinnern, die mit dem Gestaltwandel der europäischen Staaten einhergingen. Um es kurz zu machen, ich glaube nicht, dass das Regime ohne Gewalt abgelöst werden können.

Mubarak versuchte sich ähnlich wie Gaddafi zu wehren, so hieß es:
„Das ägyptische Regime spielt seine Karten aus. Vor einer Woche gingen die Gefängnisse auf. Verbrecher schwärmten aus und machten die Wohngebiete unsicher. Am Mittwoch prügelte ein entfesselter Mob mit Pro-Mubarak-Bannern auf die friedlichen Demonstranten in Kairo ein. Als ich heute Morgen auf den Tahrir-Platz gehen wollte, machte ich vor einer Bande mit Knüppeln und Eisenstangen mit Stahlpickeln kehrt. Die neuen „Ordnungskräfte“ des Regimes […] Am Donnerstagmittag errichteten selbstermächtigte Schlägertrupps Checkpoints, kontrollierten die Bürger und pickten sich gezielt Ausländer und ausländische Journalisten heraus. Einige wurden festgehalten, andere gejagt, manche geschlagen, mit Messern bedroht.“ (http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-02/aegypten-journalisten-auslaender-2?page=1)

Mubarak sei ein General gewesen und ein General gehe nur im Krieg, hieß es. Nun war die Welt erleichtert, als sich das Militär gegen Mubarak wandte, aber welche Erleichterung sollte dies sein? Nur weil ein Regime abgeschafft wird, heißt das noch nicht, dass nun eine demokratische Philosophie beginnt. Mit dem Vertrauen in das „Demokratie Jetzt!“ hat das Volk den philosophischen Charakter der Demokratie missverstanden. Demokratische Strukturen bestehen nun mal nicht daraus, dass Menschen einmal alle vier Jahre ein kleines Kreuzchen machen, sondern aus einer demokratischen Sozialstruktur. Diese demokratische Sozialstruktur verlangt aber vielerlei Bildung und Philosophie, nicht nur eine technische Grundausbildung. Es verlangt, dass Menschen mit den philosophischen Idealen einer höheren Menschlichkeit vertraut gemacht werden, überhaupt erst lernen, welche Vorteile ihnen aus der Toleranz gegenüber anders Denkenden erwachsen und damit die Frage nach der Gerechtigkeit über die Frage des eigenen guten Lebens stellen.

Sozialstrukturanalyse sagt uns nicht, was Demokratie ist, aber Demokratie besteht nicht nur aus einem gewaltsamen Umsturz. Es braucht Struktur. Ohne diese Struktur wird wie in Tunesien und in Ägypten auch in Libyen ein altes Regime die Fäden in der Hand halten. Dieses neue alte Regime braucht doch nur alte Strukturen übernehmen. Es wäre ja irrig zu glauben, dass ein Einzelner wie Gaddafi die Schicksale von vielen Millionen Menschen hätte unterdrücken können, ohne dabei auf ein weit verzweigtes soziales Netz zurückzugreifen. Wer sind hierbei die Akteure? Militär, Polizei, Politiker, Richter? Wieviele profitieren von einer „ungerechten“ Gesellschaft und was soll Gerechtigkeit in Ägypten bedeuten? Wer hätte ein Interesse daran, die alten Herrschaften abzuservieren und in Gefängnisse zu stecken, nur um dann im Spiel „Wer wird Milliadär?“ selbst zu gewinnen? Wenn Gaddafi nun besiegt ist, wird er vielleicht ersetzt, aber wird auch das soziale Netz seiner Herrschaft ersetzt?

Ich möchte nur sagen, wenn eine Revolution in den arabischen Staaten begonnen hat, dann wird es eine lange Revolution sein, die noch viel Blutvergießen bedeuten mag, darüber hinaus muss es gleichwohl auch eine Revolution sein, die auch einen philosophischen Strukturwandel bedingt. Angesichts der verschiedensten Interessengruppen, denn es gibt ja immer Menschen, die von einem Regime profitieren, bleibt dazu die Lage unübersichtlich. Welche Sozialstruktur muss sich ändern? Selbst wenn es den Anschein haben mag, dass nun ein Verlangen nach Demokratie eine Rolle spielt, heißt es nicht, dass ein Umsturz auch tatsächlich zu Demokratie führen wird.

Ich möchte nicht zu stark dramatisieren, aber der Wille nach einer neuen Ordnung ist noch nicht demokratisch, sondern gewaltsam. Für welches System wird sich Libyen also entscheiden? Ich möchte nur daran erinnern wie Robespierre mit einem Streich alle seine Gegner in der Französischen Revolution ermorden ließ und wie kurze Zeit später Napoleon die Gewalt beendete, um neue Gewalt zu beginnen.

Gemäß Jean-Jacques Rousseau wollte Robespierre den wahren Gemeinwillen, die volonté générale, vertreten. Dieser immer gültige Allgemeinwille gelte auch, wenn der Einzelne ihn ablehne. Nach Robespierre war somit jeder, der den Gemeinwillen ablehnte, ein Feind der aufgeklärten Gemeinschaft. Dies lief dann darauf hinaus, dass Feinde der Republik beinah wahllos getötet wurden. Bei Wikipedia heißt es:

„DieTerrorherrschaft war demzufolge ein notwendiges Übel, um das Volk für den von Rousseau empfohlenenGesellschaftsvertrag bereit zu machen. Ohne Tugend, meinte Robespierre, sei Terror verhängnisvoll, ohne Terror die Tugend machtlos.“ (Wikipediaartikel zu Robespierre)

Es mag sich jeder selbst ein Bild machen, ob das ganze ironisch ist. Es gibt jedenfalls Franzosen, die diesen Mörder hochleben lassen.

Norman Schultz

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Demokratiephilosophie und das Spiel „Wer wird Milliardär“ in Libyen

Democracy

Wofür steht die Philosophie der Demokratie? (CC_Foto: PaDumBumPsh)

Eigentlich lassen mich politische Ereignisse als Philosophen kalt. Meistens sind doch die tagespolitischen Ereignisse, wenn einer diese denn aus einer fiktiven Zukunft entgrenzt philosophisch als auch geschichtlich relativ unwichtig. Welche Ereignisse fallen mir denn ein, wenn ich 1000 Jahre zurück denke? Ehrlich gesagt, klafft da bei mir ein dunkles Loch im Gehirn. Blicken wir in die Vergangenheit zurück, so fallen uns zumeist sehr globale Entwicklungslinien ein, kaum einer erinnert sich aber an alle Schlachten der Griechen oder die politischen Tagesereignisse des Mittelalters. Genauso ist für mich das aktuelle Westerwellebashing kaum erwähnenswert. Ein Mann, der auf der Abschussliste, wie ein schmuddliges Klassenkind gemobt wird, interessiert mich als Philosophen herzlich wenig. Rein menschlich finde ich es allerdings unfair. Dennoch verbindet uns der Fall Westerwelle mit sehr spezifischen Ereignissen, die uns sehr deutlich im Gedächtnis verbleiben werden. Wie die Französische Revolution die philosophischen Freiheitsmomente, die in der Philosophie bereits angedacht waren, entgrenzte, dringt nun auch diese Philosophie der Freiheit in die arabischen Grenzen.

Dieser Tage fragen wir uns also, ob in der arabische Flächenbrand ähnliche, geschichtliche Züge wie der Französischen Revolution enthält. Der philosophische Gedanke nach demokratischer Mitbestimmung erfässt die Länder des nahen Ostens. Ich hatte allerdings mehrfach angedeutet, dass allein eine gewaltvolle Machtübernahme nicht alte Strukturen überwindet. Zu einer autoritären Tätergesellschaft gehören mehr Gegner einer Freiheitsphilosophie als nur ein diktatorischer Machthaber. Und so zeigte sich auch schon, dass die französische Revolution in der Art wie sie Europa erfasste über 200 Jahre dauerte bis alle diktatorischen Regime durchgespielt waren und sich eine Demokratie etablieren konnte. Auch in Tunesien und Ägypten zeigt sich, dass die Beseitigung eines Machthabers nicht sogleich Demokratie bedeutet.

Zur westlichen Realisierung von Demokratie müssen wir auch hinzufügen: Natürlich ist auch diese westliche Demokratie eine Diskriminierungsform der politischen Minderheit, was so zum Beispiel gerade bei einem Zweiparteinsystem wie in den USA schnell zu einer schmerzhaften Ohnmachtserfahrung führt. Unabhängig aber von der Annäherung an das philosophische Ideal der Demokratie, ist auch schon die Durchsetzung und Übernahme der Demokratie nur selten eine philosophisch vernünftige.

Gewalt der Freiheitsphilosophie? Demokratie aber wie?

Demokratie Jetzt! Gibt es hier eine Wahl? Denn auch die Forderung nach entgrenzender Demokratie entspringt einem Dilemma, denn Demokratie muss doch in dieser Form immer erst durchgesetzt werden. Ist das aber demokratisch? Und wie setzt sich eine Demokratie eigentlich durch?

Zunächst haben wir doch die Grenzen in einem Staat, der meinetwegen die Bürger vor sich selbst schützt und vielleicht auch den Staat und seine Grenzen nach außen verteidigt. Dass die Grenzen sich in der Philosophie immer als notwendiges Übel des Denkens manifestieren, hatte schon der Philosoph Hegel erkannt, warum aber diese Grenzen in der Wirklichkeit auch Bestand haben, war seine wesentlich philosophische Frage. Grenzen der Staaten sind also mit einem Schlag in der Welt, warum aber? Die wohl historische Erklärung lautet: Grenzen klären Besitzansprüche. Wo einst ein Mann sagte, dies ist meins und es noch niemandem gehörte, dort war der Rechtsanspruch geregelt. Einer wirklichen Philosophie der Freiheit konnte dies aber nicht gerecht werden. Staaten sind Gebilde, die Menschen willkürlich setzen, die in einem Moment der Geschichte entspringen und mit der Willkür immer auch eine Form der vernunftlosen Gewalt enthalten.

Was spielt sich nun in Libyen ab? Es lässt sich durchaus mit Russland vergleichen. Als dort die Demokratie doch wohl philosophisch eingeführt worden war, startete eines der größten Gesellschaftsspiele des Kapitalismus: „Wer wird Milliardär?“ Dieses Spiel wurde moderiert von Jelzin und Putin und es schlachteten sich die Russen ab, um am Ende die riesigen Güter eines Landes verteilt zu haben. Historiker vergleichen dieses Gesellschaftsspiel durchaus mit einem Bürgerkrieg. Die Forderung nach Demokratie ist bestimmten Mächtigen genehm, und wie auch in Russland gibt es einen riesigen Schatz in Libyen zu verteilen. War Gaddafi vor kurzem noch der reichste Mann der Erde (vielleicht ist er es mit seinen über 100 Milliarden über windige Kanäle noch immer), so warten schon andere Staaten, Industrielle und wer auch immer auf die „demokratische“ Verteilung der Güter.

Demokratie ist ein philosophisches Ideal, die Realisierung aber eine tagespolitische Tragödie, die in verschiedenen Ereignissen historische Ausmaße annehmen kann. Auch eine Demokratie muss durchgesetzt werden. Klar ist, herrschen soll das Volk. Welches Volk aber?

Wenn 10.000 Menschen sich auf einer Versammlung in Kairo zusammen finden, so handelt es sich ja gerade mal um 0,01 % der Bevölkerung. Selbst wenn eine Millionen Gegner auf den Straßen sind, so haben wir es gerade mal mit 1% zu tun. Mit welcher Menge an Protestestierenden ist also der kritische Grenzwert erreicht, da ein Regime sich nicht mehr schützen kann? In jedem Fall aber wird mit einer Masse unter 50% nicht demokratisch darüber abgestimmt, ob Demokratie sinnvoll wäre.

Demokratie soll es also sein, aber wie kommen wir dazu? Abstimmen können wir ja darüber nur, wenn wir Demokratie schon haben. Wir wissen aus der Geschichte, dass sich ein Volk gegen Demokratie entscheiden kann, aber wie entscheidet es sich dafür? Demokratie geht zurück auf Gewalt. Können wir in diesem Falle von Gerechtigkeitsgewalt sprechen? Heiligt der Zweck die Mittel? Demokratie um jeden Preis? In dieser Frage bin ich mir unsicher, wohl aber zeigt sich so, dass die Demokratie ihre Gönner hat. Wahre Demokratie hätten wir wohl erst, wenn die Demokratie nicht mehr durchgesetzt werden müsste, sondern wenn sie ohne Revolution erscheint. Aber wer will darauf hoffen?

Norman Schultz

 

 

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Seinsphilosophie – Der Autismus und die Grenzen der Welt

Autismus ist also eine angeborene, unheilbare Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörung des Gehirns. Anders kann Autismus aber auch einfach als abweichende Informationsverarbeitung gedeutet werden. Die Autisten macht dies deutlich. Für sie ist die eingeschlossene Welt ihrer Informationsverarbeitung ein eigener philosophischer Kosmos. Ich sehe allerdings zwischen beiden Bereichen einen Unterschied. Weiterlesen

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Grenzen zwischen Notwendigkeit, Zufall und Lebensschicksal (Grundbegriffe der Philosophie)

Mit meiner philosophischen Darlegung zur Notwendigkeit, zum Zufall und zum Schicksal plane ich nicht das Weltenei (Abbildung unten) neu zu legen, zu schützen oder zu begründen. Ich sage nur Folgendes, um die Welt zu verstehen, sie in ihrem unaufhaltsamen Lauf zu begründen, müssen wir sie als notwendig denken. Das heißt, wir müssen die Welt immer als eine Welt annehmen, die Gesetzen folgt und damit kausal geschlossen ist (seht hierzu auch meinen Blogbeitrag zu der Vorstellung, dass das Universum die größte Kettenreaktion aller Zeiten seit dem Urknall ist).

Um aber dieses Prinzip der Notwendigkeit philosophisch zu denken und in Anwendung zu bringen, müssen wir das Gegenteil, den Zufall, zumindest in Betracht ziehen. Die strikte Notwendigkeit postulieren wir nur mit Nachdruck, wenn nicht doch auch die Möglichkeit eines Zufalls bestehen könnte. Das Dilemma erklärt sich also so, dass wir einerseits alles nach Gesetzen denken müssen, da wir es andernfalls nicht verstehen; andererseits kennen wir die Gesetze nicht und wir können Zufall für ebenso möglich halten. Wir wissen also nicht, was in Zukunft kommt und versuchen daher die Zukunft vorauszuahnen, nicht aber in der Art, dass uns ein Indianer oder Inder Visionen verkündet. Es hat gute Gründe, warum wir Nostradamüssen nicht mehr vertrauen (obwohl die Esoterik natürlich auf dem Vormarsch ist). Wir wollen Gründe haben, warum etwas in der Zukunft auch notwendig so sein soll. Die Zukunft soll nach Gesetzen entstehen.

Umgang mit dem Ungewissen (unsere Philosophie des Unbegrenzten)

Aufgrund dieser Schwierigkeiten mit unseren Gesetzen spannt sich auch eine Diskussion um den Klimawandel, ob dieser wirklich oder nicht wirklich ist. Weil die Gründe nicht mit lückenloser, logischer Konsequenz einsichtig sind, weil die Realität einfach noch zuviele Variablen offenlässt (wir können ja nichmal das Wetter für die nächsten sieben Tage sicher vorhersagen) und wir immer nur mit Gründen abschätzen, sind leicht Zweifel zu streuen. Und auch weil wir nie sicher sind, dürfen Forscher gegen alle Theorien Einwände erheben.

Jedoch relativiere ich hiermit nicht die Forschung, denn auch die Einwände müssen wohlbegründet sein. Bei diesen Einwänden müssen sich die Forscher darauf einlassen, dass die Welt notwendig zu begründen sei. Es ist ihnen nicht erlaubt, zu fragen. „Was wenn sich morgen die Welt durch Zufall in eine Nichtsblase verwandelt?“ Sie argumentieren im Universum der Gründe und die Welt ist durch diese Gründe von unserem unterstellten Prinzip der Notwendigkeit begleitet. Selbst die Philosophie muss dieses Prinzip immer irgendwie in Anspruch nehmen

Triumphwagen der Welt
Philosophie des Realismus oder Philosophie des Idealismus

Entweder Menschen entscheiden sich für einen Realismus, das heißt die Welt folge notwendigen Gesetzen oder aber sie entscheiden sich für einen philosophischen Idealismus, demnach müssen wir das Prinzip der Notwendigkeit annehmen, um eine einheitliche Welt zu erzeugen, was Welt wirklich ist, wissen wir aber nicht). In beiden Fällen aber schrammen die Menschen damit tatsächlich an einem philosophischen Verständnis der Grenzen ihres Denkens vorbei, da die Frage zunächst hinsichtlich ihres Standpunktes geklärt werden müsste, so wir sie stellen wollten.

Ist der Glaube an Realismus nun aber der Glaube an Materie als letztgültiges Prinzip? Nein, denn so schreibt Nikolaus Cybinski beispielsweise: „Es gibt Zufälle, an denen sind noch die Fingerabdrücke Gottes.“ So schön dieser Aphorismus klingt, er drückt aus, dass der Zufall eben diesmal auf einen hyperphysischen Grund zurückgeführt wird, das heißt einen notwendigen Grund, der außerhalb der Welt liegt, nämlich Gott. Philosophisch betrachtet ist dies auch ein Realismus, denn der Zufall wird als Notwendigkeit gedacht. Die Gesetze existieren unabhängig vom Denken. Es mag für manche Naturwissenschaftler ernüchternd klingen, dass die Philosophie Gottvertreter auch in ihren erlauchten Club der Realisten mitaufnimmt.

Physiker sind keine Realisten, sondern betreiben nur angewandte Philosophie

Im Gegensatz dazu hat es die Physik irgendwann geschafft, unser starres Notwendigkeitsdenken abzulegen. Als sie mit der Entdeckung der Quantenphysik den Welle-Teilchen-Dualismus überwand, stellte sie die Welt nicht mehr klassisch, bestehend aus kleinen roten Bällen bestehend vor, sondern verlegte sich darauf, die Welt einfach nur zu beschreiben. Sie enthielt sich also einer so genannten metaphysischen Entscheidung. Die Quantenmechanik basiert auf der Idee einer statistischen Vorhersagbarkeit von Ereignissen, wobei kein Grund in einem bestimmten Moment ausgemacht wird. Das heißt nicht, dass es keinen Grund gibt, aber die Physik enthält sich kluger Weise einer genauen Beurteilung und dies ist Philosophie. Es kann sowohl Zufall, als auch verschleiert Notwendigkeit sein, warum sich Elektronen oder meinetwegen auch andere Teilchen so verhalten, wie sie sich verhalten, in jedem Fall aber können wir es beobachten und mittels Wahrscheinlichkeit annähernd beschreiben. Einstein missfiel diese Herangehensweise und er antwortete „Ich bin überzeugt ER würfelt nicht.“ Er wollte wie unsere Aphoristiker die Welt als prinzipiell geschlossenen Notwendigkeitszusammenhang im Geiste Gottes denken. Demnach war Einstein philosophisch betrachtet Realist, also auch kein Philosoph, denn Philosophen machen keine Aussagen über das Unbegrenzbare und Sich-Entgrenzende.

Der Realismus in der Statistik (Statistik ist allein auch keine Philosophie)
Das Wahrscheinlichkeitsdenken setzt sich mittlerweile jedoch zunehmend durch. Die Instrumente der Statistik ersetzen zuverlässig die doch oft unzuverlässigen Plausibilitätsargumente. Doch auch hier kommt wieder eine unzulässige Verallgmeinerung ins Spiel. Mittlweiler schauen ganze Scharen an Hobbymathematikern mitleidig auf die armen Seelen der Glücksspielsüchtigen und Lottospieler. War früher noch Fortuna, die Göttin des Glückes, den Menschen hold, so lässt sich Glück fortan berechnen. Und Lottospielen ist ab sofort purer Nonsense. Der Realismus der Statistik ist aber auch keineswegs philosophisch und begrenzt das Denken metaphysisch.

Oh Boy, eigentlich kann ich dazu nicht viel sagen, denn ich bin der schlechteste Lottospieler der Welt. Ich habe zwar immer verschiedene Zahlen richtig, aber immer tippe ich knapp an einem Dreier vorbei. Wenn ich mich einfach nur „zusammenreißen“ würde und alle verschiedenen Lose an einem Tag zu einem Richtigen Supergewinn zusammenfügen würde. Naja wenigstens kann ich durch das Lottospielen meine Traumlandschaften ausstaffieren. In dieser Welt fahre ich einen Lamborghini Diablo und feiere Partys ohne Ende. Der Statistiker rät uns saloppen Philosophen allerdings vom Lottospielen ab, denn die Wahrscheinlichkeit beträgt bei 6 Richtigen und Superzahl ganze 0,00000072%. Da ist es schon schwierig nicht eine Null zu vergessen. 1 : 132.000.000 beträgt die Chance den Jackpot zu knacken. Rausgeworfenes Geld behauptet der Statistiker. Es ist vollkommen sinnlos zu spielen, dumm sogar. Ich fragte einst, einen Mathematiker, ob er dieses auch noch vor einem Gewinner, der ein paar Milliönchen gewonnen hätte, rechtfertigen würde. Er sagte: „Natürlich“. Was mir schon sehr ungewöhnlich erschien. Ich hätte noch fragen sollen, ob er mit diesem Wissen an der Stelle des Gewinners nicht gespielt hätte. Wahrscheinlich hätte ich auch ein Ja bekommen. Hier macht jeder der behauptet Lotto zu spielen sei sinnlos, einen entscheidenden Fehler: Er vergisst die Schicksalhaftigkeit unseres Lebens. Egal wie zufällig etwas auch sein mag, für uns wird es Realität, wenn es passiert. Der Zufall des Lebens, der all unsere Philosophie der Gesetzmäßigkeit durchdringt, kann aber nicht hinreichend erklärt werden.
Die über-welt-igende Wirkung des Zufalls auf unser Schicksal wird in den statistischen Berechnungen nicht erfasst. Wenn ich in ein Flugzeug steige und Angst habe, dass es abstürzt, so habe ich nicht Angst vor dem Risiko, was tatsächlich sehr gering ist, sondern vor den Konsequenzen, nämlich dass ich sterben werde. Wenn mir die Statistik sagt, dass es unwahrscheinlich ist, dass ich im zarten Alter an Magenkrebs erkranke, so ist das nicht beruhigend, wenn ich denn Magenkrebs bekomme.

Mit Sicherheit ist es daher falsch, wenn wir Gesellschaften politisch nach der Hoffnung auf das große Los lenken – hier bedarf es der Statistik der Soziologie – aber das Leben selbst verfährt anders. Für das einzelne Leben ist der unwahrscheinlichste Zufall oftmals lebensbejahend und damit gehört der nicht eingrenbare Zufall in die Grenzen des Einzelnen und seine Philosophie. Hier ein paar Beispiele, wo der Zufall leben gerettet hat oder zumindest Unglaubliches für den Einzelnen ausgelöst hat.




Unsere eigene Wirklichkeit können wir nicht nach der Gesetzlosigkeit des Zufalls verstehen. Natürlich ist es nicht notwendig, dass ich die große Liebe finde und es wäre absurd diese vorherzusagen. Umgekehrt ist es aber genauso absurd das eigene Leben nicht unter den Zeichen des Zufalls zu interpretieren. Somit gilt: Mit der Notwendigkeit erhalten wir Gesetze und verstehen die Welt, durch den Zufall aber entsteht der Spielraum für die Interpretation.

Philosophie der Notwendigkeit und des Zufalls
Die Grenze der Menschheit ist die Frage, wie sie alle ungewollten Zufälligkeiten durch die Kenntnis von der Notwendigkeit aus der Welt schaffen können. Darüberhinaus aber erfährt jeder Einzelne sein Leben unter dem überraschenden Schicksal, im Negativen wie im Positiven, das eine vereinheitlichte Sicht auf Statistik nicht erklären kann.
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Grenzen des Sports – Philosophie der Selbststeigerung

Das waren ungefähr 52 Meter. Tatsächlich werden andere Springer als Weltrekordhalter gelistet, wobei hier anzumerken ist, dass diese sich die Beine brachen. Viele glauben ja, das Problem sei die Wasseroberfläche und der Mensch müsste nur geschmeidig in die Wassermenge eindringen. Tatsächlich aber ist das Problem, dass der Springer das Wasser auch verdrängen muss, das Wasser hat dafür aber eine zu hohe Dichte. Je höher die Geschwindigkeit desto mehr wirkt sich die Wassermasse auf den Körper aus. Die Luft drückt es beispielsweise aus den Lungen, so dass Ohnmacht und Ertrinken auch keine Seltenheit sind. Bei 50 Metern muss der Springer von mehr als 100 km/h auf 0 reduzieren, was bei der Verdrängung des Wassers eine enorme Belastung für den Körper darstellt. Daher halte ich auch nur einen Weltrekord für bemerkenswert, wenn dieser ohne Verletzungen erfolgt wie bei Dana Kunze. Die englische Wikipedia hingegen zitiert den Fall von Harry Froboess, der angeblich aus 110 Metern von einem Zeppelin aus in den Bodensee gesprungen sei und damit immer noch im Guinessbuch der Rekorde gezählt werde:

Friedrich Harald August Froboess (1899 – 1985) born on 10.23.1899 in Dresden, Germany, was a German stunt diver, and high diver. Diving from an early age, his mother taught him to be a „jumping fish“ and his father taught him gymnastics. Froboess won many championships. He did stunt doubling for many stars in silent film. In the end he could only compete with himself jumping from higher and higher bridges and towers into water, finally culminating in a jumped 361 feet (110 m) into Lake Constance from the airship Graf Hindenburg on June 22, 1936. This record still stands in the Guinness book of records. http://en.wikipedia.org/wiki/Harry_Froboess

Ich halte diesen Sprung für sehr unwahrscheinlich, allerdings lehrt die Seite wiki-how wie Stürze aus Höhen von 25 bis 75 Metern zu überleben seien. Bei der Anleitung irritiert mich Punkt 5, der vor allem empfiehlt „Relax!“ Interessant ist auch, dass es eher wahrscheinlich ist, einen Sturz auf Land als auf Wasser aus unwahrscheinlichen Höhen zu überleben. Von den vielen Überlebenden solcher Stürze ist übrigens auch bekannt, dass die Mehrzahl der Selbstmörder es sich während des Sturzes nochmal anders überlegt.

Crater Lake

Sprünge aus hoher Höhe überleben? Foto: Andy Spearing

Lese ich diese Empfehlungen so kann ich mir wieder vorstellen, dass Frohbös tatsächlich diesen Sprung durchgeführt und überlebt hat. Dennoch sind die Grenzen des menschlichen Körpers weitesgehend ausgereizt, was sich auch darin zeigt, dass der Rekord im High Diving seit nunmehr 20 Jahren Bestand hat. Für die Philosophie des Sport kann die Augmentation des Höher, Schneller, Weiter daher nicht gelten, es sei denn Doping und bioprothetische Aufstockung gehört zur Philosophie eines Spitzensportlers. Unvorstellbar, dass sich Gesunde darauf einlassen. Wohl allein die Paralympics werden hier auftrumpfen. Es fragt sich nur, warum sich „Behinderte“ in Zukunft die doch begrenzten Werkzeuge des Menschen bereitstellen lassen werden. Wie es auch schon Affen mit drei Armen gibt, werden hier wohl noch einige Überraschungen ins Haus stehen. Dem begrenzen Gedanken, dass nur Arme und Beine ersetzt werden, hatte ich ja schon in meinem letzten Artikel zur Philosophie der Prothetisierung eine denkbare Philosophie des Entgrenzens zur Seite gestellt, auch wenn dies durchaus kritisch geschah.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und nach wie vor würde ich mich freuen, wenn ihr den Artikel weiter gefällt, so er denn gefallen hat.

Norman Schultz

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Philosophie der biologisch-technischen Entgrenzung – weitere Gedanken zur Prothetisierung und Augmentation

Das Video erhebt schlussendlich die Erfahrung zur neuen Realität. Das ist natürlich philosophisch betrachtet Unfug, da Erfahrungen gepaart mit dem Denken bereits Realität bilden und es ohne überhaupt keine Erkenntnis geben würde. Die Idee allerdings, dass Erfahrungen verkauft werden, erweist sich als interessant, inwiefern diese Erfahrungsverkäufe sich aber von simplen Drogendeals unterscheiden sollten, eröffnet der Film nicht. Ohnehin besteht die menschliche Lebensqualität nicht unbedingt darin, auf einer Vergangenheit als Traumkissen zu ruhen, sondern besteht in der menschlichen Freiheit, sich für verschiedene Zukunften entscheiden zu können. Drogen geben diese Möglichkeit nicht.

Entgrenzen der menschlichen Ausstattung (Prothetisierung)

Allerdings ist es auch schwierig über die Zukunft nachzudenken. Das Internet ist so zum Beispiel in den stolzesten Zukunftsvisionen der 50er nicht in Ansätzen aufgetaucht. Es lassen sich viele Dinge andenken, ob wir aber die Zukunft, welche der Philosoph Aristoteles als das grenzenlose Meer, das von keinen Pflöcken begrenzbar sei, ertasten, ist eine Frage, die nur in der Zeit ihre Antwort finden kann. Dennoch können wir mutmaßen, dass die Entgrenzen ganz andere Level erreichen werden. Bedenken wir die Entgrenzungen der plastischen Chirurgie und der verlorenen Furcht vor dem Skalpell, dann erscheint es schnell plausibel, dass sich die Fragen nach der menschlichen Konstitution verändern werden. So gibt es mittlerweile einen Menschen, der sich freiwillig die Hand hat abnehmen lassen hat, um eine bionische Hand zu erhalten.

Die Szenarien der 90er verwiesen ja noch auf einen Kampf zwischen Maschinen und Menschen. Die Gegenüberstellung zwischen einer entgrenzten Entwicklung der Maschinen und deren künstlicher Intelligenz kulminiert im damaligen Zukunftsdenken schließlich in einer letzten Schlacht. Die Dystopie erzählt von dem Drama, dass der Mensch aus seinem Lebensprinzip heraus, aus seiner einzigen Freiheit, eine Gewalt entwirft, die ihm sonst immer nur als Natur gegenüberstand. Die Unberechenbarkeit besteht in den nur kalkulierenden und rechnenden Maschinen, die der Mensch selbst entwickelte. Während in früheren Generationen noch die Natur der unbekannte Dämon war, so sind es in den 90ern die Maschinen, die einfach nur den Menschen vernichten wollen.

Aber warum will die Maschine vernichten? Warum die Biologie aus der Materie verdrängen? Nur um dann bis in alle Ewigkeit mit sich selbst Schach zu spielen? Ist die Frage nach der Zukunft nicht viel eher die Frage nach bereits erwähnter technisch-biologischer Verschmelzung?  So verfasste Susan Blackmore, bekannte Memforscherin, doch Folgendes:

„Überall um uns herum vermehren sich Techno- Meme und bereiten sich darauf vor, die Kontrolle zu übernehmen. Sie selbst wissen es nicht, denn sie sind einfach egoistische Replikatoren, und sie tun, was alle egoistischen Replikatoren tun: Sie lassen sich kopieren, wo immer und wann immer es geht, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.“

Ahnungslose Blogger automatisieren bereits ihre Blogs, um das Web mit Informationen zu überschwemmen. Selbst dieser Blog wurde bereits auf English publiziert, ohne meine Erlaubnis. Es wird Content von Roboterarmeen produziert, von Programmen, die vernetzen und sinnlos vor sich hinbloggen. Nicht ohne Grund müsst ihr bereits überall diese Sicherheitsabfragen eingeben. Dennoch wird es kein Kampf zwischen Mensch und Maschine werden, denn die letzte Sinndimension hält noch der Mensch als Schöpfer aus Freiheit. In Ahnlehnung an Dawkins‚ Theorie von den Memen (das sind kulturelle Minimalinformationen, die allein durch Anwesenheit überleben – Beethovens erste Motivgruppe der fünften Synfonie zählt beispielsweise dazu) entwickelt Blackmore den Gedanken der Teme.

Blackmore sieht bereits das Zusammenspiel von Temen, Memen und Genen voraus. Daher ist es wahrscheinlicher, dass Menschen sich zu einer Symbiose mit Maschinen erweitern und die biologischen Grenzen zu geteiltem Wissen im Netz erweitern. Die Entgrenzung erfolgt daher in beide Richtung: sowohl in die technische als auch in die biologische Richtung. Die Freiheit des Menschen gewinnt mit der zunehmenden Kontrolle der Kausalität zunehmend mehr Spielräume im Universums bleibt aber auf das Universum zurückverwiesen. Das Universum gewinnt sich zunehmend am Menschen.

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Die Zukunft der Menschen? (Foto: steevithak)

Wie muss die Entgrenzung aber gedacht werden? Ist es eine bloße Replikation von Körperorganen, die den Organen selbst nachgeahmt werden oder steuern wir auf eine Welt der Individualkörper zu? Es ist gut denkbar, dass die angestammte Menschästhetik nicht alle Individuen als notwendig schön erachten, so beobachten wir ja auch vollständige Körpertätowierungen, die der Unfreiheit der menschlichen Haut ein ästhetisch künstliches Pendant entgegen setzen. Kugeln, die sich Menschen unter die Haut transplantieren und körperfeindliche Selbstverstümmlungsrituale offenbaren Wünsche, sich von fleischigen Manteln in Entgrenzung zu entledigen. Und hatte nicht auch schon Hugo Ball seine öffentliche Selbstverstümmlung als Entgrenzung des menschlichen Geistes gefeiert? Seine Philosophie lautete „Mit dem Herz auf der Stirn und der Tinte unter Haut“. Entgrenzen wir also schließlich mit der modernen Bionik die Sinne?

In einem Forum zur Frage was Blindheit sei, erklärte ein Blinder, was für ihn Sehen bedeute. Hinter seiner Blindheit dürften wir so keine schwarze Leere vermuten. Er erklärt, dass wir versuchen sollten, durch unseren Hinterkopf zu sehen. Was sehen wir also dabei? Dies wäre die Erfahrung eines Blinden. Und so müssen wir überlegen, dass unsere sinnliche Erfahrung entgrenzbar ist. Stellt euch vor, ihr habt nochmal ein drittes Auge und dann noch eine Auge und insgesamt einen Zirkel an Augen um euren Kopf herum. In der Folge Augen, die das Internet als Gegenwartsbewusstsein seiner selbst besitzt – überall. Nehmen wir an, eure gesamte Sinnlichkeit würde sich bewusst auf EINE räumliche Welt beziehen und diese Welt hätte keine Grenzen. Diese spezifische Welt wäre keine genuin menschliche mehr, aber vielleicht dem Wesen des menschlichen Geistes, der menschlichen Philosophie gemäß? Die Welt würde Wille werden. Ohne philosophisch-ethische Bedenken sind diese Gedanken nicht durchführbar (Dies war das Thema meiner Magisterarbeit). Sollen wir uns letztlich entgrenzen? Ist es vielleicht schließlich nur Lebensglück, das uns bestimmen sollte? Sollten wir in einer Philosophie der Enthaltsamkeit uns wieder um Lagerfeuer versammeln und in Höhlen wohnen? Ich glaube kaum und schließe daher mit Schopenhauer:

„Ein glückliches Leben ist unmöglich: das Höchste, was der Mensch erlangen kann, ist ein heroischer Lebenslauf.“ (Artur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung)

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Vielen Dank

Norman Schultz

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Grenzen des Körpers – Philosophie der Prothetisierung


Es heißt, wenn die Frau aus den 70ern Steve Austin laufen sah, brauchte sie sofort eine Zigarette. Heute ist der 6 Millionen Mann als eine Ikone des Laufens in Zeitlupe bekannt. Steve Austin läuft an den Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit. Wenn wir früher auf dem Schulhof miteinander rangelten, dann machten wir immer die obligatorisch futuristischen Geräusche, die stets den Gebrauch seiner bionischen Körperteile begleiteten: »TCHtchtchtch TCHtchtchtch«. Allein diese Studien zum Gebrauch von Bionik haben sich in unser kollektives Gedächtnis gebrannt. Aber noch mal zur Erinnerung: Wer war Steve Austin überhaupt?

Steve Austin, astronaut, a man barely alive. Gentleman! We can REBUILT him. We have the technology. We have the capabality to make the worlds FIRST Bionic man, Steve Austin will BE that man, better then he was before … BETTER! STRONGER! FASTER!

Nach einem lebensbedrohlichen Absturz hat Steve Austin schwere Verletzungen erlitten, doch anstatt ihm ein eingegrenztes Leben zuzumuten, entscheidet sich das amerikanische Militär, Steve Austin zu einem Cyborg erster Güte umzurüsten. Die Beine, der rechte Arm und sein Auge werden durch bionische Körperteile ersetzt und machen ihn zu einer unbesiegbaren Waffe, die nun als 6 Millionen Dollar Mann durch die 70er Jahre läuft.

Günstig, Günstig – Die 6 Millionen Dollar Familie (Bionik mit Rabatt)

„Moment mal!“ schießt es einem dabei durch den Kopf. „6 Millionen Dollar?“ Selbst wenn wir einen Inflationsrechner bemühen, dann würde Steve Austin heute 24 Millionen Dollar kosten, kaum vorstellbar bei den Preisen für künstliche Hüften schon. Doch tatsächlich, es geht noch billiger:

Eine ganze Familie also mit bionischer Ausstattung und das zum Schnäppchenpreis von 6 Millionen Dollar. Da fragt man sich doch, von welchem Trödelmarkt diese Teile zusammengekauft wurden. Hier das ganze noch mal wegen der guten Musik auf English:

Eines ist jedenfalls klar, die amerikanische Krankenversicherung ist dafür nicht aufgekommen. Zu dem Preis muss der „geniale Wissenschaftler“ wirklich genial gewesen sein. Er generierte mit den Mitteln und Möglichkeiten eine unschlagbare Elitekampftruppe. Nicht auszudenken, was er mit den 300 Milliarden Etat für die Verteidigung der USA anstellen würde.

Prothetisierung des Menschen (die Grenze der Körperphilosophien)

I am a cyborg

Gut, was soll das Ganze jetzt? An der Sache ist nun interessant, wie unbedarft wir eigentlich mit der Prothetisierung des Menschen umgehen. Im Grunde genommen fragt sich doch, inwiefern der Mensch eigentlich noch Mensch ist, wenn sein gesamter Körper einem Austausch von technischen Apparaturen zum Opfer gefallen ist oder überhaupt was von der äußeren Natur verändert werden kann, ohne die innnere Natur zu gefährden.

Soviel zur Klärung: Im Fall von Steve Austin und den Bionic Six haben wir es noch mit Cyborgs zu tun, die je nach dieser Definition übrigens 10% der heutigen amerikanischen Bevölkerung ausmachen (Siehe Hayles, K.: The Life Cycle of Cyborgs: Writing the Posthuman. In: Chris Hables Gray (Hrsg.): The Cyborg Handbook. New York/London 1995: 321–335). Wirklich schockierend ist das nicht. Demgegenüber aber waren die Bösen dieser Serien dann immer durch Androiden verkörpert, also reinen Robotern, die jedoch meist kaum mehr von Menschen zu unterscheiden waren. Der Terminator von James Cameron etwa symbolisierte die „Schreckensphantasie“ einer gewissenlosen, gnadenlosen Kampfmaschine ohne moralischen Sinn, aber doch in Menschengestalt. Der philosophisch-moralische Gedanke, der sich hier verbirgt, ist der: So lange noch ein Mensch, die Apparaturen unter Kontrolle hat, die Technik nicht ihr Eigenleben entwickelt, kann die Welt funktionieren. Die simple Unterscheidung lautet: Gut ist der Mensch, die Technik aber Böse. So war auch der schockierenste Moment der 70er folgende 6-Millionen-Dollar-Mann-Episode:

Neben der grandiosen Musik von damals schauen wir uns den lächerlichen Kampf mit den weit ausholenden Schlägen der 70er an. Dennoch die Szene zählte damals zu den „high shocking moments“ wie aus einigen Kommentaren hervorgeht. Zum Beispiel:
„The episode where Steve knocks off the robot’s face was a very disturbing scene back in 1974 and scared me to death.“, „I literally panicked when I saw the faceless robot.“ oder „I was just a tot when this aired but I remember having all sorts of faceless people in my dreams after watching that.“

Die gesichtslose Technik als Bedrohung

Die aufkommende Panik legt eine tiefe Verknüpfung zu unserem Gattungsverständnis nahe. Gesichtslose Roboter, die uns bis in die Träume hinein verfolgen, können doch nur Böses wollen, das heißt nicht nur uns, sondern uns als Menschen überhaupt vernichten. Gesichtslose Roboter sind nämlich bedrohlich, weil sie keine Menschen mehr sind. Sie haben nicht mal mehr Gesichter als Identifikationsflächen.

Welche unterschwelligen Minderwertigkeitsgefühle werden wohl transportiert, wenn wir einer größeren Macht hilflos unterlegen wären? So zehrt zum Beispiel Steven Spielgbergs Film „War of the Worlds“ gerade doch davon, dass die Menschen mit all ihrer Technologie hilflos gegenüber einer anonymen (gesichtslosen), außerirdischen Macht stehen. Die Menschen werden ohne überhaupt zu erfahren warum, einfach nur vernichtet.

Die Philosophie der bedrohlichen Übertreibung aus der Zukunft

Die Serie „6 Million Dollar Man“ versuchte diesen Status des spektakulär, befremdlich Futuristischen aufrecht zu erhalten und brachte immer abstrusere Geschichten hervor. Im Folgenden kann ich daher auch nicht den wohl abgedrehtesten Plot der Filmgeschichte vorenthalten:

Steve Austin verteidigt sich gegen Verdächtigungen. Außerirdische, die seit 250 Jahren hier seien, hätten sein Gedächtnis gelöscht und würden mit einem Augenblinzeln durch die Zeit reisen, nebenbei haben sie Big Foot entführt. Sie wollen Big Foot benutzen, um ein energetisches Schutzschild zu bauen. Darüberhinaus verabreichten sie Steve eine Wunderdroge (Neotraxin), was alle Krankheiten heilen kann. Zudem haben sie den Boran 3 gestohlen, der soweit ich mich erinnere, ein gefährlicher Super-Panzer war. Ach, ich will diesen super-abstrusen Brei nicht erklären. Seht selbst! Nur so viel voraus in der Grundschule ergab das alles Sinn:

Die Serie war im Übrigen viel erfolgreicher als Raumschiff Enterprise, die bereits nach 3 Jahren wegen mangelnder Quoten abgesetzt worden war. Die Absurdität hatte damals Konjunktur (was ich für heute auch nicht unbedingt leugnen will). Was mit den Science-Fiction-Serien aufkam, war die Idee, dass wenn wir aufgrund unserer Natur bestimmte Grenzen nicht überkommen können, dann doch wohl durch eine technische Ausstattung, die wir uns direkt implantieren. Die Philosophie der Prothetisierung war geboren. Damals machte ja noch die erste Herztransplantation Furore, die den Chirurgen in Amerika selbst zum Superstar werden ließ. Auch die künstliche Befruchtung gehörte neuerdings zum technisch Machbaren und daher zum medizinischen Inventar. Dementsprechend weit und ohne viel Beachtung von philosophisch-ethischen Aspekten gingen daher die Autoren auch mit einem meiner Lieblingscharakter vor: Dem Coolsten Typen überhaupt Goose von den GALAXY RANGERS:

Galaxy Rangers English

Galaxy Rangers Deutsch

Dass Shane Gooseman als genetische produzierte Lebensform aus dem Erbmaterial von Menschen gewonnen worden war, hatte damals kein Aufsehen erregt. Und es war eine Kindersendung. Goose entstammte einem genetischen Experiment der Regierung. Dabei konnte er sich vor einer Vergasung, die die Mutation bei den „Testobjekten“ beschleunigen sollte, in Sicherheit bringen. Die anderen Testobjekte waren danach stärker, was ihre Fähigkeiten anbelangte, aber auch aggressiver und damit für das Militär nutzlos. Goose kam frei unter der Auflage, einer Spezialeinheit, den Galaxy Rangers, zu helfen, die neuen Grenzen der Galaxis zu verteidigen und die anderen Versuchsobjekte in die Gefangenschaft zu übergeben (die im Übrigen aus Einfrosten bestand). Goose, als genetisch überlegen, konnte nun seine äußere Gestalt kontrollieren und sich an die unterschiedlichsten lebensfeindlichen Milieus anpassen. Er konnte vor allem eine schier unbesiegbare Gestalt annehmen.

Philosophisch-Ethische Bedenken?

Wenn wir früher auf dem Schulhof wählten, wer wir denn von den Galaxy Rangers sein wollten, so wählten wir stets Goose, ohne überhaupt ethische Bedenken zu haben. Genetische Veränderung? Pah! Na klar, wollten wir diese haben. Warum nicht von seinen Eltern besser ausgestattet werden und schneller, höher, weiter kommen als alle anderen? Stattdessen haben wir einiges an Erbkrankheiten, krumme Nasen und Beine erhalten.

In meinem anderen Beitrag zur Die Stellung der Philosophie gegen Prothetisierung und genetisches Entgrenzen beleuchte ich die ethische Dimension dieser Fragestellung. Vor allem das Argument von Jürgen Habermas gegen genetische Modifikation und pränatale Selektion spielt dort eine Rolle.

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