Sehen - eine entgrenzbare Grenze (Foto: h.koppdelaney)
In meinem ersten Artikel über die Grenzen unseres Sehens hatte ich ja bereits dargestellt, dass die Welt nicht aus Bildern besteht. Dies ist ein Aberglaube, der sich aus Sicht der Philosophie nicht halten lässt. Die Welt ist keine Fotostrecke, die unser Gehirn als Digitalkamera fotografiert und in einem Kasten abheftet. Vielmehr ist jedes Bild eine beständige Erzeugungsleistung unseres Denkens. Das Bild wäre ein zu begrenzter Gedanke. So ist eine Rose nicht ein Bild, sondern das Ganze ihres Seins.
In ähnlicher alltäglicher Ablehnung behandeln wir wiederum die Behinderung. Wir glauben oftmals, dass die Fülle und Unbegrenztheit des Seins nur aus der Vollständigkeit der Sinne ableitbar wäre. Taubblinde Menschen lehren uns daher den philosophischen Wert unserer Gedanken. Sie lehren uns Entgrenzen. Wie ich bereits in einem anderen Artikel darlegte, gibt es unter Menschen eigentlich keine Behinderungen, sondern nur angebliche Normalitätsgrade. Im philosophischen Denken sind die angeblich „Begrenzteren“ näher an der Philosophie, weil sie bereits die wesentlichen Kulissenwelten der eigenen Körperlichkeit oder auch der eigenen Sinne in Auseinandersetzung mit den angeblich Normalen umgehen müssen.
So gibt es für uns „Normale“ Unglaubliches, Beeindruckendes, Faszinierendes, weil es Menschen gibt, die zum Beispiel ohne unsere Alltagsideologie des bildhaften Seins existieren können. Ich meine Blinde und spreche zum Beispiel vom Fledermausmann:
Okay, Verzeihung! Ein kleiner Witz meinerseits, aber auch schon ein Verweis auf den Superheldenbeitrag, den ich bald schreiben werde (eine Vorsuperheldenstimmung macht sich breit). Hier also der richtige Fledermausmann:
Trotz Blindheit kann er also Radfahren und sich orientieren. Das Echolotverfahren erlaubt dabei ähnlich wie bei der Fledermaus eine Abbildung des Raumes. Aus dem Gegegenen wird durch ein wie auch immer geartetes „Denken“ (aktiv oder passiv) ein Bild erzeugt.
Sehen heißt Denken
Wie können wir uns das also bei einem Blinden vorstellen? Wir könnten auch in Anspielung auf Nagels philosophischen Aufsatz „What is like to be a bat?“ fragen: „How is it to be like a Batman?“ Diese philosophische Frage des Blinden allerdings können wir leichter beantworten als die Fledermausfrage, da wir hier noch innerhalb der Grenzen der menschlichen Natur sind.
Blinde sind noch erforschbar: Es gibt zum Beispiel Fälle, wo Menschen vermittels technischer Apparaturen Geräusche auf die Ohren gespielt bekommen, wobei die Geräusche durch unterschiedliche Lautstärken das Umfeld abbilden sollen. Diese Blinden berichten nach einiger Zeit der Anwendung von ähnlichen Eindrücken, wie sie diese früher beim Sehen empfunden hatten. Andere Apparaturen übertragen die Reize auf die Zunge und erzeugen ebenso „Bilder“ im Kopf oder zumindest, was wir in der Regel für Bilder halten. Sehen entspricht nämlich , so viel können wir nach diesen Experimenten sagen, nicht einfach nur einer sensitiven Reizung von Auftrittsflächen, was Evidenzen erzeugt, sondern das, was Sehen ist, ist eine innere Rekonstruktion, die wir vielleicht nicht aktiv mit vollziehen, die aber doch, ganz Kantisch gedacht, in uns erzeugt wird. Sehen ist demnach eine Art von Denken.
Was heißt Sehen philosophisch?
Wenn wir nun fragen, wie wir hier eigentlich Sehen erzeugen, so würde eine Kantische Antwort so ausfallen: Wir reproduzieren das Gegebene nach Aufnahme wieder und wieder, erkennen es im Begriff und haben so eine klare Verknüpfung, die als Gegenstand immer schon in der Welt ist. Was uns Kant hier in einer doch strengeren Deduktion zeigt, ist eine tiefgehende Einheit zwischen gegebener Wirklichkeit und Sprache, anders gesagt, zwischen so genannten Bildern und Sprache. Diese Unauflösligkeit ist mit Sicherheit eine Grenze der Philosophie kann aber in einer letzten transzendentalen Wendung wenigstens angedacht werden. Das heißt (um zu unserem Rosenbeispiel zurückzukommen) wir verstehen die Rose nicht unmittelbar, sondern nur so, wie wir sie als Gegenstand erzeugen. Die Rose ist kein Bild. In diesem Fall lehrt uns die Erfahrung, die ja keineswegs ein Bild ist, dass eine Rose, entsteht, wird, vergeht und stirbt. Wir verknüpfen. Das Sehen ist also als inneres Sehen ein Verstehen, das uns immer begleitet und ohne das wir nicht sein können. Aus diesem Grund verstehen auch Blinde zu gut, was Sehen heißt. Sehen heißt Denken.
Die Blindheit ist vorbei, sobald wir erkennen, dass Blinde als Menschen nicht wirklich blind sind.
Ein Blinder, der sehen kann
Ziehen wir hierzu noch das viel beeindruckendere Beispiel heran: Er kann Videospiele spielen, Skaten, Gegenstande ausfindig machen, Objekte klassifizieren. Er unterscheidet sich kaum von Sehenden.
Was ist Philosophie?
Wir müssen die Grenze des Sehens ausweiten und nach dem wirklichen Sehen forschen und nachphilosophieren. Nein, ich will hier nicht propagieren, dass wir in uns selbst zurückgehen müssen, aber doch soviel sagen, dass wir mit dem Glauben an die Sinne die Problematik der Sinnlichkeit noch gar nicht berühren. Diese vorliegenden Geschichten lehren uns daher zunächst eines: Wir müssen über unsere physischen Grenzen hinaus denken und zu den tatsächlichen Erzeugungsleistungen unserer Vernunft einkehren. Es geht nicht um Sinne, sondern um Sinnlichkeit und schließlich um Sinnhaftigkeit. Die bildlichen Grenzen eines Körper sind daher niemals Grenzen seiner Bedeutung. Und so ist auch der Mensch als bildlich gedachte Natur nicht in seiner Bedeutung erfasst. Die gegebene menschliche Natur ist immer eine Herausforderung, das Unmögliche möglicher zu machen und das heißt sich überwinden, verwinden und sich selbst ständig als sich Erneuernder zu begreifen. Dieses aber geschieht in einer Aneignung der eigenen Grenzen – dies aber ist die höchste Form der Philosophie und mit diesem Artikel beginnen wir erst die kleine Sehschule. Physische Blindheit oder gar Taub-blindheit ist hierbei keine Grenze mehr. Philosophieren kann daher jeder.
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In den letzten beiden Interviews ging es um das Phänomen der multiplen Persönlichkeit. In diesem Beitrag geht es um die wahre Geschichte, die hinter diesem Phänomen der multiplen Persönlichkeit steckt. Jede Persönlichkeit von Sophie Stein hat einen eigenen Handlungs- und Erinnerungsradius, den sie, Sophie Stein, selbst als eigenständige Persönlichkeit erlebt. Jede dieser 377 Persönlichkeiten hat eine eigene Geschichte, die grausame Schicksale offenbaren. Es muss darüber gesprochen werden. Es geht darum das Leid der Betroffenen im Fokus der Öffentlichkeit zu halten, damit es nicht wie viele andere Themen im Hintergrund verschwindet und die Täterkreise weiter wirken können. Es muss auch normal sein, dass Betroffene sich äußern können, ohne Repressionen zu befürchten. Dies ist leider in vielen Fällen keine Realität und kann nur durch breite Aufklärung abgeändert werden. Zumindest gehört Mut dazu, sich öffentlich zu Wort zu melden wie es Sophie Stein oder Norbert Denef tun und wir können nur hoffen, dass die breite Front der Betroffenen sich schließt und die Politik zu aktiverem Handeln zwingt. Eines der wirksamsten Mittel gegen die Täter ist Öffentlichkeit.
Im Folgenden sehen wir, wie ich mich kurz mit Michi, einer Innenperson von Sophie Stein unterhalte. Michi berichtet von einem der Vorfälle, die Sophie Stein als Gesamtperson in der Kindheit zugestoßen sind.
Wir können immer noch fragen, warum kann die Politik die Verjährungsfristen für sexuellen Missbrauch nicht aufheben? In Anbetracht der massiven Folgen für die Betroffenen wie kann es sein, dass solche Straftaten irgendwann nicht mehr verfolgt werden?
Die Öffentlichkeit der Verbrechen suchen Foto:JarleR Jarle Refsnes
Fälle wie die des Jürgen Scherr sind dramatisch. Von seinem Großvater seit dem vierten Lebensjahr gefoltert, wird Menschen wie Jürgen Scherr ein geregeltes Leben auf immer versagt. Mehrere Mordversuche, Missbrauch jeglichen Vertrauens, sexualisierte Gewalt von mehreren Tätern an Kindergruppen machen auch nicht Betroffene betroffen. Um so tragischer, dass unsere Gesellschaft kaum diese Vergehen zur Sprache bringt und die Täter nicht zur Verantwortung zieht. Dies ist ein Verbrechen, das die Gesellschaft an sich selbst verübt. Wo werden an journalistischer Stelle diese Geschichten aufgearbeitet? Aber nich nur dass unsere Gesellschaft die Straftaten nicht zur Sprache bringt, auch unsere Justiz bringt die Täter nicht vor Gericht und gesteht den Betroffenen keine „angemessenen“ Entschädigungszahlungen zu. Ein zweiter entwürdigender Kampf der Betroffenen mit den Behörden beginnt.
Wegen der massiven Schädigungen in der Kindheit sind die Betroffenen oftmals nicht in der Lage ein geregeltes Leben zu führen. Die Folgen sind Schwerbehinderung, geringe Renten und Altersarmut. Dies ist nicht gerecht.
Aber nicht nur die Schwere der Taten muss im Mittelpunkt stehen, von denen nach Auskunft des Ärzteblattes 1,9 Prozent der Kinder betroffen sind. Auch die dort genannt „minder“ schweren Straftaten haben dieselbe psychische Belastung für die Betroffenen. Vor allem die wiederholte sexualisierte Gewalt im kindlichen Umfeld, der Missbrauch des Vertrauens schädigt tief. Daher sind die Zahlen dramatisch. 12,6 Prozent unserer Gesellschaft sind Betroffene und haben mit den schweren Folgeerkrankungen zu kämpfen, wofür unsere Gesellschaft nicht einmal bereit ist, ein vernünftiges therapeutisches Angebot zu schaffen.
Aufgrund der mangelnden Aufarbeitung können Täterzahlen nur grob geschätzt werden. Die geringen Zahlen an Verurteilten zeigen aber, dass unsere Justiz diese Vergehen nicht wirklich interessiert (vgl. http://www.bpb.de/files/O92PEY.pdf). Um so wichtiger ist es daher, dass sich Betroffene zusammenschließen. Sexualisierte Gewalt gegen Kinder ist ein Verbrechen, was nicht einfach nur hier oder dort mal passiert, sondern es durchsetzt unsere Gesellschaft. Daher möchte ich darum bitten in einer Blogparade Vergehen zu dokumentieren, weiter zu reichen, öffentlich bekannt zu machen oder anderweitig auf netzwerkB zu verweisen. Wie ich dies bereits in den Beiträgen zur multiplen Persönlichkeit mit Sophie Stein gemeinsam tat, möchte ich darum bitten, Blogbeiträge zu diesem Thema bis zum 01. September einzureichen und auf www.netzwerkB.org zu verlinken. Ob indirekt oder direkt betroffen, wir teilen dieselbe Gesellschaft, die so nur eine kranke Gesellschaft sein kann.
Das Thema des Blogbeitrags zur sexualisierten Gewalt ist euch weitesgehend frei gestellt, ich möchte allerdings darum bitten, auf die Abstimung zum so genannten Panterpreis der TAZ zu verweisen und dazu aufzurufen für Norbert Denef und das von ihm gegründete netzwerkB zu stimmen. Wie glaubt ihr kann sich die Gesellschaft hier nachhaltig ändern. Wo seht ihr das Problem. Wie könnte Betroffenen geholfen werden? Warum reagiert die Politik nicht? Es ist an keiner Stelle einfacher etwas zu verändern, wenn wir einfach unsere Aufmerksamkeit auf die Täter richten und uns für den Schutz der Betroffenen einsetzen. Daher hoffe ich, auf rege Beteiligung, denn eins ist wichtig: Das Thema darf so lange nicht aus unserem Fokus verschwinden, so lange noch Täterunter uns sind.
unverbindliche Bedingungen der Blogparade:
– Bitte sendet mir euren Beitrag in einem Kommentar
– Verlinkt auf www.netzwerkB.org und auf die Abstimmung zum TAZ-Preis bis zum 01. September
– Bitte fordert andere Blogger auf, sich an dieser Blogparade zu beteiligen und so das Thema als gesellschaftliches Problem, in den Vordergrund zu rücken.
Aber auch wenn ihr keinen Blog habt, solltet ihr für netzwerkB und Norbert Denef stimmen:
Bis zum 3. September 2011 könnt ihr noch wählen.
In diesem letzten Abschnitt möchte ich nochmal auf die Wichtigkeit dieser Beiträge verweisen. Ich möchte zeigen, dass es sich um ein noch bei weitem unterschätztes gesellschaftliches Problem handelt:
Nach Angaben des statistischen Bundesamt gibt es im Jahr 2010 937 Veruteilte wegen schwerem sexuellem Missbrauch (http://www.bpb.de/files/O92PEY.pdf). Vergleichen wir diese Zahlen im Hinblick auf die erwähnten 1,9 Prozent schweren sexuellem Missbrauch und gehen wir davon aus, dass nicht nur diese spezifische Kohorte (die Jugendlichen bis 14 Jahren) in der Weise betroffen ist, so können wir 2.132.000 Betroffene schwerer sexualisierter Gewalt allein in Deutschland schätzen. Allein diese erste sehr grobe Schätzung zeigt ein schweres Missverhältnis zwischen tatsächlich Betroffenen und Verurteilten. Nun kommt erschwerend hinzu, dass die gerichtliche Abschätzung von schwerer sexualisierter Gewalt keineswegs ebenso schwere Vergehen hinzuzählt wie beispielsweise die sexualisierte Gewalt, die sich über Jahre hinweg zieht, mit angeblich minderschweren Folgen, da physisch nicht ersichtlich. Auch hier besteht ein grobes Missverhältnis. Betroffenenverbände gehen hier von weit über 10 Millionen Betroffenen sexualisierter Gewalt in der gesamten Bundesrepublik aus. Auch das Ärzteblatt listet 12,6 Prozent. Hierbei handelt es nicht um kleinere Vergehen, sondern all zu oft auch um jahrelange sexualisierte Gewalt, die schwere Traumata zur Folge hat. Die Zahlen von Verurteilten stehen auch hier in einem groben Missverhältnis. An der geringen Zahl von nur 4 440 Inhaftierten wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung können wir ablesen, dass unsere Gesellschaft sich in extremer Schieflage befindet. Schätzen wir wiederrum ganz grob, dass für jeden Betroffenen ein Täter in Frage kommt und dass Verurteilte 10 Jahre im Durchschnitt in Haft sind, so haben kommen wir auf eine Tataufdeckung von 0.2 Prozent (Hierbei handelt es sich um einen ersten groben Schätzversuch. Genauere statistische Berechnungen müssten folgen.) Diese Zahlen sollten uns alarmieren, denn es wird offensichtlich, dass unsere Gesellschaft so gut wie nichts gegen sexualisierte Gewalt unternimmt und dies sollten wir ändern. Daher bitte ich nochmals um Beiträge auch von Blogs, die sich bisher nicht mit diesem Thema beschäftigt haben.
Vielen Dank Norman Schultz
Blogbeiträge: Einen ersten Beitrag hat Maja von Pusteblumenbaby verfasst, die nochmals darauf hinweist, dass es wichtig ist, dieses Thema in der Öffentlichkeit zu halten. Vielen Dank
Die Welt ist dominiert von Spekulationsblasen in allen Bereichen (Foto:Hartwig)
Die Leistungskraft der Reichen zeigt sich in höheren Löhnen wieder. Diese Philosophie ist, wie ich im letzteren Artikel zu den Grenzen des Reichtums gezeigt habe, auch insofern legitim, als dass die Leistung des Einzelnen, die nur im Rahmen der Gesellschaft möglich ist, immer auf die Gesellschaft zurück bezogen bleibt. Es kommt auf eine soziale Kosten-Nutzen-Rechnung an, ob Reichtum gerecht ist oder nicht. Das heißt, vor allem die Frage, was kann eine Gesellschaft an Reichtümern zulassen, steht im Mittelpunkt. Wieviel kostet der Reiche die Gesellschaft und wieviel gibt er der Gesellschaft vor allem mit der Erwirtschaftung seines Reichtum zurück? Was sind die Grenzen seines Reichtums? Zur Beurteilung dieser Frage spielt dabei eine geringere Rolle, ob ein Reicher spendet. Um dies zu verdeutlichen mal folgendes Beispiel: Angenommen ein Gaddafi, der reichste Mann der Welt mit geschätzten 80 Milliarden, spendet. Würden wir hier sagen: Immerhin einer tut etwas? Nein, denn dieses Geld hat er doch der Gesellschaft zuvor durch ungerechtfertigte Macht entwendet. Wie sich bei Gaddafi also die Frage nach seinem Vermögen stellt, so stelle ich bei jedem Reichen die Frage, wie er sein Geld verdient hat. Die philosophische Frage nach einer Wirtschaftsethik kommt also auf. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nicht aller Reichtum, den Gesellschaften heute als legal behandeln, tatsächlich moralisch ist. Gesellschaften müssen sich in Zukunft entscheiden, was Reichtum sein soll. Dies ist vor allem eine Frage der Gerechtigkeit, die kein Volkswirtschaftswissenschaftler ohne philosophische Überlegungen beantworten kann. Doch genauso wie die Volkswirtschaftswissenschaftler sich auf die Philosophie zu bewegen müssen, möchte ich mich umgekehrt auf die Volkswirtschaftslehre zu bewegen. Wie verdient der Mensch also?
Externalisierung von Kosten in die Natur
Die meisten Superreichen haben nicht nur von der Gesellschaft ihre Reichtümer erwirtschaftet, sondern auch in zweifacher Hinsicht aus der Natur entlehnt. Einerseits sind Rohstoffe zumeist das Rohmaterial zur Wertschöpfung. Eine Ausbeutung der Natur kann dabei eine große Rolle spielen (dies hatte ich bereits in meinem Artikel zum Externalisierung der Industrie von Risiken in die Umwelt dargestellt); andererseits ist auch der höhere Ressourcenverbrauch eines Reichen bedenklich. Zwar ist zumeist in den gehobenen Einkommensklassen ein höheres Umweltbewusstsein vorhanden, paradoxer Weise schlägt sich das allerdings nicht in der CO2-Bilanz nieder. Der arme Umweltrowdy ist da leider dem umweltbewussten Oberschichtler überlegen, weil er einfach weniger verbraucht. Der Reiche erbeutet und verbraucht also und erschwert damit die Zukunft der Menschen. Einen Verdienst erkenne ich dabei zunächst selten.
Reiche verbrauchen, ohne dass sie es bemerken. Dabei ist ihre größte Wertanlage der Planet. Allerdings ist am Planeten nicht die wirtschaftsethische Philosophie im Vordergrund, sondern der kurzfristige oder mittelfristige Gewinn dominiert das Geschehen. Aber kümmert dies notwendig den Reichen? Es ist davon auszugehen, dass bei etwaigen Umweltkatastrophen durch angehäuften Reichtum auch die Zukunft der reichen Kinder gesichert ist. Gerecht ist das nicht, denn als Menschen haben wir ideal alle die gleichen Rechte. Dieses ist nicht abhängig vom Verdienst gerät aber auch durch ungerechtfertigten Reichtum in Schieflage.
Kann es eine gerechte Gesellschaft geben?
Nun mag die Argumentation lauten: Insofern wir alles gleich verteilen würden, dann hätten wir vielleicht morgen, vielleicht übermorgen und wenn nicht, dann überübermorgen wieder dieselbe Verteilung. Wir würden irgendwann wieder Reiche und Arme haben. Dieses aber liegt nicht an individuellen Vorzügen der Reichen, sondern an systematisch günstig besetzten Positionen. Um das mal ganz einfach zu sagen: Es ist schon sehr wichtig, an welcher Stelle ich mich in einem System wieder- oder auffinde. Wäre ich im Kongo geboren, würde ich diese Zeilen hier mit aller Wahrscheinlichkeit nicht schreiben (was für den ein oder anderen eine Erleichterung sein mag, den ein oder anderen aber auch überhaupt nicht juckt – vor allem die im Kongo). Ich hatte schon an der Biografie eines Managers die Schwierigkeit aufgezeigt, einen Beweis, dass bestimmte Eigenschaften notwendig zu Erfolg führen, zu erbringen. Zum Erfolg gehören im Durschnitt immer noch Beziehungen, eine gut betuchte Familie und Glück. Das heißt nun nicht, dass ein Einzelner es nicht auch anders schaffen kann, ob er es aber aufgrund von hervorragenden Eigenschaften schafft oder ob Glück im Spiel ist, lässt sich wissenschaftlich nicht am Einzelfall bestimmen. Meines Erachtens zeigen uns daher all diese Überlegungen, dass die Stelle, die wir im System einnehmen, eher eine Bedeutung hat, als spezifische Charaktereigenschaften und daher ist die nicht wünschenswerte Anballung von amoralischen Reichtümern eine Systemfrage (dennoch bezweifle ich nicht, das bestimmter Reichtum, die notwendigen Voraussetzungen von Charakterstärke enthält. Dies heißt aber nicht, dass jeder der Charakterstärke hat, es schafft, sondern nur umgekehrt, dass wer keine Charakterstärke hat, es mit Sicherheit nicht schafft.) Das heißt für mich ist oben und unten durch ein System bedingt und nicht unbedingt durch Leistung. Wer das System in Ansätzen versteht, hat Vorteile; nicht wer etwas leistet, schafft es notwendig. So ist es auch zu erklären, dass unsere Bildungselite nicht mehr in die Leistungsberufe investiert, sondern sich in Wirtschaftsschulen überlegt, wie Geld anzulegen sei. Die Systemfrage nach dem Reichtum kann daher auf den volkswirtschaftlichen Bereich des Geldes bezogen werden.
Geld
Geld hat Vorteile, aber es bringt auch erhebliche Nachteile mit sich. Das tatsächliche Wesen des Geldes ist nur sehr schwer zu erfassen. Wer weiß schon, wo es her kommt? Ein paar Zahlen auf dem Konto, ein paar Papierfetzen und Metallstücke in der Hand. Aber überlegen wir mal, hätte in unserem System niemand Geld, wer sollte es zunächst bekommen? Nun bei Wikipedia heißt es dazu:
„Geld kann durch das Zusammenspiel von Zentralbank, Kreditinstituten, Unternehmen, privaten Haushalten und öffentlicher Hand geschaffen werden. Der häufigste Weg der Geldschöpfung basiert auf der Gewährung von Krediten. Bargeld (Münzen, Banknoten) kann nur von der Zentralbank geschaffen werden, Buchgeld auf Sichtguthabenkonten (Giralgeld) sowohl von der Zentralbank wie auch den Kreditinstituten.“
Da ich mich noch der Thematik annähere, halten wir das Ganze mal zunächst einfach:
Geld – ein Phänomen der dritten Art
An dem Video stört mich die eindeutige Personifizierung. Ich halte das ganze Finanzdebakel eher für ein Phänomen der dritten Art. Das heißt: Die Form des Geldes haben wir, weil viele Menschen sich zunächst für bestimmte Wertschöpfungsmechanismen unter Berücksichtigung ihrer Interessen entscheiden. In der Summe der Handlungen lässt sich dann makrosoziologisch ein gewisser Kapitalstrom messen, das heißt Menschen verwenden Geld, damit es Geld bringt. Diesen Kapitalstrom muss niemand der Akteure intentional wollen, er ist aber indirektes Produkt der Wechselwirkung der Akteure beim Austausch von Geld. Dies ist ein Phänomen der dritten Art.  Wir können uns dieser Phänomene nun bewusst werden. Auf der Ebene der politischen Hebel haben wir Möglichkeiten. Ebenso haben aber dann viele verschiedene Kräfte ein wirtschaftliches Interesse daran, dass dieser Kapitalstrom in genau dieser Weise erhalten bleibt. Dies sind politische Gegenhebel, die dort ansetzen. Gerade weil sich hier mit manchmal dubiosen Mitteln kurz- oder mittelfristig Wert schöpfen lässt, haben auch bestimmte Gesellschaftsschichten ein Interesse, dieses System zu erhalten. Es lässt sich aber hier kaum eindeutig identifizieren, wer für welches Geldwertesystem verantwortlich ist. Eindeutige Aussagen in diese Richtung halte ich für unseriös. Dennoch gehe ich davon aus, dass es sich um eine Form der organisierten Unverantwortlichkeit handelt. Das heißt Schuldanteile werden so weit reduziert, so dass jeden Akteur nur eine Minimalschuld betrifft, die gerichtlich irrelevant ist. Zum Vergleich kann unser Umweltverhalten herangezogen werden. Niemand würde beispielsweise Autofahren als kriminell bezeichnen, obwohl es im Aggregat zukünftige Generationen nachhaltig schädigt.
Wir können durchaus vermuten, dass gerade die Reichen deren Reichtum nicht durch die anfangs erwähnte soziale Kosten-Nutzen-Relation gedeckt ist, ein Interesse daran haben, dass ein ungerechtes System der organisierten Unverantwortlichkeit Bestand hat. Tatsächlich verurteile ich diese Form von Reichtum. Hier können mit gewissem Recht einige Reiche zur Verantwortung gezogen werden. Hier meine ich vor allem die Reichen, die die fehlerhafte Funktionsweise unseres Geldsystems manipulativ ausnutzen.
Was ist unser Geld als System?
Geld, das ist vor allem Sichtguthaben, das heißt Geld, dass wir auf unserem Bankauszug oder in Form von Banknoten sehen können. Wir können dieses bekommen, indem die Bank Kredite vergibt. Dafür brauchen wir Sicherheiten (Hypotheken auf Grundstücke, Wertpapiere Quelle: Wikipedia-Artikel „Geld“). Durch diesen Vorgang schaffen wir Geld. Wer bekam demnach in der Menschheitsgeschichte das erste Geld? Die, die schon Besitztümer hatten. Aber natürlich lässt sich auch anders Geld vermehren und zwar, wenn ertragreiche Industrie aufgebaut wird, die weiter mit Hypotheken oder ähnlichem belastet werden könnte. Daher ist es auch nicht unbedingt schlimm, wenn ein Staat sich verschuldet, solange die Bilanz stimmt. Wo ist nun aber das Problem?
Das Leben mit der Krise
Ungedeckte Wertschöpfung sind ein Problem. Werden Kredite vergeben, die nicht durch tatsächlich gute Hypotheken gesichert sind, so bläht sich eine Blase auf. Springt ein Anleger rechtzeitig ab, so hat er viel verdient, während die anderen Anleger, die den richtigen Moment verpassen unter die Räder kommen. Aus genau diesem Grund haben einzelne Anleger ein Interesse an Finanzblasen und letztlich gleicht es dann mit den Spekulationen auf Spekulationsblasen tatsächlich einem Finanzcasino. Diese Finanzjongleure sind für mich amoralisch. Bestimmte Finanzgeschäfte verbietet dieses Moralempfinden und mit solcherlei Finanztransaktionen würde ich persönlich niemals mein Geld verdienen wollen. Hier würde ich meine „mittelständische“ Armut jederzeit vorziehen. Aber schauen wir noch weiter, wie diese Finanzspekulation funktioniert.
Kapital der Banken
Die Kreditvergabe eines Kreditinstituts sichert das Eigenkapital und die Einlagen. Wie im Film gezeigt, verlangen selten alle Kunden ihr Geld. Daher kann die Bank Gelder verleihen, die eigentlich nur Leihgaben sind. Doch auch die Hypotheken gelten dabei als Kapital der Bank. Bei Wikipedia heißt es hierzu:
„Da das neu geschaffene Geld den Kreditinstituten wieder als Basis für weitere Geldschöpfung dienen kann, gibt es theoretisch keine obere Grenze für die Menge des von den Kreditinstituten geschaffenen Geldes. Um diese Geldschöpfung in Grenzen zu halten, gibt es neben Bilanzvorschriften für die Kreditinstitute (keine Überschuldung, minimale Eigenkapitaldeckung der Bank) je nach Land die Verpflichtung, bei der Zentralbank eine Mindestreserve an Zentralbankguthaben zu halten, die einen bestimmten Prozentsatz der bei ihnen liegenden Sichtguthaben ihrer Kunden ausmacht, das „fraktionale Reservesystem“.“
Der spekulativen Wertschöpfung muss als die Regulation durch Staaten, das heißt eine rechtlich vorgeschriebene Bilanz,notwendig beachtet werden. Und trotz aller Vorschriften erfinden Finanzjongleure Formeln und Anlagevarianten, die die Bilanzen so undurchsichtig machen, dass am Ende niemand mehr weiß, wo der eigentliche Wert von Hypotheken noch zu verorten ist. Eine Finanzblase entsteht, die irgendwann, insofern bei einer Bank ungedeckte Hypotheken entdeckt werden oder insofern einige „Kunden“ Kredit unerwartet nicht zurückzahlen, platzt. Dann bekommen wir den Salat, den wir jetzt haben. Womöglich ist aber das Problem nicht diese oder jene Krise, sondern begründet in der Form wie wir Geld momentan noch als Gegenwartswährung gebrauchen. Die Frage nach dem Geld zumindest soll meine Überlegungen daher für die nächste Zeit binden.
Ausblick
So wie es für mich jetzt aussieht, muss die Krise zumindest als Dauerzustand in unserer Gesellschaft akzeptiert werden, denn Spekulationen werden nur geringfügig kontrolliert und die gegenwärtige Krise ist nur eine von möglichen Krisen. Letztlich erscheint mir die Frage nach der gegenwärtigen Krise wohl sehr Recht als die Frage nach dem richtigen System. Im Zuge der Globalisierung hat sich ein deregulierter Kapitalismus an den Finanzmärkten eingestellt, diesen halte ich ganz sozialdemokratisch für falsch.
Eigentlich ist mein Bereich eher die Frage nach Gerechtigkeit als die Frage nach der Funktionsweise eines abstrakten von Menschen gebrauchten Systems. Hier handelt es sich meines Erachtens eher um eine empirische Frage, die sich in den Details verzweigt und nicht von immer gültigen Idealen bestimmt ist wie die Philosophie. Daher ist irgendwann dem Denken des Philosophen eine Grenze gezogen und die Erfahrungserkenntnis müsste greifen. Eine Erfahrungswissenschaft sollte daher VWL sein. Erfahrungen aber sind bei einmaliger Anwendung eines Systems wie dem des Kapitalismus leider nicht viele vorhanden. Wir haben noch nicht viele Erfahrungen im Umgang mit unseren Finanzsystemen und damit bekommt die Philosophie wieder einen gesonderten Platz in der Frage nach dem richtigen System. Die Gefahren werden von allen Seiten und so auch von der Philosophie zusammengetragen.
Aber auch, da die Welt dem Wesen des Menschen entsprechen sollte, behält die Philosophie Berechtigung die Finanzwirtschaft zu kritisieren. Die Philosophie hält die Frage nach dem wahren Reichtum des Menschen im Blick. Im Hinblick auf die Menschlichkeit ist mir das gegenwärtige Geldsystem nach philosophischem Ermessen betrachtet, zuwider. Da ist mir der Kommunismus von Star Trek lieber. Dort verzichtet die Menschheit auf Geld, wobei klar ist, dass Donald Trump hier einen Herzinfarkt bekommen hätte. Was ist dann bei Star Trek aber der wahre Reichtum und was ist dann die Herausforderung, Herr Piccard?
Eine homo oeconomicus spielt mit der Welt – ein modernes Puppenmärchen der Wirtschaftsexperten Foto:Daniela Hartmann
Die aktuelle Krise an den Börsen ist eine Krise der Staaten, die ihr Verschuldungsproblem niemals in den Griff bekamen. Dies aber ist nur die halbe Wahrheit. Dass bei der letzten Krise, die Staaten an ihre Finanzierungsgrenzen kamen, indem sie Banken retteten und die Wirtschaft mit milliardenschhweren Projekten unterstützten, ignorieren die Liberalen geflissentlich. Sie erkennen nicht, dass die Akkumulation von Reichtümern bei Wenigen ein Problem sein könnte.
Tatsache ist doch, dass Wirtschaftskreisläufe nur zirkulieren, wenn die Gelder beständig umverteilt werden (der Zusatz muss aus ethischer Perspektive lauten: nach gerechten Priznipien). Wenn wir tatsächlich bei der überstrapazierten Metapher des Blutkreislaufes bleiben, dann können wir durchaus auch formulieren, dass sich an Ort und Stelle ganze Blutgerinsel gebildet haben, die zunehmend zu einer Gefahr für die Finanzwirtschaft werden. Reichtum kann in einer Gesellschaft nicht die geschickte Anhäufung von Geld sein, sondern muss immer in Bezug auf die tatsächliche und zukünfigte Leistung stehen. Reichtum ist etwas, das Gesellschaft für sich erst entdecken und legitimieren müssen. Reichtum ist auch kein festgefügtes Kapital, wie jeder Reiche, der seinen Reichtum gerne stabiliseren möchte, bereits weiß. Nein, der Reichtum auf den Banken oder in Börsenpapieren ist immer nur so viel Wert, wie die Gesellschaft zu leisten vermag und daher steht es auch der Gesellschaft zu, hier Gerechtigkeit walten zu lassen. Daher muss nun nachdem ein Jahrzehnt Banken Gewinne fahren konnte, auch wieder eine stärkere Besteuerung der Reichen stattfinden.
Der naive Glaube an den netten Unternehmer
Nun mag der ein oder andere Liberale glauben, dass ein deregulierter Markt sich selbst reguliert. Der Glaube an die unsichtbare Hand ist dabei wie ein Glaube an Gott. Doch so wie Betrüger im Alltag einen armen Tropf an der Haustür mit windigen Schneeballsystemen reinlegen, so sehe ich keinen Grund, warum ähnliches nicht auch an den Börsen passieren sollte. So wie wir Verbraucher hin und wieder von der Industrie getäuscht werden und Produkte kaufen, die vorne und hinten nicht stimmen, so ist dies auch durchaus in großen Wirtschaftssystemen möglich. Dies ist allerdings verborgener, da wir solcherlei Bewegungen zumeist nur in Zahlen erkennen. Wie reagiert daher ein durchschnittlicher Amerikaner (und damit habe ich viele Erfahrungen gemacht)?
Nun, er behauptet stolz und steif, dass große Unternehmen kein Interesse daran haben, Anleger und Investoren reinzulegen, denn sie würden damit ihr Unternehmen riskieren. Dieses stimmt nur in gewisser Hinsicht, denn wenn ich mit einem Unternehmen kurzfristige Gewinne einstreichen kann und dieses nach dem ich es vollkommen ausbluten lassen habe, es verlasse, dann mache ich den Gewinn für mich. Das Unternehmen spielt dabei eine geringfügige Rolle. Je nachdem welche Gesetzeslage dann existiert, so kann ich als Krimineller gelten oder nur als moralisch bedenkliche Heuschrecke, wenn ich denn in der Gesamtheit der Masse von Heuschrecken überhaupt entdeckt werde und was sollte daran falsch sein, genau das zu tun, was alle tun?
Nun bin ich wahrlich kein Experte, aber so wie es Betrüger auf unseren Straßen gibt, so gibt es mit Sicherheit auch findige Betrüger in den Büros und dort schlägt dann der Betrug stärker zu Buche, da die Dimensionen des Betrugs unsere gesamte Gesellschaft treffen.
Reichtum ist auf die Gesellschaft zurückbezogen
Ein anderer Punkt ist, dass die Wirtschaft immer zurückbezogen ist auf die gesamte Gesellschaft. Das heißt, es kann keinen Reichen geben, ohne dass andere ihm diese Möglichkeit verschaffen. Dies zu verdeutlichen ist ganz einfach. So können wir zum Beispiel fragen: Wäre Warren Buffet auch der reichste Mensch der Erde geworden, wenn er auf einer einsamen Insel gelebt hätte? Welchen Reichtum hätte er dort erwirtschaften können? Vielleicht hätte er ein Haus aus Holz bauen können? Die immensen Reichtumer sind nur in Gesellschaften möglich und daher ist es sehr wohl richtig Leistung und gesellschaftliche Schuld zu verbuchen und damit rechtfertigen sich auch die Steuern, die gegen Reiche erhoben werden.
Welcher Reichtum ist gerecht?
Die volkswirtschaftliche Frage ist natürlich wie diese Verbuchung aussehen soll. Diese Verbuchung ist mit Sicherheit immer wieder neu zu bestimmen, da das Ausmaß der Leistung auch variiert und in Einzelfällen ganz erheblich abweichen kann. Während zum Beispiel Bill Gates das hilfreichste Werkzeug aller Zeiten mit erfunden hat, so hat ein Mark Zuckerberg maximal eine Infrastruktur für das Internet auf den Weg gebracht, die nicht gerade durch ihre Innovationskraft besticht. Hinzu kommt: Mark Zuckerberg hat an dieser Stelle viel stärker von bereits existierenden Reichtümern profitiert, so nämlich dem weltweiten Aufbau eines Telefonnetzes, der Verbreitung von Internetanschlüssen und der Leistungsfähigkeit von Programmiersprachen (und dies sind nur einige Faktoren, auf denen sich sein Reichtum begründet). Dass er nun für eine minimal innovative Idee, die er in 4 Wochen umgesetzt hat, Milliarden kassiert, relativiert für mich alle Leistungen, die andere viel intelligentere Menschen vollbracht haben. Wo müsste auf diese Skala der Reichtum eines Einsteins oder eines Kants verbucht werden? Wieviel Reichtum stünde ihnen zu? Unser System honoriert Leistungen, die nicht wirklich Leistungen sind.
Da wir nun nicht davon ausgehen können, dass die Superreichen die Abhängigkeit ihrer Leistungen auch eingestehen, ist ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs sinnvoll. Über Reichtum kann nur demokratisch entschieden werden.
Dabei ist es aber auch sehr rational und verständlich, dass die Wirtschaft in der Weise argumentiert, dass sie höhere Besteuerungen ablehnen. Nach Luhmanns Systemhypothese ist es unmöglich, dass Wirtschaften prinzipiell ethisch entscheiden, da sie ethische Entscheidung nur instrumental treffen, das heißt sie entscheiden nach Profitabilität einer Entscheidung. Das heißt: Natürlich hat die Wirtschaft ein Interesse an ethischen Entscheidungen, aber nur, wenn es sich kurzfristig, mittelfristig und manchmal auch langfristig anhand der Bilanzen refinanziert. Das Problem dabei ist, dass eine ethische Entscheidung nicht immer profitabel ist und genau in diesen Punkten hat die Wirtschaft wenig Interesse. Wirtschaften müssen daher reguliert werden.
Dass die Superreichen sich hier ins eigene Fleisch schneiden, hat mittlerweile auch Warren Buffet verstanden. Spiegel Online zitiert Buffet:
„Meine Freunde und ich wurden lange genug vom milliardärsfreundlichen Kongress verhätschelt. Es wird Zeit, dass unsere Regierung endlich die Lasten gerecht verteilt.“
Und Buffet erkennt noch mehr im Hinblick auf die tatsächlich erbrachten Leistungen. Zwar trägt er ein unternehmerisches Risiko (das er bei seinem Vermögen bereits nicht mehr direkt fürchten muss), im Vergleich zum existentiellen Risiko der Armen und Mittelklasse ist dies aber nicht zu vergleichen.
„Während die Armen und die Mittelklasse für uns in Afghanistan kämpfen und viele Amerikaner sich mühen, um über die Runden zu kommen, bekommen wir Superreichen weiter unsere Steuererleichterungen“
Hinzu kommen mit Sicherheit die Risiken, die Arme im Hinblick auf ihre Gesundheit tragen, denn dort ist das amerikanische System so eingestellt, dass derjenige eine bessere Gesundheit hat, der auch mehr Geld besitzt. Über andere Menschenrechte wie Bildung möchte ich erst garnicht reden.Â
Und natürlich sehe ich weltweit einen Anstieg des Wohlstands, aber wie Ulrich Beck bereits feststellte, handelt es sich um Fahrstuhleffekte. Das heißt der Abstand zu den Reichen ist in ungerechtfertigter Form geblieben. Angesichts solcher Tatsachen wundere ich mich beständig, wie viele Menschen ein uneingeschränktes Loblied auf eine sich selbst antreibende Wirtschaft singen. Vielleicht fürchten sie die Alternative eines übermächtigen Staates, der als grober Klotz nicht mehr so flexibel wie ein kleiner Unternehmer reagiert und dann aufgrund von Grobschlächtigkeit sich eigene Gliedmaßen nach und nach abhakt. Dieses Vorurteil ist sicher berechtigt, aber wir reden hier nicht vom Ultra-Kommunismus, sondern von Gerechtigkeit, die an Realitäten umgesetzt werden soll. Dazu gehört es aber zunächst die gegenwärtige Ungerechtigkeit festzustellen. Nur weil ein paar Unternehmer jetzt mit ihren Leistungen spenden, spenden, spenden, so müssen wir doch dennoch fragen, wo denn die Gelder eigentlich herkommen, die sie da spenden. Dann müssen wir auch fragen, was mit jenen Unternehmern passiert, die einfach mal mit Absicht ganze Staaten an die Wand fahren wollen oder Unternehmen bis auf den letzten Tropfen auspressen. Aber dies ist der Vorteil, wenn in einem selbstregulierenden Wirtschaftssystem etwas schief geht, gibt es keinen Schuldigen. Schuld ist dann das System oder der generalisierte Andere wie es so schön heißt.
Und dies sei auch noch gesagt „Reichtum“ im Rahmen der Gerechtigkeit ist nichts verkehrtes, aber es gibt drei Arten von Reichtümern im Hinblick auf Kapital. Kapital das aus bereits kriminellen Kreisläufen stammt (Prostitution, Drogen, Onlinebetrug, Kinderpornografie), Kapital, das aus Quellen stammt, die die gesellschaftliche Lücken der Gerchtigkeit ausnutzen und Kapital, das tatsächlich durch wahre Leistung für die Gesellschaft verdient ist.
Durch viele gute Überlegungen besticht dieser Artikel mit Sicherheit noch nicht, aber ich muss auch noch in das Thema eindringen, bis dahin könnt ihr gerne abonnieren.
Das liebe Geld, darüber nachzudenken, macht nicht unbedingt glücklich Foto:Tracy O
Im letzten philosophischen Quartett vor der Sommerpause gab Peter Sloterdijk zur Finanzkrise ein philosophischen Märchen zum Besten:
„Es ist ein trüber Tag in einer kleinen irischen Stadt, es regnet, die Straßen sind leer gefegt, die Zeiten sind schlecht, jeder hat Schulden, alle leben vom Kredit. An diesem Tag fährt ein betuchter deutscher Tourist durch die Stadt, hält an einem kleinem Hotel, legt einen 100-Euro-Schein auf den Tresen der Rezeption. Er sagt dem Eigentümer, dass er Zimmer anschauen möchte, um vielleicht eines für die Übernachtung zu mieten. Der Hotelmanager gibt ihm einige Schlüssel, kaum ist der Besucher die Treppen hinaufgegangen, nimmt der Hotelier den 100-Euro-Schein, rennt zum nächsten Haus und bezahlt seine Schulden beim Schlachter. Der Schlachter nimmt die 100 Euro, rennt die Straße hinunter, bezahlt den Schweinezüchter. Der Schweinezüchter nimmt die 100 Euro, bezahlt seine Rechnung beim Futter- und Treibstofflieferanten. Der Mann nimmt den 100-Euro-Schein, rennt zur Kneipe, bezahlt seine Getränkerechnung. Der Kneipenwirt schiebt den Schein zu einer an der Theke sitzenden Prostituierten, die dem Wirt einige Gefälligkeiten auf Kredit gegeben hatte. Die Prostituierte rennt zum Hotel und bezahlt die ausstehende Zimmerrechnung mit dem 100-Euro-Schein. Der Hotelier legt den Schein wieder zurück auf den Tresen, sodass der wohlhabende Reisende nichts bemerken würde. In diesem Moment kommt der Deutsche die Treppe herunter, nimmt den 100-Euro-Schein und meint, dass ihm die Zimmer nicht gefallen, er steckt den Schein ein und verlässt die Stadt. Nun ist die Stadt ohne Schulden, und man schaut mit großem Optimismus in die Zukunft.“ (Als Audioversion das Märchen von der Finanzkrise)
Wie ich mich schon in vielen Beiträgen mit den Grenzen einer ökologischen Wirtschaft auseinandergesetzt habe, so habe ich mich nun entschieden überhaupt den Bereich des Geldes anzudenken. In Köln habe ich mich (neben meiner Dissertation) für ein Studium der Volkswirtschaft eingeschrieben. Geld wird also im Mittelpunkt meiner Überlegungen der nächsten Monate stehen. Kann ein Philosoph hier aber nicht eigentlich nur das Schlimmste vom Schlimmsten anrichten? Hatte Marx nicht schon gezeigt, dass mit einem Idealismus (der fälschlicherweise immer als Materialismus dargeboten wird) des Geldes, das heißt dem Nachweis, dass Wertschöpfung beim Menschen stattfindet, nicht schon die falschen humanistischen Entwertungspiralen der Materie in Gang gesetzt? Ist der verkrampfte Idealismus eines Philosophen hier nicht fehl am Platze, wo es doch um harte Währungen und reale Realitäten geht? In der Berliner Morgenpost heißt es so auch zu Sloterdijks Märchen arrogant:
„Erst die globale Finanzkrise, jetzt die Euro-Krise: Selbst Wirtschaftsexperten haben Schwierigkeiten, noch durchzusteigen. Nicht einmal in der Analyse der Problematik ist man sich in der Fachwelt einig. Da ist es gut, wenn sich fachfremde Intellektuelle furchtlos in die Debatte stürzen und dem breiten Publikum die Lage der Dinge in einfachen Worten erklären.“ (Morgenpost und Sltoerdijk)
Verehrte Morgenpost, das ist antidemokratisch. Dass sich niemand in der Finanzwelt einig ist, ist ein alter Hut, der im Mindesten genauso alt ist wie die Finanzwelt. Mit den Finanzen haben wir es mit einem super-komplexen Teil der menschlichen Welt zu tun. Ich betrachte es dementsprechen auch nur als Teilbereich der Soziologie. Hinzu kommt: Superkomplexe Probleme sind nicht die Probleme von angeblichen Experten. So wie die Entscheidung über Atomkraftwerke nicht in den Händen von Experten liegt, so ist auch die Finanzwelt nicht etwas, das von Theoretikerfachwissen beherrscht wird oder werden sollte. Eine breit angelegte gesellschaftliche Diskussion, die immer tiefgreifender analysiert, ist wünschenswert und gerade bei einem Problem, das selbst nur in Teilaspekte zerlegbar ist, bietet sich das Eingreifen von fachfremden Interpreten an. Als Experten dürfen Sie sich mit Sicherheit an diesem Diskurs als Experten beteiligen, aber nicht über diesen gebieten.
Was heißt hier fachfremd?
Dennoch frage ich mich, ob mit der Formulierung „fachfremd“ der Autor nicht schon seinen Kompetenzbereich verlassen hat. Die Ablehnung „fachfremd“ erscheint mir wie ein Machtwort oder ein Urteil, das der Autor verhängt. Es ist ein „Basta“, das den Mund verbieten soll. Die Philosophie aber ist die eigentliche Wissenschaft des Ganzen, die nicht in Fächer dividiert, sondern alle Fächer auf einander bezieht. Daher ist es unabdingbar, dass Philosophen sich in dieser Debatte zu Wort melden. Genaugenommen haben nämlich die Experten nur als Philosophen das Recht weiterreichende Schlüsse für das menschliche Wohl zu ziehen (als welche sie sich unter Einhaltung der philosophischen Minimalbedingungen von Metaphysikfreiheit und des Ziels nach Widerspruchsfreiheit gerne verstehen dürfen. Leider tun sie das zumeist nicht und geben nur ihre zumeist wirtschaftsliberale Einstellung kund, welche metaphysisch ist). Experten, die nicht die Märkte analysieren und sich auf wissenschaftliche Vorhersagen beschränken, sind im Grunde keine Experten mehr. Für mich erscheint es daher beinah ironisch, dass die Experten gerade durch die Finanzkräfte enthront werden, für die sie sich ja zu Experten wähnen und das schon immer und immer wieder. Aber keine Sorge liebe Finanzexperten, diese Ironie ihrer Disziplin ist nicht fachgebunden. So wie ein Arzt nur Experte sein kann für die Krankheiten, die er zu heilen oder zu lindern vermag, so ist ein Finanzexperte nur Experte für Probleme, die er beschreiben und verhindern oder lösen kann. Was verbleibt ist daher nur Philosophie als Wissenschaft des Ungewussten und dem weisen Umgang mit diesem Nichtwissen. Genaugenommen gibt es nicht die Experten, gleichwohl Menschen, die bei Teilproblemen behilflich sein dürfen und sich hier mehr oder weniger, aber immer wieder neu qualifizieren müssen. Aus diesem Grund halte ich es nicht für verkehrt, dass ich mir in Zukunft die volkswirtschaftlichen Grenzen aus kritischer Perspektive eines Philosophen zu erschließen.
Zum Vorwurf Sloterdijk vergesse die Regeln der Bilanz
Zu dem Märchen von Sloterdijk sei natürlich angefügt, dass er hier ein Ideal beschreibt und die Bilanz des Dorfes tatsächlich außer Acht lässt. Die Bilanz war nämlich auch vor Ankunft des Deutschen ausgeglichen. Aber mehr als alle Kommentaren der verschiedenen Zeitungen lässt sogar ein trockener Einführungsband zum Thema Rechnungswesen hier mehr Humor zu. Sloterdijk drückt nur einen Irrwitz unserer Tauschgesellschaft aus, die sich an abstrakte Konten gebunden fühlt. Diese Kontoführung haben Affen nicht, sondern nur Wesen, die sich in ihrer Sprache mit dem Ideal des Bilanzierens auseinandersetzen.
Und so einfach ist die Bilanzierung in vielen Fällen dann nicht. Es handelt sich bei unserer gesamten Finanzwelt nicht um ein separierbares Unternehmen, das seinen Ausdruck in einer durchsichtigen Bilanz findet, wo dann die Schlussfolgerung am Ende heißt: Pleite!. Viel eher handelt es sich um die Bilanz, die in Beziehung zu ihrer Anwendung im wirtschaftlichen Kontext überhaupt steht und damit auch verbunden ist mit den Idealen wie wir mit verschuldeten Staaten umgehen oder wie wir überhaupt Schulden zulassen. Das Thema der Erfindung des Geldes leitet daher meine nächsten Artikel und ich schließe um vorherige These, dass jeder Einführungsband mehr Humor aufweist als Experten der Welt oder der Morgenpost mit einem Zitat aus eben solch einem Einführungsband zum Thema Rechnungswesen:
„Nach den neuesten Forschungen besteht das deutsche Volk aus drei Stämmen: den Pleitionen, den Schnorrmanen und den Prolongobarden. Sie gehören sämtlich zur Konfession der Wechsel-Protestanten. Kürzlich haben sie ihr Heiligtum in der Berliner Börse eingeweiht. Über einer Verkehrstreppe erhebt sich in der Mitte das Grabmal des unbekannten Solventen. Es ist rechts flankiert durch die Statue der heiligen Konkursela, links von einem Standbild des heiligeen Insolvenzel. Am Sockel des Grabmals befinden sich zwei allegorische Figuren: Die verschleierte Bilanz und die nackte Pleite, die ihre Blöße mit der Treuhand bedeckt.“ (Camphausen: Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Oldenburg 2008:213)
Im letzten Artikel zu den Grenzen des Ichs, hatte ich ja bereits die Philosophie auf multiple Persönlichkeiten bezogen. Mir kam nun nur zu Ohren, dass das Thema umstritten sei und mein Artikel im Umfeld von netzwerkB auch diskutiert worden sei. Da ich mich relativ unkritisch und unvoreingenommen mit dem Thema „Multiple Persönlichkeit“ auseinandergesetzt habe, habe ich nun die Nächte durchgearbeitet und versucht auf mögliche Einwände zu reagieren. Eigentlich sollten diese Beiträge, die Interviews mit Sophie Stein, einer multiplen Persönlichkeit, nur begleiten. Nun ist es allerdings zu einem sehr langen Artikel gekommen. Die Textfülle zeugt von der Schwierigkeit des Problems. Da der Texte hier nun recht schwer ist, verstehe ich, dass nicht jeder die Zeit hat, sich da durchzuwühlen und das ist auch sicher nicht Sinn der Sache, daher stelle ich die Videos (nochmals Teil 1 und Teil 2) der Interviews gleich an den Anfang. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit Norman Schultz.
Das Problem der Faszination für multiple Persönlichkeiten
Multiple Persönlichkeiten faszinieren, denn sie versammeln viele Eigenschaften, beherrschen beispielsweise unterschiedliche Handschriften und besitzen oftmals viele verschiedene, überraschende Talente. Hinzu kommt, dass multiple Persönlichkeiten oftmals eine erschütternde Geschichte aufweisen. Aufgrund dieser Umstände ist das Phänomen der multiplen Persönlichkeit prädestiniert als Modeerscheinung gehandelt werden zu können. Das Buch „Vater unser, der du bist in der Hölle“ gibt hiervon ein Zeugnis (http://www.xn--vaterunserinderhlle-56b.de/die-ebay-geschichte/index.html). Ich selbst halte das Buch für problematisch. So wird meiner Erinnerung nach in dem Buch ein Zirkel von Innenpersonen beschrieben, die von einer satanistischen Sekte insoweit manipuliert und teilweise erzeugt worden sind, so dass diese gegen die Hauptperson unerkannt handeln (Ich habe das Buch leider gerade nicht zur Hand, um das genau zu überprüfen). Nach Rücksprache mit Sophie Stein hält sie solcherlei Persönlichkeitsinduzierungen durch die Täter auch für fragwürdig, obwohl solcherlei Fälle nicht auszuschließen sind. Ich möchte keineswegs der Frau, auf der diese Geschichte basiert, zu nah treten und ich kann mir vieles vorstellen. Und dennoch kommen hier Zweifel auf und es stellt sich die Frage: Sollen wir ohne Weiteres glauben? Diese Frage stellt sich auch an das Phänomen „Multiple Persönlichkeit“, das sich häufig mit unvorstellbaren Geschichten sexualisierter Gewalt überkreuzt. Weiterlesen →
Durch die Welt zur Normalität (Behinderung und Philosophie)
Krüppel, dies ist politisch inkorrekt. Ein Schimpfwort? Wie kann es sein, dass die Benachteiligung eines Menschen sich zu einer Beschimpfung umformen konnte? Erleben wir nicht dieselbe Verformung bei dem Wort Opfer, so dass Menschen, die schwere Überfälle oder Missbräuche erlebt haben, diesen Begriff mittlerweile ungern benutzen und sich als Betroffene bezeichnen? So auch beim Krüppel, er wurde zum Behinderten, bald zum Andersbegabten, mal als Sorgenkinder bezeichnet und von einer nicht genannten Organisation zwangsläufig zum Menschen (und zwar in einer Aktion) umgetauft (vgl. Sloterdijk. Du musst dein Leben ändern 2008). Verlegenheit macht sich breit, aber warum betrachten wir die Behinderung mit so starker Negativität? Wird dies den Behinderten eigentlich gerecht?
Unser Denken setzt die Grenze
Keine Diskriminierung also, wenn wir von Krüppeln reden! Es ist keine Diskriminierung, da wir alle Krüppel sind. Diese Sichtweise der Gleichheit bildet sich nämlich genau dann heraus, wenn wir den Vergleichspunkt erhöhen. Wieso sollten uns gerade zwei Arme und Beine ermöglichen, um Höheres zu spielen? Wenn wir die Welt in ihrem Sinn durchforschen, so sind alle unsere Gedanken ähnlich bescheiden. Hellen Keller, taublinde Philosophin, muss ich beinah als Kurriousum erwähnen, aber es sollte doch eine Alltäglichkeit sein, dass körperlich Behinderte sich genau in den Bereichen engagieren, die immer offen bleiben. Philosophie ist nicht die Wissenschaft der Gesunden und so müssen wir eine Welt ansteuern, in der es nicht speziell Berufe für Behinderte gibt. Behindertenwerkstätten mögen ihren Sinn erfüllen und Menschen einen geregelten Arbeitstag geben, aber es reintegriert in Beschäftigungsfelder, die nicht unbedingt den Behinderten als Menschen gerecht werden.
Natürlich es stimmt! Menschen ohne Behinderung haben gesellschaftlich bessere Chancen.  Es ist hier die Aufgabe eines Staates für Ausgleich zu sorgen. Müssen Behinderte aber gesellschaftlich auf ihre Behinderung reduziert bleiben? Wir sollten eher die Felder erforschen, wo sie es nicht sind. Natürlich ist es bei den Behinderten (Krüppeln) oftmals der Kampf um Normalität, das heißt ein Leben wie die anderen führen zu können. Während wir meinen, um das Höhere zu ringen, wollen sie erst auf das Plateau der Normalität. Dabei sind sie jedoch schon normal. Ihr denken zieht die Grenze ihres Körpers; sie messen sich mit Körperkonturen an der Welt. Doch die Schablonen der Körper können keine Grenze sein für die einzige Befreiung. Nur eine Philosophie nach innen kann von diesem Unsinn der Körper befreien.
Eine Philosophie der Behinderung?
Ich halte die Einstellung eines Kampfes um Normalität für falsch, wenn auch gesellschaftlich für notwendig. Zwar muss der Staat Behinderten ihr Leben erleichtern, aber es darf nicht ihr Kampf sein. Der Kampf um die Normalität verhindert die Zeit für die Kämpfe um die Kunst und die Philosophie des Lebens, die den anders Behinderten bereits frei stehen. Auch Krüppel sind mit uns auf Augenhöhe bei denselben Fragen um das Leben. Nur dort haben Behinderte und „Unbehinderte“ die gleiche Fallhöhe. Es bleibt die Frage, was ist eigentlich eine Behinderung? Ist der Wirtschaftsingenieur, der sein Leben an der Börse mit ethisch bedenklichen Derivaten verdient nicht viel stärker behindert und zwar in seinem Denken als der, der mit seinem Körper hadert?
Stattdessen bewundern wir Menschen, die sich in unsere nutzlose Normalität der Ungerechtigkeit zurückkämpfen, auch wenn dies keineswegs ein Vorwurf an den Behinderten ist, sondern ein Vorwurf an die Bewunderer:
Wir feiern die Erfolgsgeschichte eines Menschen, der sich die Normalität erkämpft. Ungeachtet der ungeheuren Lebensleistung ist damit aber für eine Philosophie nicht viel gewonnen. Sollen wir jetzt etwa schätzen, dass wir schließlich Arme und Beine hätten und uns daher nicht beschweren über das, was das Leben aus uns macht? Ist die Bewunderung dann nicht eine geheuchelte, wenn wir es mit dem Blick auf die Mehrwertigkeit tun? Eine Bewunderung aus Überlegenheit? Wenn wir Nick Vujciic dafür schätzen, dass er sich einen Platz neben uns erkämpft hat, dann schätzen wir ihn nicht wirklich. Aber Nick Vujicic kann mehr als andere. Er erschließt sich neben dem Alltag die Felder, die für ein Menschenleben angemessen sind: Die Frage nach dem Geist, der Kunst, die Frage nach dem Ganzen, nach der Philosophie. Damit ist er bei weitem sogar mehr als wir mit Armen und Bein sind un das ist Punkt, worauf es ankommt.
Damit ist der Behinderte weiter als der anders Behinderte, denn erweitern wir nur den Standpunkt unserer Erfahrung um die Möglichkeit einer höheren, besser ausgestatteten Existenz, so erfahren wir uns selbst als Kränkung: Ein Menschengeschlecht, das nur aus Haut und Knochen besteht! Die Grenze des Körpers besteht für Behinderte und anders Behinderte. Die Grenze ist also keineswegs im Körper zu suchen und daher sind die Benachteiligungen auch nicht als solche zu betrachten. Die Kranken und Schwachen, die Behinderten sind somit in bestimmten Fällen die starken unserer Gesellschaft und wenn wir bedenken, dass der Starke überlebt, dann könnten wir eigentlich nur mit ihnen überleben. Benachteiligungen geben die eigentliche Aufgabe frei, sich von der Hülle seiner alltäglichen Bedrängnisse zu befreien und sich dem eigentlichen Reichtum zu öffnen, nämlich der Freiheit.
Genaugenommen sehe ich hier also in Nick Vujcic kein Motivationsschicksal. Es geht nicht darum aus einer Minderwertigkeit das Beste zu machen, sondern darum überhaupt das Richtige in Angriff zu nehmen. Hierin und nicht im Erfolg sind wir gleich und bewundernswert.
Vielen Dank für das Lesen, ihr könnt auch gerne weiterempfehlen oder verlinken. Wenn ihr ähnliche Artikel habt, dann schreibt mir und ich verlinke euch im Text.
Die Grenzen der Musik meinen viele schnell mit Geschwindigkeit zu durchbrechen. Die Musiker, die nicht so schnell spielen können, halten davon natürlich umgekehrt nichts. Ich lasse mich auch gern von Geschwindigkeit faszinieren, sehe es aber eher selbst eigenständige Disziplin. Was hier die Grenzen in der Musik meines Erachtens sind, möchte ich darstellen.
Der Film „Shine – Der Weg ans Licht“
In diesem Film geht es um das musikalische Talent David Helfgott, der unter dem übertriebenen Ehrgeiz seines Vater (Oscarnominierung für Armin Müller-Stahl) eine schwere Persönlichkeitsstörung entwickelt und erst im späten Alter ein Comeback als Musiker erlebt. Der Film greift diese biografischen Fixpunkte auf und wandelt diese zu einer Geniegeschichte.
Im Film steht ein technisch anspruchsvolles Stück von Rachmaninov, das dritte Klavierkonzert, im Mittelpunkt. Aber auch dem Hummelflug kommt als besonders kurzem, aber schnellem Stück Bedeutung zu. Es ist keineswegs unmöglich zu spielen, aber den nicht versierten Musikfreund fasziniert schnell die Geschwindigkeit.
Ein sehr guter Film über den Weg eines verkannten Genies. Wer allerdings David Helfgott einmal auf Aufnahmen gehört hat, der kennt das Problem des Films: Die Frage, ob David Helfgott ein Genie ist oder nicht. Aber das soll hier nicht Thema sein, denn es geht nicht um Genies, sondern um das, was uns schnell und atemberaubend fasziniert: Geschwindigkeit. Wie schnell kann denn überhaupt das zugegeben technisch nicht so schwer zu beherrschende Stück akkurat gespielt werden. Hier der Weltrekord vom Metalchampion persönlich. Damit durchbricht er wirklich eine Grenze der Musik:
Wer schonmal seinen Kopf bei cica 160 km/h aus einem Autofenster gehalten hat, dem dürfte der letzte Sound sehr bekannt vorkommen. Im Grunde genommen besteht die Darbietung aus nur noch einem Ton (bzw. einem Tönen)… Eins und ja… das war’s… Jeder Hummel dürfte es bei der Geschwindigkeit die Flügel in Fetzen reißen.
Die Geschwindigkeitsgrenze ist hier wohl als Schallmauer etabliert. So stellt der User „BlackListHK“ deswegen auch fest:
„if you guys want to become fast like him, check it out his middle finger when he playing.“
Wie sollte wir es anders sagen: Der Mittelfinger zeigt die unüberbietbare Geschwindigkeit an. Es heißt, erst an den Instrumenten der Musik können wir erkennen, dass eben aus der tierischen Pranke, Pfote oder Klaue von einst, so etwas wie eine Hand werden konnte. Die hier auf wohlgemerkt künstlerische Weise den Mittelfinger ausfährt. Tatsächlich dachte ich viel zu häufig, wenn ich mir einige Straßenexemplare unserer Gattung angeschaut habe, dass wir nur Affen wären, die ihren Daumen nach innen bewegen könnten. Das Gefühl hat mich auch dann nicht verlassen wenn ich Bands wie Man-o-War sah (live- yeah). Aber gut wer hätte gegen diese Testosteronshow auch etwas einzuwenden (außer vielleich Alice Schwarzer). Das einzig paradoxe an Man-o-War aber ist (die ja nach eigener Aussage schnellste und lauteste Band der Welt), dass sie mit ihren Geschwindigkeitsrekorden in irgendeinerweise ironisch sein wollen (also jedenfalls weiß niemand, ob er sie ernst nehmen soll). Das einzig ironische daran aber ist wahrscheinlich, dass Man-o-War nicht ironisch sind. Hinsichtlich unserer technischen Begabungen aber bringt der User „kmal2t“ die Essenz und Konsequenz der Leistung von dellavega, unserem Metalchampion, auf den Punkt:
„that was motherfucking disturbing at 320 bps…I think we’ve now found out what the limits to guitar wanking are…now that we’ve reached that wall can we get back to having guitar be enjoyable instead of a dick measuring contest?“
Nachdem also diese Grenzen der Geschwindigkeit ausgelotet worden sind, können wir uns nun endlich wieder der Frage der Musikalität zuwenden (und nicht unbedingt Man-o-War), die ja oftmals in jugendlicher Bewunderung des Menschenmöglichen auf der Strecke bleibt.
Es gab übrigens schon ein ähnliches Beispiel in der Musik, als Sviatoslav Richter die Geschwindigkeitssucht seiner Kollegen mit seiner Interpretation der 4. Chopin Etüde (op.10) besiegte und gleichzeitig widerlegte.
In knapp eineinhalb Minuten entspricht das zwar nur einer Schlagfrequenz von 216 Beats per Minute, aber auch Kissin hat das Stück mit nur 185 bpm nicht schneller gespielt:
Persönlich halte ich eine Geschwindigkeit von 150-180 bpm für angemessen. Untere Geschwindigkeiten entwickeln für das Stück nicht die angemessene Gewalttätigkeit, die im Übrigen auch von kaum einer Aufnahme im Internet eingefangen wird. Hier muss einer tatsächlich die Meister noch einmal selbst hören, um zu wissen, was bei dem Stück „live“ für unglaubliche Wellen auf den Körper treffen. Eine höhere Geschwindigkeit aber zählt wohl eher zum erwähnten Dick-measuring-contest.
Soviel zu den Grenzen der Musik an dieser Stelle, wobei ich gespannt bin, ob diese Geschwindigkeitsschallmauer nochmal ausgereizt wird. Bitte kommentiert kräftig oder abonniert den Blog, besonders wenn ihr mehr über solche und ähnliche Grenzphänomene erfahren wollt. Bitte schickt mir Videos dazu oder gebt mir Tipps für weitere Themen. Fibonaccie.
Abschließend noch eine meiner Meinung wirklich gute Interpretation vom Hummelflug am Klavier:
Wie passen verschiedene Welten zusammen? Fot von x-ray delta one
Mittlerweile haben sich die Geschichten um das Raumschiff Enterprise zu einer Saga entwickelt und werden in 2.000 Jahren vermutlich wie heute die Sagen der Antike erzählt werden. Die Größe der Sage mittlerweile bringt viele Widersprüche mit sich, wobei die Bestrebung besteht, alle Geschichten immer im Rahmen einer großen Ezählungen erzählen zu können. Darüber hinaus soll das Star-Trek Universum nicht nur Zeugnis einer Geschichte sein, sondern alle Science-Fiction-Geschichten unserer Zeit umfassen. So versuchen zumindest Fans, auch artfremde Science-Fiction-Sagas zu integrieren. So könnte sich der Krieg der Sterne nach George Lucas nur in einem anderen Teil zu einer anderen Zeit des Universums abspielen und theoretisch wäre ein Aufeinandertreffen von Spock und Meister Yoda möglich. Theoretisch könnte Darth Vader gegen Captain Jean-Luc Picard zu Felde ziehen. Die Fans gehen gar so weit, dass sie gar „Alf“ in ihren Star-Trek-Horizont miteinbeziehen möchten. Daraus ergeben sich vollkommen neue Geschichten. Man überlege sich, dass Captain Picard Alf auf der Enterprise versteckt, um ihn vor Versuchen durch Geheimdienste zu beschützen, während Darth Vader mit dem Todesstern Jagd auf sie macht. Witzig wäre es mit Sicherheit auch, Jerry Seinfeld einzubauen oder Homer Simpson (Klick auf den Link, denn so könnte er aussehen) den technischen Ingenieur sein zu lassen. Weiterlesen →